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Neunauge

[568] Neunauge (Lamprete, Pricke, Bricke, Petromyzon Art.), Gattung aus der Ordnung der Rundmäuler, aalähnliche, nackte, fischähnliche Tiere mit knorpeligem Skelett, von einem ringförmigen Lippenknorpel gestütztem Saugmaul (Fig. 1), hornigen Zähnen, sieben äußern Kiemenöffnungen (die vom Volk als Augen betrachtet und gezählt wurden), einem gemeinsamen innern Kiemengang und zwei Rückenflossen, von denen die hintere mit der Schwanzflosse zusammenfließt, ohne Brust-, Bauch- und Afterflossen. Allen Neunaugen ist ein scharfer, charakteristischer Geruch eigentümlich. Sie enthalten wie der Aal ein Blutgift; ein von der Haut abgesondertes Gift wirkt auch nach dem Kochen vom Magen aus (besonders häufig im Jamburgschen Kreis in Rußland).

Fig. 1. Maul der Seelamprete.
Fig. 1. Maul der Seelamprete.

An der Ostsee läßt man die Neunaugen vor der Zubereitung sich in Salz zu Tode laufen. Die Neunaugen nähren sich von Würmern, Fischbrut und Kerbtieren, saugen sich aber auch an große Fische an und fressen diesen tiefe Löcher in den Leib. Dies geschieht namentlich auch den Lachsen und Maifischen, und so werden die Neunaugen von letztern in den Flüssen stromaufwärts getragen, während sie selbst zu schlecht schwimmen, um so weite Wege in so kurzer Zeit zurücklegen zu können. Um zu la ichen, verschleppen sie Steine mit Hilfe ihres Saugmundes und bilden Höhlungen, in denen je ein Paar verweilt. Die Neunaugen durchlaufen eine Metamorphose. Das kleine Flußneunauge (Sandpricke, Bachneunauge, P. Planeri Bl.), 20–40 cm lang, mit zwei zusammenstoßenden Rückenflossen, am Umfang des Saugmundes mit einem mehrreihigen Kranz kurzer Fransen, zwischen denen kleine Zähne stehen, auf dem Rücken ölgrün, an den Seiten gelblich, auf dem Bauch weiß, findet sich in Flüssen und Bächen Europas und Nordamerikas, auch im Meer, laicht im April und geht dann mit völlig erschöpften Geschlechtswerkzeugen zugrunde. Aus den Eiern geht das als Querder (Leinaal, Kieferwurm, [568] Ulen, Ammocoetes branchialis L.) beschriebene junge N. hervor, das einen sehr kleinen Kopf, kaum sichtbare Augen, Kiemenlöcher in einer Längsfurche und deutliche Hautringel besitzt, matt silberglänzend ist und auch in seiner innern Organisation abweicht. Es lebt im Schlamm und verwandelt sich oft erst bei einer Länge von 20–30 cm in das geschlechtsreife N. Diese Metamorphose entdeckte August Müller 1854, sie war aber schon 1666 einem Fischer Baldner in Straßburg bekannt.

Fig. 2. Flußneunauge.
Fig. 2. Flußneunauge.

Das große Flußneunauge (gemeine Flußpricke, P. fluviatilis L., Fig. 2), bis 50 cm lang, mit getrennten Rückenflossen, ist auf der Oberseite grünlichblau, an den Seiten gelblich mit lebhaftem Silberglanz, auf dem Bauch silberweiß, an den Flossen veilchenfarben, bewohnt alle europäischen und die Küsten Nordamerikas und Japans bespülenden Meere, beginnt im Herbst seine Wanderungen in die Flüsse und gelangt im Frühjahr zu den entferntesten Seitenflüssen, um zu laichen, wobei das Männchen das an Steinen festgesaugte Weibchen mit dem Mund im Nacken packt und heftig schüttelt. Nach dem Laichen sterben die Tiere bald ab. Ihre Larve ist der der vorigen Art sehr ähnlich. Sie geht noch während der Verwandlung ins Meer. Das N. wird bei der Einwanderung in die Flüsse, in der Memet, Weichsel, Oder und Elbe, in großen Mengen gefangen, geröstet und mariniert. In andern Ländern wird es als Köder beim Dorschfang benutzt. Das Wolganeunauge (P. Wagneri Kessl.), das sich der vorigen Art an schließt, steigt in ungeheurer Menge in die Wolga auf und wird seit einigen Jahren massenhaft mariniert. Die Seelamprete (P. marinus L.), bis 90 cm lang und 1,5 kg schwer, mit einem dichten Kranze zerfaserter Fransen am Innenrand der wulstigen Lippen und getrennten Rückenflossen, grünlichweiß, auf dem Rücken und an den Seiten schwarzbraun oder dunkel olivengrün marmoriert, auf dem Bauch weiß, lebt in allen europäischen Meeren mit Ausnahme des Schwarzen Meeres, auch an den Küsten Westafrikas und Nordamerikas, laicht im Frühjahr im untern Laufe der Flüsse und stirbt nach dem Laichen. Man fängt sie, namentlich in Südengland und Frankreich, um sie frisch zu genießen, zu Pasteten und andern Konserven zu verarbeiten. Anderwärts werden sie verschmäht. Vgl. Goette, Entwickelungsgeschichte des Flußneunauges (Hamb. 1890).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 568-569.
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