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Gregor vom Steine

[344] Gregor vom Steine heisst eine von Hartmann von der Aue in höfischem Geschmack behandelte Legende; ihre Quelle ist wahrscheinlich ein altfranzösisches Gedicht des 12. Jahrhunderts, Vie du Pape Grégoire le Grand, dem sich Hartmann genau anschliesst. Der Inhalt ist folgender: Ein Fürst von Aquitanien hinterlässt zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter, die sich auf das zärtlichste lieben. Durch die Lockungen des Bösen wird aber der allzuvertraute Bruder verleitet, seiner Schwester in unerlaubter Weise zu nahen. Der unglückliche Bruder wandert darauf ausser Landes und stirbt, die Schwester aber wird heimlich eines Knaben entbunden. Dieses Kind wird in eine Kiste gethan und ihm eine Tafel beigegeben, auf welcher vermerkt ist, dass es von hoher Geburt, sowie dass sein Vater sein Oheim, seine Mutter seine Base sei; so wird das Kind in eine Barke gesetzt und dem Meere preisgegeben, die Mutter aber lebt gottergeben und zurückgezogen wie eine Büssende und versagt allen Werbern die Hand; von einem derselben, einem mächtigen Herzog in der Nachbarschaft, wird sie deshalb sogar in ihrer Hauptstadt belagert.[344]

Unterdessen wird die Barke mit dem Kind an einem fremden Gestade unweit eines Klosters von Fischern entdeckt, und der davon benachrichtigte Abt vertraut das nach des Abtes Namen Gregorius getaufte Kind einem der Fischer zur Erziehung an. Später wird es in die Klosterschule selbst aufgenommen, wo es grosse Fortschritte macht; da jedoch seine Pflegemutter ihn im Zorne dafür, dass er ihrem Sohne beim Spiel unversehens wehe gethan, einen Findling gescholten hat, erbittet und erhält er vom Abt Auskunft über seine Geburt und zieht in die weite Welt, um, mit jener Tafel versehen, das Land seiner Geburt zu suchen. Er kommt zufällig in das Land seiner Mutter, die eben von jenem Herzog belagert wird, findet Einlass, besiegt den Herzog und vermählt sich mit der Herrin des Landes. Bald erregt bei dieser das Lesen der Tafel, dem der Gemahl sich tätlich unterzieht, Argwohn, sie bemächtigt sich heimlich derselben und findet, dass ihr Gemahl ihr Sohn sei. Beider bemächtigt sich namenloses Weh. Gregor ermahnt die Mutter zur Busse und zu guten Werken und zieht im Büssergewande fort. Ein Schiffer bringt ihn seinem Wunsche gemäss auf einen einsamen Felsen im Meer, schliesst ihn in eine eiserne Fessel und wirft den Schlüssel dazu ins Meer, indem er sich höhnend äussert: wenn der Schlüssel wiedergefunden werde, wolle er ihn für einen heiligen Mann halten. Auf diesem Stein verlebt Gregor unter freiem Himmel, fast ohne Nahrung, beinahe siebzehn Jahre. Nach dieser Zeit soll in Rom ein neuer Papst gewählt werden; durch Gottes Stimme werden die streitenden Römer auf Gregor nach Aquitanien gelenkt. Zwei Abgeordnete, die ihn aufsuchen, kommen in die Hütte jenes Fischers, der soeben zu seinem Schrecken den Schlüssel in eines Fisches Bauch wieder gefunden hatte. Darauf hin lassen die Boten sich hinüber auf den Strom fahren und Gregor, der in dem Wiederfinden des Schlüssels ebenfalls Gottes Fügung erkennt, giebt endlich dem Wunsche der Boten nach, bricht mit ihnen nach Rom auf und wird Papst. Auch seine noch lebende Mutter pilgert mit anderen zu dem wunderausübenden Sohne und erwirkt Freisprechung von ihren Sünden. Neueste Ausgabe in Hartmanns von der Aue Werken von Fedor Bech.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 344-345.
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344 | 345
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