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Legende

[572] Legende, mhd. legende, aus lat. legenda, d.h. was beim täglichen Gottesdienst vorzulesen ist. Dieser Litteraturzweig findet seinen Anfang in den Martyrologien, d.h. Märtyrerverzeichnissen, welche einen Teil des ältesten christlichen Kalenders bildeten und in welche zu den blossen Namen bald auch Nachrichten über Leiden und Leben der Märtyrer und Bekenner hinzugefügt wurden. Die ältesten Martyrologien tragen den Namen des Hieronymus, doch mit Unrecht, sie stimmen selten überein, widersprechen sieh oft und sind nichts als Heiligenkalendarien, wie sie in den verschiedenen Klöstern geführt wurden. Die grösste Verbreitung fand das Martyrologium des Beda Venerabilis, gestorben 735, des angelsächsischen Geschichtschreibers und Verfassers der Ostertafeln; namentlich in Gallien, dann auch in Deutschland wurden die Martyrologien im 9. Jahrhundert mit grosser Vorliebe behandelt; eine metrische Bearbeitung verfasste Wandelbert, Mönch zu Prüm, eine andere in Prosa Rhabanus Maurus um 845, wieder eine solche auf Befehl Karl's des Kahlen Husward und zuletzt der St. Galler Notker der Stammler, gestorben 912, und in Versen Erchempert, der Mönch von Montecassino. Damit hörte aber die Bearbeitung der kurzen und dürftigen martyrologischen Aufzeichnungen auf, da man bereits eine sehr grosse Zahl ausführlicher Legenden besass, teils aus der Zeit der Merowinger, teils auch über jene alten Märtyrer, von denen die Martyrologen nur sehr wenig zu sagen wussten. Die ältesten in der abendländischen Kirche entstandenen derartigen Legenden sind die drei vom heil. Hieronymus verfassten Vitae des Paulus von Theben, des Mönches Malchus und des heil. Hilarion. In ihnen trieb die Phantasie der Geistlichkeit, der Heldensage abgewandt, ihre seltsamsten Blüten und wunderbarsten Gebilde, welche wiederum auf die ganze Denkweise des Mittelalters den grössten Einfluss hatten. Doch lassen sich zwei Elemente der Legende unterscheiden, die sich auch in den Namen Vita und Legenda kenntlich machen, ein historisch-biographisches und ein poetisch-erbauliches. Das erstere, selten rein vorhanden, wirkt doch mehr in den älteren Perioden vor, das andere, dem namentlich das Wunder dient, nimmt seit der asketisch-kirchlichen Richtung des 11. Jahrhunderts besonders überhand; viel Legendenstoff fliesst aus mythischen Erzählungen des Heidentums, die, sich an einen christlichen Helden anlehnend, dadurch ein längeres Leben fristeten. Viele Legenden wurden älteren nachgemacht, besonders in den Klöstern, welche für ihre Reliquien auch der Legende bedurften. Bald hatte man Legenden für jeden Tag im Jahre, die seit dem 10. Jahrhundert in kleinere Sammlungen vereinigt wurden. Die verbreitetste Legendensammlung aber des Mittelalters war die Legenda aurea des Jacobus a Voragine, Erzbischof von Genua, gestorben 1298; durch zahllose Abschriften verbreitet und in fast alle lebenden Sprachen übersetzt, entsprach das Buch für den praktischen Gebrauch auf der Kanzel und beschränkte den ganzen Kreis der Heiligengeschichte auf den Umfang eines Bandes.

Ausser der Heiligenlegende hat das Mittelalter auch einen reichen Legendencyklus entwickelt, der sich[572] an Christus, an Maria und zum Teil an die Apostel, namentlich an Petrus anschliesst; die Quellen derselben waren besonders die apokryphischen Evangelien, wie das des Nikodemus und der Kindheit Jesu und apokryphische Darstellungen des Lebens der Maria. Diese Legenden sowohl als die eigentlichen Heiligenlegenden sind seit dem 12. Jahrhundert von deutschen Dichtern geistlichen oder höfischen Standes vielfach bearbeitet worden, so der heilige Anno, Erzbischof von Köln, gestorben 1075, Aegidius, Crescentia, Johannes der Täufer, Margareta, Servatius, Paulas, Veronica, Pilatus, die heilige Elisabeth, Gregorius auf dem Steine von Hartmann von Aue, der arme Heinrich von eben demselben, Barlaam und Josaphat, ursprünglich das Leben Buddhas, aber schon im christlichen Orient zur Legende umgebildet, Silvester und viele andere. Schliesslich bearbeitete ein unbekannter Dichter des 13. Jahrhunderts in seinem Passional den Gesamtstoff in drei Büchern, deren erstes dem Leben Jesu und Mariens, das zweite den Aposteln und Evangelisten, das dritte nach der Ordnung des Kirchenjahres den anderen Heiligen gewidmet ist. Das Gedicht umfasst mehr als 100000 Zeilen. Derselbe ungenannte Prediger beschrieb auch in einem andern Werke, der veter buoch, das Leben der sogenannten Altväter oder ersten Mönche. Die letzten Jahrhunderte des Mittelalters bearbeiten Legenden mit Vorliebe in deutscher Prosa, sowohl einzeln als in ganzen Sammlungen. Das letztere that u.a. Hermann von Fritzlar im 14. Jahrhundert und zwar wieder durch alle Monate hin nach der Folge der Namenstage in: daz buoch von der heiligen lebine; andere spätere Sammlungen, die den Namen Passionale aller Heiligen oder der Heiligen Leben tragen, sind im 15. Jahrhundert durch frühen Druck vervielfältigt worden, zuerst Augsbürg 1471; sie pflegen in Sommerteil und Winterteil getrennt zu sein. Wattenbach, Geschichtsquellen und Wackernagel, Literaturgeschichte.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 572-573.
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