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Deutsches Recht

[560] Deutsches Recht nennt man in der allgemeinsten Bedeutung den Inbegriff der Rechte und Gesetze, welche sich bei den Völkern germanischer Abstammung vorfinden, jedoch nur insofern sie aus der Eigenthümlichkeit dieser Völker selbst hervorgegangen und nicht fremden, dem röm. und kanonischen Rechte, entlehnt sind; namentlich gehört dahin das Recht der Schweizer, Franzosen, Belgier und Holländer, der Engländer, Dänen, der Kur- und Liefländer und einiger ital. und span. Völkerschaften. In engerer Bedeutung begreift man aber nur die Rechte darunter, welche in Deutschland selbst entstanden und von dessen Bewohnern befolgt worden sind oder noch werden. In beiden Bedeutungen versteht man zuweilen auch die Bestimmungen mit darunter, welche dem Staats-, dem Kirchen-, dem Lehn-, dem Proceß-, dem Criminal-, dem Policei- und dem Privatrechte angehören. Am gewöhnlichsten aber wird nur das Privatrecht gemeint, wenn man vom deutschen Rechte redet, und nur dieses ist, gesondert von den fremden Rechten, einer eignen wissenschaftlichen Bearbeitung unterworfen und auf Universitäten zum Gegenstande besonderer Lehrvorträge gemacht worden. Die große Vorliebe der ältern Rechtslehrer für die fremden Rechte vernachlässigte lange das einheimische gänzlich und erst die neuere Zeit verschaffte ihm die gebührende Anerkennung. Dieses deutsche Privatrecht oder der Inbegriff aller aus ursprünglich deutschen Gesetzen und Gewohnheiten, sowie aus der Natur deutscher Rechtsinstitute abgeleiteter Grundsätze über privatrechtliche Verhältnisse, steht zwar dem röm. Rechte an Reichhaltigkeit der Bestimmungen, scharfsinnigen Erläuterungen und Unterschieden und an philosophischem Geiste nach, erhält aber besondern Werth dadurch, daß es aus dem Volke selbst hervorgegangen und deshalb den Sitten, Gewohnheiten, dem Charakter und der Gefühlsweise desselben genau angepaßt ist; daß es neben dem strengen Rechte auch die Billigkeit berücksichtigt und oft mit großer Zartheit und Sinnigkeit entscheidet; endlich aber über eine Menge von Rechtsinstituten Aufschluß gibt, welche für die Gegenwart von großer Wichtigkeit sind, den Römern aber gänzlich unbekannt waren. Als die älteste Quelle über die Rechtsverhältnisse unserer Vorfahren ist das berühmte Werk des röm. Geschichtschreibers Tacitus über die Lage, die Sitten und die Völker Deutschlands zu betrachten; ihm schließen sich die Volksrechte der einzelnen germanischen Stämme an, welche von den fränk. Königen vom Anfange des 6. Jahrh. bis zu Karl dem Großen gesammelt und in lat Sprache abgefaßt wurden, wie die Gesetze der Franken, der Bojoarier, Friesen, Sachsen u.s.w. Nach dem Verschwinden der alten Volksrechte und der fränk. Gesetze beruhte bei der Ohnmacht der damaligen Reichsgesetzgebung wiederum meist Alles auf ungeschriebenen Gewohnheiten, auf den Weisungen und Entscheidungen der Richter und auf Verträgen der Betheiligten, und erst seit dem 12. und 13. Jahrh. begann von Neuem die Aufzeichnung der bei einzelnen Volksstämmen, bei Gerichten und einzelnen Städten gültigen Gewohnheitsrechte. Zu diesen spätern höchst wichtigen Quellen gehören: der sogenannte Sachsenspiegel, eine von einem anhalt. Edelmanne, Eike von Repgow, zwischen 1215–18 veranstaltete Sammlung sächs. Rechtsgewohnheiten und Gesetze; der Richtsteig Land- und Lehnrechts, welcher eine Beschreibung des sächs. Verfahrens bei Land- und Lehnsstreitigkeiten enthält; der zwischen 1268–82 erschienene sogenannte Schwabenspiegel, welcher die im Reiche (im Gegensatze von Sachsen) üblichen Rechte enthält, und das sogenannte Kaiserrecht. Außer diesen Privatsammlungen erschienen unter öffentlicher Autorität Landrechte, wie das jülichsche, das östr. das bair., friesische u.s.w.; Stadtrechte, wie das soester, das lübische, strasburger u.s.w. und Weisthümer oder Verträge, welche über verschiedene Fragen des Rechts zwischen Landesherren und Gemeinden errichtet wurden. Zu den neuesten Quellen des deutschen Rechts gehören die Reichsgesetze und diejenigen Bestimmungen der Gesetze einzelner Länder und Städte, welche als eigenthümlich deutsche angesehen werden können und sich in den verschiedenen Landschaften gleichmäßig vorfinden, sowie allgemein angenommene deutsche Rechtsgewohnheiten. Das Verhältniß des deutschen Rechts zu dem fremden beruht auf dem Grundsatze, daß das letztere erst dann zur Anwendung kommen kann, wenn das einheimische Recht schweigt, doch auch in diesem Falle muß nach der Natur der Sache entschieden werden, wenn es sich um ein Verhältniß handelt, welches dem fremden Rechte durchaus unbekannt war, denn verkehrt ist es, röm. Rechtsgrundsätze auf rein deutsche, den Römern ganz unbekannte Fälle anzuwenden, wie es von ältern Juristen sehr häufig geschah.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 560.
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