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Natolien

[245] Natolien oder Anadoli, d.h. das Land gegen Sonnenaufgang, die Levante, begreift im weitern Sinne die asiat. Halbinsel zwischen dem schwarzen, mittelländischen und ägäischen Meere, für welche seit dem 4. Jahrh. auch der Name Kleinasien gebräuchlich ist, im engern Verstande aber nur den westl. Theil derselben. Dies von der Natur gesegnete Land umfaßt mehr als 8000 ! M., wird durch Gebirge und Hochebenen vom übrigen Asien getrennt und ist das reichste und volkreichste Gebiet des osman. Reichs. Die dasselbe durchziehenden Bergreihen laufen zwar unregelmäßig, im Allgemeinen aber mit der Meeresküste parallel; der Taurus, in welchem der Euphrat entspringt, verzweigt sich über das Land und setzt sich westl. im Tmolus und Sipylus fort. Von den Strömen fallen der Kisil-Irmak oder Halys und Jeschil-Irmak oder Fluß von Tokat ins schwarze Meer, der Hermus oder Sarabat und der Mäander ins ägäische und viele kleine Flüsse ins Mittelmeer. Das Klima ist im Allgemeinen gesund, in den meisten Thälern mild und lieblich, im Hochgebirge rauh, in den Ebenen an manchen Stellen sehr heiß und wenig zuträglich. Auch für den Handel wichtige Landeserzeugnisse sind: Seide, Baumwolle, Kamelhaare, Wolle, Leder, Holz, Terpenthin, Galläpfel, Taback, Safran, Storax, Rosinen, Feigen, Südfrüchte aller Art, Honig und Wachs. Die Gebirge sind sehr metallreich, der Bergbau aber wird schlecht betrieben. Der Handel ist wegen der vortheilhaften Lage des Landes seit den ältesten Zeiten von Bedeutung gewesen, obwol ihm jetzt weder Sicherheit noch Aufmunterung zu Theil wird und weder gute Straßen noch Kanäle vorhanden sind und wird zu Lande, besonders von Smyrna, Angora, Tokat und Brusa aus durch Karavanen betrieben. Diese Städte und manche andere liefern auch mehre gesuchte Fabrikate, z.B. Baumwollenwaaren, Leinwand, Teppiche, Saffian und Maroquin, Kupfer-, Glas- und Stahlwaaren.

Die etwa 5 Millionen starke Bevölkerung ist sehr mannichfaltig. In den Städten leben überall viele Griechen und Armenier neben den Türken, in den Küstenplätzen Europäer von allen handeltreibenden Nationen, auf dem platten Lande ziehen Turkomanenhorden mit ihrem Vieh umher, und in manchen Gebirgsgegenden Kurden. N. begreift die sechs Ejalets oder Statthalterschaften Anadoli, Adana, Karamanien, Marasch, Siwas und Trebisond, die wieder in Liwas oder Bezirke zerfallen. Die Hauptstadt des eigentlichen türk. Anadoli ist Kutahije oder Kutaje mit 50,000 Einw.; Brusa oder Bursa im alten Bithynien unsern des 8000 F. hohen Olymp, hat 70000 Einw., ist blühend durch Handel und Gewerbe, zeichnet sich durch schöne Bäder, Springbrunnen und Karavanseraien aus und war lange Zeit Residenz der osman. Sultane. In der Nachbarschaft befinden sich wichtige Meerschaumgruben, in denen gegen 700 Menschen arbeiten. Die wichtigste Stadt ist Smyrna, in einer herrlichen Gegend, im Hintergrunde des nach ihr benannten Meerbusens, mit vortrefflichem Hafen. Sie ist der Haupthandelsplatz der Levante und zählt unter ihren 130,000 Einw. zahlreiche Franken, die ein eignes Stadtviertel inne haben. Pergamus, wo das Pergament erfunden wurde, ist auch jetzt noch ein lebhafter Ort. Vor der Küste im ägäischen Meere liegen die Inseln Lesbos oder Metelin, das durch seinen Mastix berühmte Chios und Samos. Ikonium oder Konieh in Karamanien hat etwa 30000 Einw., viele Moscheen und mohammedanische Schulen; die alte Hauptstadt von Kappadocien, Kalssarieh, zählt 25,000 Einw.; wichtiger ist aber Tokat im Ejalet Siwas, an einem Arme des Kisil Irmak mit 100,000 Einw., der bedeutendste Fabrikort des Landes, wo namentlich viel Kupfer verarbeitet wird. Im alten Galatien liegt Ancyra oder Angora, wo 1402 Timur den Sultan Bajazet besiegte, mit 35,000 Einw. und Fabriken von Kamelgarn. An der Nordküste liegt im alten Paphlagonien der Hafenplatz Sinab oder Sinope, der starken Handel mit Wachs, Honig und Holz treibt; im östl. Pontus finden wir Trapezunt mit 30,000 Einw., das sich in der neuesten Zeit zum bedeutendsten Handelsplatze an dieser Küste des schwarzen Meeres emporgeschwungen hat. An der Westküste liegt die Stadt Bunarbaschi in der Nähe des alten Troja; vor der Südküste die einst so berühmte Insel Rhodus (s.d.). Tarsus, die alte Hauptstadt von Cilicien, hat noch jetzt 30,000 Einw.; in seiner Nähe liegt Adana, wovon eine Provinz den Namen hat und den Küsten Ciliciens gegenüber die Insel Cypern (s.d.).

Kleinasien umfaßt die alten Landschaften Bithynien, Paphlagonien, Galatien, Phrygien, Mysien, Aeolis, Lydien, Ionien, Lycien, Karien, Pisidien, Lykaonien, Pontus, Cilicien, Pamphylien, Kappadocien, Isaurien, hat eine reiche Geschichte und tritt schon mit dem trojanischen Kriege im 12. Jahrh. v. Chr. aus dem Dunkel hervor. Zu jener Zeit scheinen die asiat. Griechen, wenn auch nicht so kriegerisch als die europ., doch bereits civilisirter gewesen zu sein. Späterhin blühten in den ionischen Küstenstädten Wissenschaften und Künste, besonders Dichtkunst, Bildhauerei und Baukunst. Die Phrygier, mit ihrer eigenthümlichen Cultur, galten selbst im Alterthume für älter als die Ägypter. Lydien erhob sich im 6. Jahrh. zu Macht und Glanz, bis es von den Persern bezwungen ward, die dann zwei Jahrhunderte lang vorherrschend waren und fast ununterbrochene Kriege mit den Griechen führten, bis Alexander ihr Reich vernichtete, nach dessen Tode mehre seiner Nachfolger dort Reiche gründeten. Später entstand das Königreich Pergamus, in welchem die Wissenschaften eine gedeihliche Stätte fanden und dessen Beherrscher, als Freunde und Verbündete der Römer, die nun auch hier festen Fuß gewannen, angesehen und mächtig wurden. Nach Besiegung des Mithridates (s.d.) blieb ganz Kleinasien röm. Provinz und hier war es, wo sich in den ersten Jahrhunderten n. Chr. das Christenthum schneller als irgend anderswo ausbreitete und von den vielen Kirchenversammlungen, welche später in mehren Städten Kleinasiens gehalten wurden, sind manche von wesentlichem Einflusse auf die Glaubenslehre gewesen. Da Kleinasien von Arabien weit entfernt liegt, und durch das Meer und sein Hauptbollwerk, den Taurus, gegen äußere Feinde geschützt war, so hatte es, seit der Theilung des röm. Weltreichs ein Bestandtheil des byzantinischen Kaiserthums, nur vorübergehend von den Sarazenen zu leiden. Später aber kamen die Türken von Nordosten her, eroberten Persien, überschritten den Euphrat und gründeten ein mächtiges Reich in Karamanien oder der Gegend, welche das alte Pamphylien, Pisidien, Lykaonien und Kappadocien in sich [245] begreift. Mit diesen Türken, deren Hauptstadt Ikonium oder Konieh wurde, trafen die ersten Kreuzfahrer auf ihrem Zuge nach dem gelobten Lande zusammen und brachten ihnen große Verluste bei, bis sich unter der osman. Familie alle kriegerischen Stämme der Türken vereinigten und abermals ein mächtiges Reich bildeten, dessen Kern Kleinasien blieb, wiewol schon im 14. Jahrh. streitbare Heerhaufen nach Europa übersetzten und Adrianopel ihre Hauptstadt ward. Seit der Mitte des 15. Jahrh. steht das ganze Land unter türk. Herrschaft. (S. Osmanisches Reich.)

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 245-246.
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