[go: up one dir, main page]

Juste Milieu (franz. „richtige Mitte“, „Beibehalten des Mittelmaßes“) ist ein Schlagwort, das in verschiedenen Bereichen benutzt wird.

Literaturwissenschaft

Bearbeiten

In zahlreichen Komödien von Molière treten den Protagonisten, die sich durch ein lächerliches Übermaß eines bestimmten Charakterzuges (Geiz in Der Geizige, Hypochondrie in Der eingebildete Kranke usw.) auszeichnen, sogenannte „Räsonierer“ entgegen, die von der Vernunft geleitet sind. Diese werden in der Literaturwissenschaft als Verkünder einer „Moral des juste milieu“ bezeichnet.[1] Als Beispiel dient das Zitat aus dem ersten Akt von Molières Schule der Ehemänner:

„Toujours au plus grand nombre on doit s'accommoder, // Et jamais il ne faut se faire regarder.“
„Stets sollte man sich der größeren Zahl anpassen, und niemals sich auffällig sehen lassen.“

Politisches Schlagwort

Bearbeiten

Als politisches Schlagwort wurde Juste milieu nach der französischen Julirevolution von 1830 zur Charakterisierung der politischen Leitkategorie des „Bürgerkönigs“ Louis Philippe sowie der tonangebenden bürgerlichen Gesellschaftsschicht verwendet. Ein prominenter Theoretiker des Juste Milieu war Benjamin Constant.

Der Begriff fand unter Vermittlung des Jungen Deutschland Eingang in den deutschsprachigen Raum. Er diente insbesondere den Autoren des Vormärz für ihre Angriffe gegen die politischen „Halbheiten“ und die vorherrschenden wirtschaftsliberalen Grundsätze der Zeit, versinnbildlicht im Motto des Enrichissez-vous. Karl Gutzkow bezeichnete das Juste Milieu als „Glaubensbekenntniß [von Börsenmännern], das es mit Niemanden verderben will, und das überall unterliegen muß, wo es Doktrin ist, und mit positiven Zwecken umgeht, da aber die Oberhand behält, wo es nur eine Maaßregel der Schlauheit und klugen Berechnung eines Einzelnen ist“.[2]

In Frankreich ging der Begriff des Juste Milieu während des Zweiten Kaiserreichs und der Dritten Republik in den der mittleren und hohen Bourgeoisie beziehungsweise des Großbürgertums über. In der politischen Diskussion erscheint er heute noch als polemisches Schlagwort gegen dominierende zentristische und vermittelnde Positionen.

Zum Wahlkampf 1972 in Westdeutschland schrieb Werner A. Perger in der Zeit, dass der Kanzler der sozialliberalen Koalition Willy Brandt bei seinem Amtsantritt das konservative „Juste Milieu“, hier waren die CDU/CSU und deren Verbündete in Wirtschaft und Gesellschaft gemeint, mit den Worten schockiert habe: „Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an.“[3]

Automobilgeschichte

Bearbeiten

Der französische Fahrzeughersteller Hotchkiss war ursprünglich ein Rüstungsbetrieb und hatte wie auch andere Betriebe nach dem Ersten Weltkrieg eine Alternative im Bereich der Automobilproduktion gefunden. In den 1930er Jahren positionierte sich Hotchkiss in der Lücke zwischen Massenproduktion und Einzelfertigung und warb mit dem Slogan „le juste milieu“ für die eigenen Fahrzeuge. Mit hochwertigen, aber stilistisch eher unauffälligen Fahrzeugen richtete Hotchkiss sich an den gehobenen Mittelstand Frankreichs. Man bediente Qualitätsansprüche, die über die Massenware hinausgingen, welche z. B. von Citroën, Peugeot, Renault, Mathis gefertigt wurde. Gleichzeitig galt es, Fahrzeuge zu liefern, die günstiger und weniger flamboyant waren als die Luxuskarossen von z. B. Delahaye.

Siehe auch

Bearbeiten

Literatur

Bearbeiten
  • Karl Heinz Bohrer: Surrealismus und Terror oder die Aporien des Juste-milieu. In: Die gefährdete Phantasie, oder Surrealismus und Terror. Carl Hanser, München 1970, S. 32–61.
  • Heinz Maus (Autor), Michael Th. Greven (Hrsg.), Gerd van de Moetter (Hrsg.): Die Traumhölle des Juste Milieu. Erinnerung an die Aufgaben der Kritischen Theorie. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt/M. 1981, ISBN 3-434-00493-9.

Fußnoten

Bearbeiten
  1. La doctrine littéraire de Molière dans „l’Impromptu“ (franz.).
  2. Augsburger Allgemeine Zeitung vom 23./25. Mai 1835. Zitiert nach: Gutzkows Werke und Briefe – Kommentierte digitale Gesamtausgabe (1. Oktober 2006).
  3. Werner A. Perger: Wahlkampf 1972: Die Mutter aller Wahlschlachten Die Zeit, 10. August 2013