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Interkulturelle Philosophie

Denkrichtung der Philosophie

Der Ausdruck Interkulturelle Philosophie bezeichnet eine eigene Denkrichtung in der Philosophie, welche ausdrücklich verschiedene philosophische Kulturen berücksichtigt (Interkulturalität).

Dabei können drei wichtige Argumentationslinien unterschieden werden:

  1. eine vergleichende Absicht, die stark mit Bemühungen um eine interkulturelle Hermeneutik verbunden ist und z. B. nach „kulturellen Überlappungen“ sucht,
  2. eine philosophiegeschichtliche Stoßrichtung, die auf die verschiedenen „Geburtsorte“ der Philosophie hinweist,
  3. eine Bemühung um eine interkulturelle Transformation der Philosophie.

Methodisch wird dabei versucht, kein Begriffssystem zu privilegieren und partikulare hermeneutische Vorannahmen einzuklammern.[1]

Die Grundlegung einer interkulturellen Philosophie umfasst daher die Diskussion der sich aus einem solchen Ansatz ergebenden praktischen, methodischen, wissenschaftstheoretischen und erkenntnistheoretischen Probleme sowie der zugrundezulegenden Begriffe.

Anliegen und erkenntnistheoretische Grundlagen

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Entstanden ist die interkulturelle Philosophie Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts vor allem wegen der Einsicht in die Herausforderungen der (neoliberalen) wirtschaftlichen und politischen Globalisierung und deren Tendenz zu einer (kulturellen) Vereinheitlichung sowie der zunehmenden Begegnungen und Konflikte der Kulturen. Primär wird die Notwendigkeit des kulturellen Austausches betont, was im Blick auf die Philosophie u. a. mit der Grundannahme der Kontextualität und Kulturabhängigkeit jeden Denkens und jeder Philosophie begründet wird, was nicht universelle Elemente in ihnen ausschließt (weshalb manche interkulturellen Philosophen nach „transkulturellen Überlappungen“[2] suchen). Deswegen ist keine bestimmte Form philosophischer Annahmen oder Vorgehensweisen zu privilegieren. Wie der Wortbestandteil „inter“ (zwischen) verdeutlicht, wird ein Gespräch zwischen verschiedenen Kulturen bzw. philosophischen Positionen angestrebt. Zentrale Anliegen sind dabei eine Überwindung des Eurozentrismus (wie er sich z. B. ganz deutlich in Kants oder Hegels Einschätzung nichteuropäischer Philosophien zeigt), eine Korrektur der postmodernen Fragmentation der Vernunft, eine Überwindung des kulturellen Relativismus (weil dieser auf einem isolationistischen Kulturverständnis basiert), eine Förderung des Dialogs zwischen philosophischen Kulturen, eine Förderung der Entwicklung kontextueller Philosophien usw.

Zwei in den Zielerwartungen unterschiedliche konzeptionelle Ansätze lassen sich unterscheiden:

Kulturübergreifende philosophische Erkenntnisse

Ram Adhar Mall beispielsweise charakterisiert den interkulturellen Ansatz wie folgt:[3] Es würden überkommene „monokulturell zentrierte“, eurozentrisch einseitige „Bilder“ überwunden, auch bezüglich der Philosophiegeschichtsschreibung; an deren Stelle träte eine Vielfalt philosophischer Kulturen, die (potentiell) je eigene Lösungsansätze für bestimmte Fragestellungen anbieten; diese seien prinzipiell gleichberechtigt; kulturelle Pluralität sei so verstanden (ggf.) eine Konfliktanzeige; es werde jedenfalls kein bestimmtes Begriffssystem privilegiert; es gehe nicht um Einheitlichkeit, wohl aber um eine in „vielen Namen“ erfasste Einheit, zu welcher die vielen Philosophien Wege weisen; es werde begriffliche Konkordanz angezielt und die Allgegenwart einer philosophia perennis in vielen Rassen, Kulturen und Sprachen „hörbar gemacht“. Damit sei Interkulturelle Philosophie eine notwendige Bedingung für die Möglichkeit einer komparativen Philosophie, die mehr sein kann als „ein bloßes Nebeneinander“. Mit ähnlichen Erwartungen formuliert Gregor Paul seinen programmatischen Ansatz.

Betonung der Kulturabhängigkeit von Philosophie und Denken

Einen solchen Einheitsbezug gibt es bei Raúl Fornet-Betancourt (oder Raimon Panikkar) nicht; dieser versteht seinen Ansatz interkultureller Philosophie in bewusster Absetzung von einer komparativen Philosophie, die immer Philosophien zum Thema habe, wogegen er solche Vergleiche überwinden will und mit dem Ziel arbeitet, „Philosophie im Sinne eines ständig offenen Prozesses zu realisieren, in dem die philosophischen Erfahrungen der gesamten Menschheit immer wieder zusammenkommen und lernen, miteinander zu leben.“[4] Insofern geht es ihm um die kritische Öffnung und Relativierung der eigenen Tradition und Kultur durch Kennenlernen der Andersheit und genauere Selbsterkenntnis. Voraussetzungen eines interkulturellen Dialogs[5] seien ein Bewusstsein von der kulturellen Bedingtheit jedes Sprechens. Universalität müsse im Sinne von Sartre so verstanden werden, dass diese erst durch eine Dialektik von Subjektivitäten konfiguriert werde. Universelles sei daher per se singularisiert, man könne sich also nicht „in der Universalität einrichten“. Umgekehrt sei Singuläres insofern universell, als Subjektivität permanent besteht in einer offenen Bewegung der Konstitution und Totalisierung von Sinn in den Kulturen und im Gesamtprozess der Geschichte der Menschheit. Anthropologisch invariant sei nur dies, dass jeder Mensch Quelle von Exteriorität und Unbestimmtheit ist und sich in seiner „subjektiven Reflexion“ um die eigene nicht-entfremdete Freiheit sorgt. Diese schließe die Pflicht zur rationalen Begründung der Existenz ein, insbesondere der Denk- und Handlungsweisen vor sich selbst und anderen.

Methoden

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Einer der bekanntesten Vertreter „interkultureller Philosophie“ ist der Kulturphilosoph Franz Martin Wimmer. Dieser beschreibt seine Motivation dahingehend, dass zu jeder Sachfrage möglichst viele Traditionen einzubeziehen seien; Wimmer spricht von Polylog (gr. poly = viel, gr. logos = u. a. Rede, Denken).[6]

Geschichtsphilosophische Grundlagen

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Hegels Geschichtsphilosophie ging von einem durch die absolute Vernunft vermittelten notwendigen Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit als Weltgeschichte aus. Diese Annahme wird von Franz Martin Wimmer und Ram Adhar Mall geteilt, aber so verstanden, dass die Denkgeschichte „transkulturelle Überlappungen“ in dem Sinne aufweise, dass „gut begründete Thesen in mehr als nur einer kulturellen Tradition entwickelt worden sind.“[7] Raúl Fornet-Betancourt nimmt einen solchen Einheitsbezug oder ein solches konkordantes Einheitsziel nicht an.

Praktisch-philosophische Voraussetzungen

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Die praktisch-philosophischen Grundlagen interkultureller Philosophie sind von dem Versuch geprägt, andere Kulturen und Philosophien vorurteilsfrei als prinzipiell gleichrangig und tolerant zu behandeln. Letzteres betont z. B. Hamid Reza Yousefi.[8] In seinem Werk Interkulturalität und Geschichte bezeichnet Yousefi die Interkulturalität als der Name einer „Theorie und Praxis, die sich mit dem historischen und gegenwärtigen Verhältnis aller Kulturen und der Menschen als ihrer Träger auf der Grundlage ihrer völligen Gleichwertigkeit beschäftigt. Sie ist eine wissenschaftliche Disziplin, sofern sie diese Theorie und Praxis methodisch untersucht.“ In diesem Sinne unterscheidet er zwischen einer historischen, einer systematischen und einer vergleichenden Interkulturalität. Auf dieses Vorverständnis gründet Yousefi seine Sicht der Interkulturellen Philosophie. Er versteht diese als Name einer erkenntnistheoretischen Denkform, welche seiner Ansicht nach, alle Formen des Denkens, Redens und Handelns in Theorie und Praxis der Geschichte und Gegenwart umfasst.

Einige Ansätze interkultureller Philosophie nehmen Bezug auf Diskussionen zum Differenzbegriff, wie sie bei Theodor W. Adorno, Emmanuel Levinas, Gilles Deleuze und anderen zu finden sind.[9]

Siehe auch

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Literatur

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Grundlagen, Einführungen und Überblicke

  • Munasu Duala-M'bedy: Xenologie. Die Wissenschaft vom Fremden und die Verdrängung der Humanität in der Anthropologie. Fermenta philosophica. Freiburg i. Br. / München: Karl Alber 1977, ISBN 3-495-47350-5
  • Csaba Földes/Marc Weiland: Blickwinkel und Methoden einer integrativen Kulturforschung: Aktuelle Perspektiven interkultureller Philosophie als Grundlagenwissenschaft. In: Eruditio – Educatio. (Komárno) 4 (2009) 3. S. 5–34. Volltext im Internet (PDF; 1,7 MB)
  • Raúl Fornet-Betancourt: Transformación intercultural de la filosofía. Bilbao 2001.
  • Raúl Fornet-Betancourt: Lateinamerikanische Philosophie zwischen Inkulturation und Interkulturalität. Frankfurt a. M. 1997.
  • Thomas Fornet-Ponse: Ökumene in drei Dimensionen. Jüdische Anstöße für die innerchristliche Ökumene. Münster 2011, S. 22–72.
  • Franz Gmainer-Pranzl: Heterotopie der Vernunft. Skizze einer Methodologie interkulturellen Philosophierens auf dem Hintergrund der Phänomenologie Edmund Husserls. Wien/Berlin 2007.
  • Heinz Kimmerle: Interkulturelle Philosophie zur Einführung. Hamburg: Junius Verlag 2002, ISBN 978-3-88506-366-7 Online-Fassung.
  • Jacob Mabe: Zur Theorie und Praxis interkultureller Philosophie. Sonderdruck aus Hamid Reza Yousefi und Klaus Fischer (Hrsg.): Interkulturalität. Diskussionsfelder eines umfassenden Begriffs. Nordhausen 2010.
  • Ram Adhar Mall: Philosophie im Vergleich der Kulturen. Interkulturelle Philosophie – eine neue Orientierung. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1995
  • Gregor Paul: Einführung in die Interkulturelle Philosophie. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 2008
  • Guido Rappe: Interkulturelle Ethik: Historisch-kritische Untersuchungen zur Grundlegung einer kulturübergreifenden Ethik unter besonderer Berücksichtigung antiker Theorie und Praxis in China und Griechenland (Mehrteiliges Werk). Berlin, Bochum, London, Paris 2004–2010
  • Hans Rainer Sepp: Über die Grenze. Prolegomena zu einer Philosophie des Transkulturellen. libri nigri Band 1. Nordhausen: Traugott Bautz, ISBN 978-3-88309-793-0
  • Georg Stenger: Interkulturelles Denken – Eine neue Herausforderung für die Philosophie. Ein Diskussionsbericht, in: Philosophisches Jahrbuch 1996, 90-103.323-338
  • Georg Stenger: Philosophie der Interkulturalität. Erfahrung und Welten. Eine phänomenologische Studie. Freiburg i. Br. / München: Karl Alber 2006, ISBN 978-3-495-48136-3
  • William Sweet: What is Intercultural Philosophy? Washington, DC, 2015.
  • Franz Martin Wimmer: Interkulturelle Philosophie. UTB 2004
  • Hamid Reza Yousefi, Ina Braun: Interkulturalität. Eine interdisziplinäre Einführung; Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2011; ISBN 978-3-534-23824-8
  • Hamid Reza Yousefi: Interkulturalität und Geschichte. Perspektiven für eine globale Philosophie. Hamburg 2010.
  • Hamid Reza Yousefi: Grundpositionen der interkulturellen Philosophie. Nordhausen: Traugott Bautz 2005
  • Giovanni Tidona: Das Fremde. Ein Wegweiser durch die Xenologie, Königshausen & Neumann, Würzburg, 2024.
  • Niels Weidtmann: Interkulturelle Philosophie. Aufgaben – Dimensionen – Wege (= UTB, Bd. 3666). A. Francke, Tübingen 2016, ISBN 978-3-8252-3666-3.

Schriftenreihen

  • Denktraditionen im Dialog – Schriften zur Befreiung und Interkulturalität. Frankfurt: IKO Verlag 1997–2008 (Bände 1-28); Aachen: Wissenschaftsverlag Mainz seit 2009 (Bände 29-)
  • Concordia – Reihe Monographien. Aachen: Wissenschaftsverlag Mainz seit 1987
  • Interkulturelle Bibliothek. Hrsg. von Hamid Reza Yousefi, Klaus Fischer, Philipp Thull, Harald Seubert und Ina Braun. Verlag Traugott Bautz, Nordhausen 2005 ff.
  • libri nigri. Denken über Grenzen. Hrsg. am Mitteleuropäischen Institut für Philosophie von Hans Rainer Sepp. Verlag Traugott Bautz, Nordhausen 2011 ff.

Speziellere Literatur

  • Hamid Reza Yousefi u. a. (Hrsg.): Viele Denkformen – eine Vernunft?. Über die vielfältigen Gestalten des Denkens. Nordhausen 2010.
  • Rolf Elberfeld: Phämenologie der Zeit im Buddhismus. Methoden des interkulturellen Philosophierens. Verlag Frommann Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 2. Aufl. 2010, ISBN 978-3-7728-2227-8 Elberfeld diskutiert Texte zum Zeit-Phänomen von vier Denkern aus Indien, China und Japan
  • Rolf Elberfeld: Sprache und Sprachen. Eine philosophische Grundorientierung. Verlag Karl Alber, Freiburg i. Br. / München 2012, ISBN 978-3-495-48476-0 Fragen des Selbst-, Fremd- und Weltverstehens im Zusammenhang mit verschiedenen Sprachen und Sprachebenen
  • Thomas Fornet-Ponse: Interkulturelle Philosophie und Interreligiöser Dialog, in: Salzburger Theologische Zeitschrift 12 (2008) 230-243.
  • Franz Gmainer-Pranzl: „Atopie“ – „Responsivität“ – „Polylog“. Zu einigen Konversionsprinzipien interkulturellen Philosophierens, in: Salzburger Zeitschrift für Philosophie 52 (2007), 31-50.
  • Susanne Köb: Wozu reist du? Die Bedeutung der Urlaube für dein Leben. AgilEdition 2015.www.wozureistdu.at
  • Klaus Lösch: Interkulturalität: Kulturtheoretische Prolegomena zum Studium der neueren indianischen Literatur Nordamerikas, Diss. Universität Erlangen-Nürnberg 2000.

Zeitschrift

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Einführende Informationen

Organisationen

Spezielleres

Bibliographien und Linksammlungen

Einzelnachweise

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  1. Ram Adhar Mall 2003 i Aufsatz: "Zur Begriffsklärung in der interkulturellen Philosophie", herausgegeben von Hamid Reza Yousefi in "Ram Adhar Mall – Essays zur interkulturellen Philosophie" 39 – 43
  2. F. Wimmer, Interkulturelle Philosophie. Eine Einführung. Wien 2004, 51.
  3. Das Konzept einer interkulturellen Philosophie, Polylog, Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren 1 (1998)
  4. R. Fornet-Betancourt, Lateinamerikanische Philosophie zwischen Inkulturation und Interkulturalität. Frankfurt a. M. 1997, 103.
  5. Fornet-Betancourt: Philosophische Voraussetzungen des interkulturellen Dialogs
  6. Thesen, Bedingungen und Aufgaben interkulturell orientierter Philosophie, in: polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren 1 (1998), 5-12.
  7. Dies nimmt eine Formulierung von Sven Sellmer in Polylog Nr. 19 (2008) auf; dort findet sich ein Beispiel für die Suche nach derartigen "Überlappungen".
  8. Vgl. z. B. Yousefi, Toleranz als Weg zur interkulturellen Kommunikation und Verständigung (PDF; 227 kB). Dort wird u. a. formuliert: "Gleichrangigkeit, Achtung voreinander, Offenheit im Blick auf die zu erwartenden Ergebnisse, Einbeziehung nicht-verbaler Kommunikationsformen, Einsicht in die Grenzen des gegenseitigen Verstehens kennzeichnen solche [interkulturellen] Dialoge."
  9. So z. B. Heinz Kimmerle: Das Denken der Differenz als Erschließung eines neuen Gebiets der Philosophie