[go: up one dir, main page]

Arthropleura

Gattung der Familie Arthropleuridae

Arthropleura ist eine Gattung ausgestorbener landbewohnender Gliederfüßer aus dem späten Paläozoikum von Nordamerika und Europa. Sie ist vom obersten Viséum (oberes Unterkarbon) bis ins Unterperm nachgewiesen. Die Vertreter dieser Gattung erreichten eine Länge von mehr als 2,5 Metern[2][3] und waren damit die größten jemals lebenden Gliederfüßer.[4] Durch ihre Größe standen sie in Konkurrenz zu den zeitgenössischen Landwirbeltieren (Tetrapoda). Ihre nächsten lebenden Verwandten sind vermutlich die Tausendfüßer (Myriapoda).

Arthropleura

Reste des Rückenskeletts von Arthropleura armata im Senckenberg Museum in Frankfurt am Main.

Zeitliches Auftreten
Oberstes Viséum bis Unterperm
332 bis 290 Mio. Jahre
Fundorte
Systematik
Häutungstiere (Ecdysozoa)
Gliederfüßer (Arthropoda)
Tracheentiere (Tracheata)
Tausendfüßer (Myriapoda ?)
Arthropleuridea
Arthropleura
Wissenschaftlicher Name
Arthropleura
Jordan & von Meyer 1854[1]
Arten
  • Arthropleura armata Jordan & von Meyer 1854
  • Arthropleura mammata (Salter 1863)
  • Arthropleura britannica Andrée 1910
  • Arthropleura moyseyi Calman 1914
  • Arthropleura maillieuxi Pruvost 1930
  • Arthropleura cristata Richardson 1959

Die Art Arthropleura armata wurde von der Paläontologischen Gesellschaft zum Fossil des Jahres 2015 gewählt.[5]

Körperbau

Bearbeiten

Das Außenskelett bestand aus ungefähr 32 Körpersegmenten, mit je einem Beinpaar. Die größten Körpersegmente waren 48 Zentimeter breit. Die Körpergröße ist vermutlich auf den hohen Sauerstoffgehalt von 35 % und die hohe Luftfeuchtigkeit in den Farnwäldern des Karbons zurückzuführen, was bei vielen Gliederfüßern mit ihrem nahezu vollständig passiven Transport der Luft über Tracheen ins Körperinnere einen Riesenwuchs förderte.[6] Im Gegensatz zu den modernen Tausendfüßern, zu deren engerer Verwandtschaft Arthropleura gezählt wird, war der Rumpf-Querschnitt nicht annähernd kreisförmig, sondern abgeflacht, mit einer geraden Ventral- und einer schwach konvexen Dorsalseite.[3]

Aus den Überresten des größten bislang gefundenen Exemplars wurde auf eine maximale Körperlänge von rund 2,6 m, eine Breite von 55 cm und ein Gewicht von 50 kg geschlossen.[3]

 
Fossile Fährte eines großen Arthropoden, die vermutlich von einem Vertreter der Gattung Arthropleura hinterlassen wurde. Das Sediment, in welches die Spuren im Oberkarbon eingedrückt wurden, ist heute zu einem Sandstein verfestigt. Bei dieser Fährte handelt es sich um das Typus-Exemplar der Ichnospezies Diplichnites cuithensis.[7] Das Foto wurde in der Nähe von Lochranza, Isle of Arran, Schottland aufgenommen

Lebensweise

Bearbeiten

Auf die Ökologie von Arthropleura kann in erster Linie aus den Eigenschaften der Sedimentgesteine geschlossen werden, in denen entsprechende Körper- und Spurenfossilien gefunden wurden. Diese Gesteine wurden zu etwa gleichen Teilen als ursprüngliche Ablagerungen von Sumpfwäldern („Steinkohlewäldern“) und Tiefebenen interpretiert.[8] Über die Nahrungsgewohnheiten können hingegen keine sicheren Aussagen getroffen werden, insbesondere weil die Kopfunterseite nebst dem Kauapparat noch völlig unbekannt ist. Der Grund dafür liegt wahrscheinlich darin, dass es sich bei nahezu allen Körperfossilien von Arthropleura nicht etwa um Überreste verendeter Tiere, sondern um Häutungsreste, sogenannte Exuvien, handelt.[8] Vermutlich ist dies auch einer der Gründe dafür, dass bislang noch keine Exemplare von Arthropleura mitsamt fossil überliefertem Mageninhalt gefunden wurden. Zwar ist 1967 ein Fund eines juvenilen Individuums zusammen mit Resten von Bärlapp-Bäumen vermeldet worden, jedoch hat dessen Neuuntersuchung in den 2000er Jahren ergeben, dass es sich dabei nicht um Mageninhalt, sondern um zufällig zusammen mit den tierischen Überresten überliefertes Pflanzenmaterial handelt.[8] Fossiler Mageninhalt könnte relativ sicher darüber Aufschluss geben, ob Arthropleura ein Pflanzenfresser oder ein Räuber war.

Vorkommen

Bearbeiten

Fossilien von Arthropleura kommen in den Ablagerungen karbonischer und unterpermischer Kohlesümpfe vor. Dort hat man sie sowohl in Europa (Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Polen, Tschechien) als auch in Nordamerika (Pennsylvania, Ohio, Illinois, Neuschottland) gefunden. Die Art Arthropleura cristata stammt aus den berühmten Fossillagerstätten am Mazon Creek in Illinois.[9] Die relativ kleine Typus-Art Arthropleura armata, deren Überreste im Saar-Nahe-Becken gefunden wurden, hat eine Länge von nur einem Meter. Weitere Fundstellen der Gattung auf deutschem Boden befinden sich bei Freital im Döhlener Becken sowie in Manebach bei Ilmenau im Thüringer Wald.[8] Bei den in Chemnitz-Borna-Heinersdorf in der variszischen Frühmolasse (Viséum, höheres Unterkarbon, etwa 332 Millionen Jahre alt) des Hainichener Beckens aufgefundenen Arthropleura-Überresten handelt es sich um den bislang frühesten Nachweis.[8] Auch der bislang jüngste sichere Fund stammt aus Chemnitz, und zwar aus dem Zeisigwald-Tuff (unteres Unterperm, etwa 291 Millionen Jahre alt), in dem auch der berühmte versteinerte Wald überliefert ist.[10]

Eine vollständige Aufstellung der bekannten Körper- und Spurenfossilfundstellen von Arthropleura bzw. Diplichnites findet sich in Davies et al. (2021: Table 1).[3]

Arthropleura spielten unter anderem in den britischen Fernsehserien Prehistoric Park – Aussterben war gestern[11] und Primeval – Rückkehr der Urzeitmonster[12] sowie in dem Kinofilm Im Land der Dinosaurier (Australien, 2014) eine Rolle. Die Darstellung von Arthropleura in all diesen Produktionen, insbesondere in Primeval, entspricht nur teilweise gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen bzw. beinhaltet rein spekulative Aspekte und soll in erster Linie der Unterhaltung der Zuschauer dienen. Im Buch und Hörspiel Die drei ??? und der unsichtbare Passagier spielt ein Arthropleura-Fossil eine wichtige Rolle.

Bearbeiten
Commons: Arthropleura – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Hermann Jordan, Hermann von Meyer: Ueber die Crustaceen der Steinkohlenformation von Saarbrücken. In: Palaeontographica. Bd. 4, 1854, S. 1–15 (Wikisource)
  2. Simon J. Braddy, Markus Poschmann, O. Erik Tetlie: Giant claw reveals the largest ever arthropod. In: Biology Letters. Band 4, Nr. 1, 2008, S. 106–109, doi:10.1098/rsbl.2007.0491.
  3. a b c d Neil S. Davies, Russell J. Garwood, William J. McMahon, Joerg W. Schneider, Anthony P. Shillito: The largest arthropod in Earth history: insights from newly discovered Arthropleura remains (Serpukhovian Stainmore Formation, Northumberland, England). In: Journal of the Geological Society. Band 178, 2021, Art.-Nr. jgs2021–115, doi:10.1144/jgs2021-115; siehe dazu auch Daniel Lingenhöhl: Fossilien: Autogroßer Tausendfüßer machte Europa unsicher. Spektrum.de, 21. Dezember 2021.
  4. Jörg W. Schneider, Ralf Werneburg: Arthropleura, der größte landlebende Arthropode der Erdgeschichte – neue Funde und neue Ideen. In: Semana – naturwissenschaftliche Veröffentlichungen des Naturhistorischen Museums Schloss Bertholdsburg Schleusingen. Band 25, 2010, S. 61–86.
  5. Fossil des Jahres 2015 – Arthropleura armata. Webpräsenz der Paläontologischen Gesellschaft.
  6. J. F. Harrison, A. Kaiser, J. M. VandenBrooks: Atmospheric oxygen level and the evolution of insect body size. In: Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences. Band 277, Nr. 1690, 2010, S. 1937–1946, doi:10.1098/rspb.2010.0001.
  7. D. E. G. Briggs, W. D. I. Rolfe, J. Brannan: A Giant Myriapod Trail from the Namurian of Arran, Scotland. In: Paleontology. Bd. 22, Nr. 2, 1979, S. 273–291 (PDF (Memento des Originals vom 20. Oktober 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/cdn.palass.org 3,0 MB)
  8. a b c d e J. W. Schneider, S. G. Lucas, R. Werneburg, R. Rößler: Euramerican Late Pennsylvanian/Early Permian Arthropleurid/Tetrapod Associations - Implications for the Habitat and Paleobiology of the Largest Terrestrial Arthropod. In: S. G. Lucas, J. W. Schneider, J. A. Spielmann (Hrsg.): Carboniferous-Permian transition in Canon del Cobre, northern New Mexico. New Mexico Museum of Natural History and Science Bulletin. Bd. 49, 2010, S. 49–70. (PDF 7,9 MB)
  9. Eugene S. Richardson: Pennsylvanian invertebrates of the Mazon Creek area, Illinois. Trilobitomorpha: Arthropleurida, II. In: Fieldiana Geology. Bd. 12, Nr. 5, 1959, doi:10.5962/bhl.title.3281
  10. Ronny Rößler, Ludwig Luthardt, Jörg W. Schneider: Der Versteinerte Wald Chemnitz – Momentaufnahme eines vulkanisch konservierten Ökosystems aus dem Perm. In: Jahresberichte und Mitteilungen des Oberrheinischen Geologischen Vereins, N.F. Bd. 97, 2015, S. 231–266, doi:10.1127/jmogv/97/0011 (alternativer Volltextzugriff: ResearchGate).
  11. Artikel Arthropleura aus dem Prehistoric-Park-Wiki. Abgerufen am 19. Dezember 2012.
  12. Artikel Arthropleura aus dem Primeval-Wiki. Abgerufen am 19. Dezember 2012.

Weitere Literaturquellen

Bearbeiten
  • G. Pacyna, S. Florjan, R. Borzęcki: New morphological features of Arthropleura sp. (Myriapoda, Diplopoda) based on new specimens from the Upper Carboniferous of Lower Silesia (Poland). In: Annales Societatis Geologorum Poloniae. Bd. 82, Nr. 2, 2012, S. 121–126 (online)