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Antigorit

Relativ häufig vorkommendes Mineral aus der Serpentingruppe, Magnesium-Schichtsilikat

Antigorit, auch als Blätterserpentin[7] bekannt, ist ein häufig vorkommendes Mineral aus der Serpentingruppe innerhalb der Mineralklasse der „Silikate und Germanate“ mit der idealisierten, chemischen Zusammensetzung Mg6[(OH)8|Si4O10][3] und damit chemisch gesehen ein Magnesium-Silikat mit zusätzlichen Hydroxidionen. Strukturell gehört Antigorit zu den Schichtsilikaten (Phyllosilikaten).

Antigorit
Antigorit-Kristallstufe aus der Tilly Foster Mine, Brewster, Putnam County (New York), USA (Größe: 6,8 cm × 4,4 cm × 2,7 cm)
Allgemeines und Klassifikation
IMA-Nummer

1998 s.p.[1]

IMA-Symbol

Atg[2]

Andere Namen

Blätterserpentin

Chemische Formel
  • Mg3Si2O5(OH)4[1]
  • Mg6[(OH)8|Si4O10][3]
  • (Mg,Fe2+)6[(OH)8|Si4O10][4][5]
Mineralklasse
(und ggf. Abteilung)
Silikate und Germanate
System-Nummer nach
Strunz (8. Aufl.)
Lapis-Systematik
(nach Strunz und Weiß)
Strunz (9. Aufl.)
Dana

VIII/E.10b
VIII/H.27-010

9.ED.15
71.01.02a.01
Kristallographische Daten
Kristallsystem monoklin
Kristallklasse; Symbol monoklin-domatisch; m
Raumgruppe Cm (Nr. 8)Vorlage:Raumgruppe/8[3]
Gitterparameter a = 5,42 Å; b = 9,24 Å; c = 7,27 Å
β = 91,3°[3]
Formeleinheiten Z = 1[3]
Physikalische Eigenschaften
Mohshärte 2,5 bis 3,5
Dichte (g/cm3) gemessen: 2,65; berechnet: 2,61[5]
Spaltbarkeit vollkommen nach {001}, beobachtet nach {100} und {010}[5]
Bruch; Tenazität muschelig, splittrig
Farbe weiß, grau, gelblich, hellgrün bis dunkelgrün, bräunlich
Strichfarbe weiß bis grünlichweiß
Transparenz durchscheinend bis undurchsichtig
Glanz Fettglanz, Seidenglanz, Harz- bis Wachsglanz, erdig matt
Kristalloptik
Brechungsindizes nα = 1,555 bis 1,567[6]
nβ = 1,560 bis 1,573[6]
nγ = 1,560 bis 1,573[6]
Doppelbrechung δ = 0,005 bis 0,006[6]
Optischer Charakter zweiachsig negativ
Achsenwinkel 2V = 20 bis 50°[6]

Aufgrund der Mischkristallbildung mit eisenhaltigen Serpentin-Mineralen wird die Formel in verschiedenen Quellen auch mit (Mg,Fe2+)6[(OH)8|Si4O10][4][5] angegeben, wobei sich die in den runden Klammern angegebenen Elemente Magnesium und Eisen sich in der Formel jeweils gegenseitig vertreten können (Substitution, Diadochie), jedoch immer im selben Mengenverhältnis zu den anderen Bestandteilen des Minerals stehen.

Antigorit kristallisiert im monoklinen Kristallsystem und entwickelt selten kleine, tafelige Kristalle. Meist findet er sich in Form blättriger bis faseriger Mineral-Aggregate von hellgrüner bis dunkelgrüner, seltener auch weißer, grauer, gelblicher oder bräunlicher Farbe.

Etymologie und Geschichte

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Erstmals entdeckt wurde Antigorit im Valle Antigorio in der norditalienischen Region Piemont und beschrieben 1840 durch Eduard Schweizer, der das Mineral nach seiner Typlokalität benannte.

Als Co-Typlokalität gilt das Gebiet am Geisspfad im Binntal im Schweizer Kanton Wallis. Typmaterial des Minerals wird im ETH Zürich in der Schweiz aufbewahrt (Katalog-Nr. Wi4868).[5][8]

Klassifikation

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Bereits in der veralteten 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Antigorit zur Mineralklasse der „Silikate und Germanate“ und dort zur Abteilung der „Schichtsilikate (Phyllosilikate)“, wo er zusammen mit Amesit, Berthierin, Chrysotil, Cronstedtit, Greenalith, Grovesit (diskreditiert als Varietät von Pennantit), Karyopilit, Lizardit und Népouit die „Serpentin-Reihe (trioktaedrisch)“ mit der System-Nr. VIII/E.10b bildete.

Im Lapis-Mineralienverzeichnis nach Stefan Weiß, das sich aus Rücksicht auf private Sammler und institutionelle Sammlungen noch nach dieser alten Form der Systematik von Karl Hugo Strunz richtet, erhielt das Mineral die System- und Mineral-Nr. VIII/H.27-10. In der „Lapis-Systematik“ entspricht dies ebenfalls der Abteilung „Schichtsilikate“, wo Antigorit zusammen mit Amesit, Berthierin, Brindleyit, Carlosturanit, Chrysotil, Cronstedtit, Dozyit, Fraipontit, Greenalith, Guidottiit, Karpinskit, Karyopilit, Kellyit, Lizardit, Népouit und Pecorait die „Serpentingruppe“ bildet (Stand 2018).[4]

Die seit 2001 gültige und von der International Mineralogical Association (IMA) bis 2009 aktualisierte[9] 9. Auflage der Strunz’schen Mineralsystematik ordnet den Antigorit ebenfalls in die Abteilung der „Schichtsilikate (Phyllosilikate)“ ein. Diese ist allerdings weiter unterteilt nach der Schichtstruktur, so dass das Mineral entsprechend seiner Zusammensetzung in der Unterabteilung „Schichtsilikate (Phyllosilikate) mit Kaolinitschichten, zusammengesetzt aus tetraedrischen und oktaedrischen Netzen“ zu finden ist, wo es ebenfalls zusammen mit Amesit, Berthierin, Brindleyit, Chrysotil, Cronstedtit, Fraipontit, Greenalit, Karyopilit, Kellyit, Lizardit, Manandonit, Népouit und Pecorait die „Serpentingruppe“ mit der System-Nr. 9.ED.15 bildet.

Auch die vorwiegend im englischen Sprachraum gebräuchliche Systematik der Minerale nach Dana ordnet den Antigorit in die Klasse der „Silikate und Germanate“ und dort in die Abteilung der „Schichtsilikatminerale“ ein. Hier ist er als einziges Mitglied in der „Serpentingruppe“ mit der System-Nr. 71.01.02a innerhalb der Unterabteilung „Schichtsilikate: Schichten von sechsgliedrigen Ringen mit 1:1-Lagen“ zu finden.

Modifikationen und Varietäten

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Bowenit aus der Asbestos Mine, Thurman Township, Warren County (New York), USA (Größe: 5" × 4" × 2.5"; entspricht 12,7 cm × 10,16 cm × 6,35 cm)

Die Verbindung Mg6[(OH)8|Si4O10] ist trimorph und kommt neben dem monoklin kristallisierenden Antigorit noch als monoklin oder orthorhombisch kristallisierender Chrysotil (Klinochrysotil, Orthochrysotil und Parachrysotil) sowie als monoklin, trigonal oder hexagonal kristallisierender Lizardit (Lizardit-1M, Lizardit-1T, Lizardit-6T1, Lizardit-2H1 und Lizardit-2H2), wobei sich die monoklinen Modifikationen jeweils in ihrer Raumgruppe unterscheiden.

Als „Bowenit“ wird eine hell- bis dunkelapfelgrüne Varietät von Antigorit bezeichnet, die in derben Aggregaten vorkommt und deren Oberflächenmaserung oft gefleckt oder gewolkt erscheint.[10] James Dwight Dana prägte den Namen 1850 zu Ehren von George Thomas Bowen (1803–1828), einem Chemiker, Mineralogen und ehemaligen Professor der University of Nashville.

„Bastit“ oder auch „Schillerspat“ ist dagegen eine Pseudomorphose von Antigorit nach Enstatit.[4]

Bildung und Fundorte

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Faseriger Antigorit aus der Mina Rivadavia, Rivadavia (Mendoza), Spanien – Ausgestellt im La-Plata-Museum
 
Hellgrüner Antigorit (Synonym Genthit) aus der Wood’s Chrome Mine, Texas, Lancaster County (Pennsylvania), USA (Größe: 4,6 cm × 3,9 cm × 1,9 cm)

Antigorit bildet sich im Allgemeinen metamorph vor allem aus Serpentinit, aber auch anderen ultrabasischen Gesteinen, wo er meist in Paragenese mit anderen Serpentinmineralen, Chromit, Magnetit und/oder Olivin auftritt. Des Weiteren kann Antigorit durch hydrothermale Metasomatose in Dolomit, Kalkstein und Marmor entstehen.

Auch wenn die Serpentine insgesamt zu den häufig vorkommenden und gesteinsbildenden Mineralen zählen, ist das als Antigorit anzusprechende Mineral eine eher seltene Mineralbildung, die an verschiedenen Fundorten zum Teil zwar reichlich vorhanden sein kann, insgesamt aber wenig verbreitet ist. Weltweit gelten bisher rund 600 Fundorte als bekannt (Stand 2014).[11] Neben seiner Typlokalität Valle Antigorio und nahe der in diesem Tal gelegenen Gemeinde Baceno trat das Mineral in Italien noch an vielen Stellen in der Region Piemont zutage wie unter anderem bei Piasco, Cálea (Gemeinde Lessolo), Rocca Canavese, Balangero und Alagna Valsesia. Daneben wurde es noch an verschiedenen Fundpunkten im Aostatal sowie in den Regionen Ligurien, Lombardei, Sardinien, Trentino-Südtirol, Toskana und Venetien gefunden.

In Deutschland konnte Antigorit bisher nur im Steinbruch „Winterbauernhof“ bei Schuttertal und am Scheibenfelsen nahe der Gemeinde Todtmoos in Baden-Württemberg, im Steinbruch „Heß“ bei Wurlitz (Rehau), in der ehemaligen Graphit-Grube Kropfmühl, am Peterlesstein bei Kupferberg und im Schacht „Heinrich“ bei Gailbach in Bayern; im Marmorbruch „Dr. Linck“ bei Hochstädten (Bensheim) in Hessen; am Backenberg bei Güntersen und in einem Gabbro-Steinbruch im Radautal in Niedersachsen; im Steinbruch „Kuhlenberg“ bei Silbach in Nordrhein-Westfalen; am Arensberg bei Zilsdorf in Rheinland-Pfalz sowie im Serpentinbruch Zöblitz, in der Grube „Adam Heber“ (Schacht 43) bei Neustädtel (Schneeberg), im Steinbruch „Diethensdorf“ bei Chemnitz-Markersdorf, am Pfaffenberg bei Waldheim, im Steinbruch Kiefernberg bei Hohenstein-Ernstthal und in einem Marmorbruch am Hohen Hain bei Limbach-Oberfrohna in Sachsen gefunden werden. Als gesteinsbildendes Mineral tritt Antigorit in den Serpentiniten der Oberpfalz insbesondere im Raum Erbendorf auf.[12]

In Österreich fand man das Mineral unter anderem im Gebiet um Friesach-Hüttenberg, den Hohen Tauern von Kärnten bis Salzburg, an mehreren Fundpunkten in der Steiermark sowie im Virgen- und Zillertal in Tirol.

In der Schweiz trat Antigorit neben seiner Co-Typlokalität Geisspfad noch am Moirygletscher und auf der Riffelalp im Kanton Wallis, bei Cima Sgiu im Val Carassino im Kanton Tessin sowie am Cavloc-See im Fornotal (Tal des Fornogletschers), bei Cotschens am Lai da Marmorera und bei Quadrada im Puschlav-Tal im Kanton Graubünden auf.

Weitere Fundorte liegen unter anderem in Ägypten, Äthiopien, der Antarktis, Argentinien, Australien, Brasilien, Bulgarien, China, Ecuador, Finnland, Frankreich, Griechenland, Grönland, Indonesien, Japan, Kanada, der Republik Kongo, Kuba, Marokko, Myanmar (Burma), Neuseeland, Nordkorea, Norwegen, Oman, Pakistan, Polen, Rumänien, Russland, Schweden, Simbabwe, der Slowakei, Spanien, Südafrika, Taiwan, Tschechien, Ungarn, im Vereinigten Königreich (UK), den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) und Zypern.[13]

Kristallstruktur

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Antigorit kristallisiert monoklin in der Raumgruppe Cm (Raumgruppen-Nr. 8)Vorlage:Raumgruppe/8 mit den Gitterparametern a = 5,42 Å; b = 9,24 Å; c = 7,27 Å und β = 91,3° sowie einer Formeleinheit pro Elementarzelle.[3]

Verwendung

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„Chyta“, Trommelstein

Qualitativ hochwertiger Antigorit wird zusammen mit anderen Serpentinmineralen unter dem Handelsnamen „Edler Serpentin“ als Werkstein in Architektur und Handwerk verwendet. Steine mit optisch ansprechender Textur werden gelegentlich zu Schmucksteinen verarbeitet, die bei faseriger Ausbildung einen seidenähnlichen Glanz aufweisen.

Bekannt ist unter anderem eine gelbgrün gefleckte oder melierte Antigorit-Varietät, die im Cabochonschliff oder als Trommelstein unter dem Handelsnamen „Chyta“ angeboten wird.

Siehe auch

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Literatur

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  • Eduard Schweizer: Ueber den Antigorit, ein neues Mineral. In: Annalen der Physik und Chemie. Band 19, 1840, S. 595–599 (englisch, rruff.info [PDF; 288 kB; abgerufen am 23. März 2021]).
  • Helmut Schröcke, Karl-Ludwig Weiner: Mineralogie. Ein Lehrbuch auf systematischer Grundlage. de Gruyter, Berlin; New York 1981, ISBN 3-11-006823-0, S. 843–845.
  • Petr Korbel, Milan Novák: Mineralien-Enzyklopädie (= Dörfler Natur). Edition Dörfler im Nebel-Verlag, Eggolsheim 2002, ISBN 978-3-89555-076-8, S. 258.
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Commons: Antigorite – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

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  1. a b Malcolm Back, Cristian Biagioni, William D. Birch, Michel Blondieau, Hans-Peter Boja und andere: The New IMA List of Minerals – A Work in Progress – Updated: July 2024. (PDF; 3,6 MB) In: cnmnc.units.it. IMA/CNMNC, Marco Pasero, Juli 2024, abgerufen am 13. August 2024 (englisch).
  2. Laurence N. Warr: IMA–CNMNC approved mineral symbols. In: Mineralogical Magazine. Band 85, 2021, S. 291–320, doi:10.1180/mgm.2021.43 (englisch, cambridge.org [PDF; 320 kB; abgerufen am 5. Januar 2023]).
  3. a b c d e Hugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. Chemical-structural Mineral Classification System. 9. Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S. 677 (englisch).
  4. a b c d Stefan Weiß: Das große Lapis Mineralienverzeichnis. Alle Mineralien von A – Z und ihre Eigenschaften. Stand 03/2018. 7., vollkommen neu bearbeitete und ergänzte Auflage. Weise, München 2018, ISBN 978-3-921656-83-9.
  5. a b c d e Antigorite. In: John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols (Hrsg.): Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America. 2001 (englisch, handbookofmineralogy.org [PDF; 75 kB; abgerufen am 23. März 2021]).
  6. a b c d e Antigorite. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 23. März 2021 (englisch).
  7. Hans Lüschen: Die Namen der Steine. Das Mineralreich im Spiegel der Sprache. 2. Auflage. Ott Verlag, Thun 1979, ISBN 3-7225-6265-1, S. 318 (Serpentin 2.).
  8. Antigorit vom Geisspfad-Gebiet. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 23. März 2021 (englisch).
  9. Ernest H. Nickel, Monte C. Nichols: IMA/CNMNC List of Minerals 2009. (PDF; 1,9 MB) In: cnmnc.units.it. IMA/CNMNC, Januar 2009, archiviert vom Original am 29. Juli 2024; abgerufen am 30. Juli 2024 (englisch).
  10. Walter Schumann: Edelsteine und Schmucksteine. Alle Arten und Varietäten. 1900 Einzelstücke. 16., überarbeitete Auflage. BLV Verlag, München 2014, ISBN 978-3-8354-1171-5, S. 218.
  11. Localities for Antigorite. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 23. März 2021 (englisch).
  12. B. Klinkhammer, F. Rost: Die Serpentinite des Oberpfälzer Waldes. In: Vereinigung der Freunde der Mineralogie und Geologie (Hrsg.): Aufschluss. Sonderband 26, 1975, S. 39–64.
  13. Fundortliste für Antigorit beim Mineralienatlas und bei Mindat, abgerufen am 23. März 2021.