Wilfried Martens

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Wilfried Martens (2005)
Das Grab von Wilfried Martens auf dem Campo Santo Sint-Amandsberg in Gent

Wilfried Achiel Emma Martens anhören/? (* 19. April 1936 in Sleidinge; † 9. Oktober 2013[1] in Lokeren) war ein belgischer Politiker (CD&V). Er war Premierminister seines Landes und Präsident der Europäischen Volkspartei.

Wilfried Martens wuchs mit vier Geschwistern im ostflandrischen Sleidinge in einfachen Verhältnissen auf. Sein Vater starb 1943 und seine Mutter blieb mit fünf Kindern unter schwierigen Verhältnissen alleine zurück.[2] Dank eines Begabtenstipendiums konnte er ab 1949 am Sint-Vincentiuscollege in Eeklo studieren.

Katrien Van Dyck wies 2006 in einem Porträt von Wilfried Martens darauf hin, dass dieser schon in frühester Jugend davon überzeugt war, dass eine bundesstaatliche Struktur die beste Lösung für Flandern und für Belgien sei.[3] Als Martens seine politischen Vorstellungen in einer Examensrede im Fach Rhetorik am Vincentiuscollege dahingehend formulierte, lobte sein Lehrer ihn für die schön gehaltene Rede, wies aber seine politische Idee des Föderalismus als falsch zurück.

Die ablehnende Haltung seines Rhetoriklehrers in Eeklo deutet an, dass solche Vorstellungen im einheitsstaatlich orientierten Belgien als nahezu umstürzlerisch-revolutionär beäugt wurden. Martens ließ sich jedoch nicht beirren.

Am Sint-Vincentiuscollege in Eeklo kam er mit Leuten aus der Flämischen Bewegung in Kontakt. Martens betonte später, dass bis dahin niemand aus seiner Familie sich je für „flamigante“ Angelegenheiten interessiert oder gar engagiert habe.[4] Weil er von der föderalen Idee überzeugt war, gründete er im College einen sogenannten ABN-kern. ABN ist die Abkürzung für Algemeen Beschaafd Nederlands, die damals gebräuchliche Bezeichnung für die niederländische Standardschriftsprache. Wilfried Martens sah es als eine Grundvoraussetzung für ein eigenständiges Flandern in einem föderalen Staatsgebilde an, dass auf flämischer Seite eine bessere und tiefergehende Kenntnis der niederländischen Sprache vorhanden sein müsse. Aufgrund der starken Französisierung des Unterrichtswesens und der Verwaltung bestanden damals Defizite in dieser Richtung.

1955 ging Wilfried Martens dann nach Löwen, um an der dortigen Katholischen Universität Jura zu studieren. Er engagierte sich dort weiter in der Flämischen Bewegung, so unter anderem für die Akzeptanz der niederländischen Sprache auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel.

Wilfried Martens wurde 1960 im Fach der Rechtswissenschaften promoviert und erwarb die Notariatslizenz und das Baccalaureat der thomistischen Philosophie an der Katholischen Universität Löwen. Während seines Studiums war er darüber hinaus Vorortspräsident des Katholiek Vlaams Hoogstudenten Verbond.[5][6]

Ab 1960 arbeitete Martens als Rechtsanwalt am Berufungsgericht von Gent.

Von 1960 bis 1964 war Martens Vorstandsmitglied bei der von Maurits Coppieters mitbegründeten Flämischen Volksbewegung (VVB). Auf dem VVB-Kongress vom 4. Februar 1962 plädierte Martens öffentlichkeitswirksam für die Schaffung eines föderalen Bundesstaates Belgien. Er war sich jedoch darüber im Klaren, dass zur Verwirklichung seiner Vorstellungen eine breiter getragene gesellschaftliche Gruppierung notwendig sei. Folgerichtig trat Martens deshalb 1965 in die Christelijke Volkspartij (CVP) ein. Im selben Jahr wurde er zum Berater im Kabinett des Premierministers Pierre Harmel und 1966 als Berater ins Kabinett von Premierminister Paul Vanden Boeynants berufen. 1968 wurde er Sonderbeauftragter im Kabinett von Minister Leo Tindemans, der für Gemeinschaftsangelegenheiten zuständig war.

1968 nahm er an einem internationalen Seminar an der Harvard University teil.

Wilfried Martens war von 1974 bis 1991 Abgeordneter der Christelijke Volkspartij (CVP; Vorläufer der CD&V) in der belgischen Abgeordnetenkammer und von 1991 bis 1994 Senator. Von 1979 bis März 1992 war Martens, mit einer 8-monatigen Unterbrechung im Jahr 1981, in neun Regierungen Premierminister von Belgien. In den 1980er Jahren litt Belgien unter einer Staats- und Finanzkrise: Das jährliche Staatsdefizit betrug 13 %, die Staatsschulden übertrafen das jährliche Bruttosozialprodukt. Die Regierungskoalitionen hielten im Schnitt nur 6 Monate. Die Regierung Martens 5 und die darauf folgende Regierung bekämpften die Krise, indem sie einen strikten Haushaltsplan durchsetzten, die belgische Währung abwerteten, und die automatische Angleichung von Gehältern an die Inflationsrate aufhoben. 1990 verweigerte er, sich auf sein Gewissen berufend, ein Gesetz zu unterzeichnen, das Abtreibungen erleichtert hätte.[7]

Zusammen mit Jean-Luc Dehaene und Hugo Schiltz war Martens treibende Kraft bei den Reformen von 1988 und 1989, die zum Ziel hatten, den belgischen Staat in einen Bundesstaat umzubauen und Kompetenzen von der Zentrale in die drei Regionen sowie in die Gemeinden zu verlagern.[7]

Dreieinhalb Monate nach den Parlamentswahlen vom 24. November 1991, bei denen sowohl die regierenden Christdemokraten als auch die Sozialisten Verluste erlitten hatten, erklärte Martens seinen Rücktritt als Premierminister. Am 7. März 1992 löste ihn Jean-Luc Dehaene als Regierungschef ab.[8]

Martens war eines der Gründungsmitglieder der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament und Präsident der Programm-Kommission der EVP von 1976 bis 1977. Seit 10. Mai 1990 war er der Präsident der EVP. Von 1993 bis 1996 war er der Präsident der Europäischen Union Christlicher Demokraten (EUCD). Am 4. April 2013 bat Martens, schwer erkrankt, Joseph Daul darum, an seiner Stelle den Vorsitz der EVP zu übernehmen.[7]

1994 wurde Martens Mitglied des Europäischen Parlaments und Präsident der EVP-Fraktion (bis 1999). Aus parteipolitischen Gründen verzichtete Martens auf eine erneute Kandidatur zum Europäischen Parlament.

Von 2000 bis 2001 war Wilfried Martens Präsident der Internationalen der Christdemokraten und Volksparteien (CDI).

Er war seit der Gründung 2007 bis zu seinem Tod Präsident des Centre for European Studies – parteinahe Stiftung der EVP. 2014 wurde diese ihm zu Ehren in Wilfried Martens Centre for European Studies umbenannt.

Martens war dreimal verheiratet. Mit seiner ersten Frau Lieve Verschroeven (1937–2013) lebte er 30 Jahre zusammen und hatte mit ihr zwei Kinder. Nach der Trennung heiratete er 1998 Ilse Schouteden, die 1997 bereits Zwillinge von ihm zur Welt gebracht hatte. 2007 trennten die beiden sich ebenfalls und Martens heiratete ein Jahr später Miet Smet, eine CD&V-Politikerin und frühere Kollegin.

Commons: Wilfried Martens – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Peter De Backer: Ik wilde zo graag dat hij nog wat van het leven had geprofiteerd, De Standaard, 10. Oktober 2013, abgerufen am 19. Oktober 2013.
  2. "Wanneer in 1943 zijn vader sterft, blijft zijn moeder met vijf jonge kinderen achter." (Memento des Originals vom 19. Oktober 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.penhouse.be (PDF; 48 kB) Politiek portret Wilfried Martens.
  3. "Al tijdens zijn jeugd is Martens ervan overtuigd dat een federale structuur de beste oplossing voor zowel Vlaanderen als België is." (Memento des Originals vom 19. Oktober 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.penhouse.be (PDF; 48 kB) Politiek portret Wilfried Martens.
  4. Niemand van onze familie is ooit actief geweest in de Vlaamse beweging (Memento des Originals vom 19. Oktober 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.penhouse.be (PDF; 48 kB) Politiek portret Wilfried Martens.
  5. Wilfried Martens. Konrad-Adenauer-Stiftung, abgerufen am 30. November 2024.
  6. Wilfried Martens. Partie 1. Abgerufen am 30. November 2024.
  7. a b c Jean-Pierre Stroobants: Wilfried Martens. Le Monde, 12. Oktober 2013, S. 17.
  8. Bernard A. Cook: Europe Since 1945: An Encyclopedia. Routledge, London 2013. ISBN 978-0-815-31336-6, S. 285.