Père Marie-Benoît

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Pater Marie-Benoît, „le père des juifs“

Pater Marie-Benoît Péteul OFMCap (geboren als Pierre Péteul, * 30. März 1895 in Le Bourg-d’Iré, Département Maine-et-Loire; † 5. Februar 1990 in Angers) war ein französischer Kapuziner und Judenretter. Bekannt wurde der Ordenspriester außer unter seinem Ordensnamen auch als Père des juifs („Vater der Juden“).

Herkunft, Jugend und Erster Weltkrieg

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Pierre Péteul wuchs als Sohn eines Müllers in einer frommen katholischen Familie in Le Bourg-d’Iré in Anjou auf. Nachdem die Pacht der Wassermühle abgelaufen war, zog die Familie nach Angers. Vom Evangelium begeistert, erklärte Pierre als 12-Jähriger, beim Abschluss der Grundschule, Priester werden zu wollen. Doch das Kleine Seminar des Bistums Angers konnte ihn nicht aufnehmen, da die Berufungen die Zahl der Plätze bei weitem überstiegen und da nach der Durchsetzung des Laizismus durch das Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat von 1905 ein Ausbau des Seminars nicht möglich war. Sein Pfarrer wies ihn auf die Kapuziner hin. Pierre schloss sich ihnen an. Infolge der im März 1903 von der französischen Regierung verfügten Auflösung aller männlichen Ordensgemeinschaften hatten fast alle Kapuziner Frankreich verlassen müssen. So erfolgte Pierres Ausbildung „im Exil“, in Belgien, vor allem in der École séraphique (Collegium Seraphicum) in Spy bei Jemeppe-sur-Sambre,[1] in die er im September 1907 eintrat.[2] Sein Noviziat begann er im April 1913 in Breust bei Eijsden (Niederlande). Im September 1914 legte er seine Ordensgelübde ab und nahm den Ordensnamen Marie-Benoît an.[3]

Im Januar 1915 kehrte Marie-Benoît Péteul nach Frankreich zurück, um sich im Ersten Weltkrieg als Freiwilliger zu melden. Ab April 1915 wurde als Sanitäter eingesetzt, unter anderem in der Schlacht von Verdun. Dort wurde er schwer verwundet, mit dem Croix de guerre ausgezeichnet und fünfmal belobigt. Das Grauen des Krieges schilderte er in Briefen an seinen Spiritual in Breust.[4]

Student in den Niederlanden und in Rom, Lehrtätigkeit

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Nach Kriegsende setzte Marie-Benoît Péteul seine Studien zunächst in Breust fort,[5] danach, ab Oktober 1921, in Rom, wo er an der Gregoriana in Philosophie promoviert wurde. In Rom wurde er 1923 zum Priester geweiht und im selben Jahr Dozent (ripetitore) am dortigen Collegio Internazionale San Lorenzo da Brindisi der Kapuziner. Er lehrte Philosophie und vor allem die Theologie des hl. Bonaventura. Zudem war er Spiritual am Scholastikat seines Ordens in Rom. Er trat der 1926 gegründeten Vereinigung Amici Israel bei,[6] die von der Römischen Kurie bereits 1928 verboten wurde.

Zweiter Weltkrieg

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Nach der italienischen Kriegserklärung an Frankreich am 10. Juni 1940 musste Père Marie-Benoît Italien verlassen. Er fand Zuflucht im Kapuzinerkloster in Marseille, einer Stadt, in der Tausende von den Nationalsozialisten Gejagte, darunter viele Juden, zusammenströmten. In seinen Predigten warb Père Marie-Benoît um Mitgefühl für die Flüchtlinge.[7] Das ermutigte viele von ihnen, sich mit der Bitte um Hilfe an ihn zu wenden. Père Marie-Benoît baute mit Pfarrangehörigen und Bekannten ein Netzwerk auf, das Flüchtlinge beherbergte, ihnen „neue Papiere“ (Taufscheine und gefälschte Pässe) verschaffte und sie außer Landes brachte.[8] Dabei arbeitete er eng mit Joseph Bass zusammen, einem 1908 in Grodno geborenen jüdischen Rechtsanwalt, der seit 1934 Flüchtlinge in Paris vertreten und beraten hatte.[9] Ihn lernte Père Marie-Benoît im Sommer 1942 im Konvent der Sœurs de Notre Dame de Sion in Marseille kennen.[10] Père Marie-Benoît suchte auch Guido Lospinoso (1885–1973) auf, den Mussolini im März 1943 als Kommissar für jüdische Angelegenheiten in der italienisch besetzten Zone in Südostfrankreich (mit Sitz in Nizza) eingesetzt hatte. Diese Begegnung trug – zusammen mit der Fürsprache von Angelo Donati – dazu bei, dass Lospinoso sich entschloss, die Juden, die sich in die italienisch besetzte Zone geflüchtet hatten, nicht auszuliefern.[11]

Durch Denunziationen war die Gestapo auf seine Spur gekommen. Doch Père Marie-Benoît war bis dahin allen Fallen entkommen, die die Gestapo ihm gestellt hatte. Gleichwohl entsandte sein Ordensoberer ihn im Juni 1943 sicherheitshalber nach Rom. Am 16. Juli 1943 legte Père Marie-Benoît Papst Pius XII. bei einer Audienz den Plan vor, den Donati zur Rettung der Juden aus der italienisch besetzten Zone in Südostfrankreich ausgearbeitet hatte.[12] Doch der auf den Waffenstillstand von Cassibile vom 3. September 1943 folgende Einmarsch der Wehrmacht in Italien am 8. September 1943 verhinderte die Verwirklichung des Rettungsplanes.[13]

Damals lernte Père Marie-Benoît Settimio Sorani (1899–1982) kennen, den Leiter der Delegazione per l'Assistenza degli Emigranti Ebrei (DELASEM), eines Hilfs- und Rettungswerkes für Juden in Italien.[14] Père Marie-Benoît, Settimio Sorani, der aus Wien geflohene jüdische Rechtsanwalt Stefan Schwamm (* 1910), der polnische Kommunist Aron Kasztersztein und andere brachten Juden in dazu angemieteten Wohnungen, in Pensionen und in Klöstern unter. Als die jüdischen Mithelfer untertauchen mussten, fiel Père Marie-Benoît die Leitung der Aktion zu.[15] Zur Zentrale der Aktion wurde das Kapuzinerkloster in der via Sicilia 159.[16] „Padre Benedetto“, wie er in Rom hieß, ging, wieder unter hohem persönlichen Risiko, von Kloster zu Kloster, um die Hausoberen zu bewegen, Juden zu verstecken und noch mehr Juden zu verstecken. Prälat Angelo Dell’Acqua vom vatikanischen Staatssekretariat notierte am 20. November 1943: „Ich habe Père Benoît Marie <sic!> mehrmals ermahnt (und beim letzten Mal sehr deutlich) in seiner Sorge um die Juden mehr Vorsicht walten zu lassen. … Unglücklicherweise scheint er auf den bescheidenen Rat, den man ihm erteilt, nicht hören zu wollen.“[17] So war es – und so wurden mindestens 2500 Juden gerettet,[18] nach anderen Quellen sogar 4000.[19] Am 4. Juni 1944 wurde Rom von alliierten Truppen befreit. Als die überlebenden Juden vor einer verschlossenen Synagoge zusammenströmten, trat Padre Benedetto hinzu und schloss auf. Denn er war es, der den Schlüssel bewahrt hatte.[20]

Von der Nachkriegszeit zum Konzil

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Nach dem Krieg setzte sich Père Marie-Benoît unermüdlich für die Überwindung antijüdischer Vorurteile und Stereotypen unter Katholiken ein. Er war einer der Vertreter der katholischen Kirche bei der Internationalen Konferenz der Christen und Juden vom 30. Juli bis zum 5. August 1947 in Seelisberg (Schweiz). Bei seinem Bemühen um den Beginn eines jüdisch-christlichen Dialog arbeitete er unter anderem mit Edmond Fleg und Jules Isaac zusammen. Seine Vorarbeiten gingen in den das Verhältnis zum Judentum betreffenden vierten Teil der „Erklärung über das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen“ Nostra Aetate ein, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil am 28. Oktober 1965 beschlossen wurde. Auf einer Pilgerfahrt ins Heilige Land wurde er von Vertretern des Staates Israel mit hohen Ehren empfangen.

Ab 1953 unterrichtete Père Marie-Benoît am Päpstlichen Äthiopischen Kolleg in Rom, danach war er kurzzeitig mit Aufgaben in der Leitung der Ordensprovinz Foggia betraut. 1956 kehrte er in sein Heimatland zurück. Nach einer Station in Tours wurde er zum Guardian des großen Kapuzinerklosters in Paris bestellt.

Père Marie-Benoît starb im Alter von 94 Jahre im Kreis seiner Familie in Angers.[21]

Marie-Benoît Péteul wurde vielfach ausgezeichnet:[22]

in der Reihenfolge des Erscheinens

  • Tharcisius Chardon: Un capucin « Père des juifs », le Père Marie-Benoît. Souvenirs. 1986.
  • Stefan Schwamm: L’Œuvre du Père Benoît Marie et du Comité de Secours à Rome (10. Dezember 1945). In: Le monde juif, Jg. 49 (1993), Nr. 149, S. 95–102. (Digitalisat der Übersetzung des Originals aus dem Italienischen; abgerufen am 3. Februar 2023)
  • Gérard Cholvy: Marie-Benoît de Bourg d'Iré (1895–1990). Itinéraire d'un fils de saint François, « juste des nations ». Les Éditions du Cerf, Paris 2010, ISBN 978-2-204-09219-7.
  • Susan Zuccotti: Père Marie-Benoît and Jewish rescue: how a French priest together with Jewish friends saved thousands during the Holocaust. Indiana University Press, Bloomington 2013, ISBN 978-0-253-00853-4.
    • französische Übersetzung: Père Marie-Benoît. Comment un prêtre capucin a sauvé des milliers de juifs de l’Holocauste. Bayard, Montrouge 2015, ISBN 978-2-227-48694-2.
  • Paul R. Bartrop: Resisting the Holocaust. Upstanders, partisans, and survivors. ABC-CLIO, Santa Barbara 2016, ISBN 978-1-61069-878-8, S. 204–206: Père Marie-Benoît (1895–1990).
  • Jérôme Cordelier: L’espérance est un risque à courir. Sur les traces des résistants chrétiens 1939–1945. Calmann-Lévy, Paris 2021, ISBN 978-2-7021-6675-8.

Einzelnachweise

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  1. Gérard Cholvy: Marie-Benoît de Bourg d'Iré (1895–1990). Itinéraire d'un fils de saint François, « juste des nations ». Les Éditions du Cerf, Paris 2010, S. 60.
  2. Susan Zuccotti: Père Marie-Benoît and Jewish rescue: how a French priest together with Jewish friends saved thousands during the Holocaust. Indiana University Press, Bloomington 2013, S. 21.
  3. Susan Zuccotti: Père Marie-Benoît and Jewish rescue: how a French priest together with Jewish friends saved thousands during the Holocaust. Indiana University Press, Bloomington 2013, S. 23.
  4. Nachlass in den Archives des capucins de France (ACF) in Paris, Bestand L (Papiers des religieux défunts), darin Nr. 13 LM 77: P. Marie-Benoît (du Bourg d'Iré) Péteul, Lettres de la guerre 1914–1919.
  5. Gérard Cholvy: Marie-Benoît de Bourg d'Iré (1895–1990). Itinéraire d'un fils de saint François, « juste des nations ». Les Éditions du Cerf, Paris 2010, S. 99.
  6. Susan Zuccotti: Père Marie-Benoît and Joseph Bass: The Rescue of Jews in Marseille and Nice, 1940–1943. In: French Politics, Culture & Society, Jg. 30 (2012), Nr. 2, S. 53–65, hier S. 55.
  7. Susan Zuccotti: Père Marie-Benoît and Joseph Bass: The Rescue of Jews in Marseille and Nice, 1940–1943. In: French Politics, Culture & Society, Jg. 30 (2012), Nr. 2, S. 53–65, hier S. 56.
  8. Gérard Cholvy: Marie-Benoît de Bourg d'Iré (1895–1990). Itinéraire d'un fils de saint François, « juste des nations ». Les Éditions du Cerf, Paris 2010, S. 144–151.
  9. Brian Fleming: Heroes in the shadows. Humanitarian action and courage in the Second World War. Amberley Publishing, Gloucestershire 2019, ISBN 978-1-4456-8732-2, S. 250.
  10. Susan Zuccotti: Père Marie-Benoît and Joseph Bass: The Rescue of Jews in Marseille and Nice, 1940–1943. In: French Politics, Culture & Society, Jg. 30 (2012), Nr. 2, S. 53–65, hier S. 57 und 59.
  11. Gérard Cholvy: Marie-Benoît de Bourg d'Iré (1895–1990). Itinéraire d'un fils de saint François, « juste des nations ». Les Éditions du Cerf, Paris 2010, S. 162–175.
  12. Ausführlicher Bericht von Père Marie-Benoît über das Vorhaben und die Audienz in: Pierre-Marie Théas (Hrsg.): Livre d'or des congrégations françaises, 1939–1945. Direction régionale des affaires culturelles (DRAC), Paris 1948, S. 305–331.
  13. Arno Lustiger: Rettungswiderstand. Über die Judenretter in Europa während der NS-Zeit. Wallstein-Verlag, Göttingen 2011, ISBN 978-3-8353-0990-6, S. 200.
  14. Zu DELASEM siehe: Jewish Organizations and Individuals Involved in Rescue in France, sub voce Delegation for the Assistance of Immigrants (DELASEM; Delegazione Assistenza Emigranti Ebrei), France and Italy, abgerufen am 24. Mai 2022.
  15. Susan Zuccotti: Père Marie-Benoît and Joseph Bass: The Rescue of Jews in Marseille and Nice, 1940–1943. In: French Politics, Culture & Society, Jg. 30 (2012), Nr. 2, S. 53–65, hier S. 60.
  16. Frauke Wildvang: Der Feind von nebenan. Judenverfolgung im faschistischen Italien 1936–1944. SH-Verlag, Köln 2008, ISBN 978-3-89498-191-4, S. 268.
  17. Zitiert in: Gérard Cholvy: Marie-Benoît de Bourg d'Iré (1895–1990). Itinéraire d'un fils de saint François, « juste des nations ». Les Éditions du Cerf, Paris 2010, S. 194.
  18. Settimio Sorani: L’assistenza ai profughi ebrei in Italia (1933–1941). Contributo alla storia della Delasem. Carucci, Rom 1983, ISBN 88-85027-99-7, S. 150–151.
  19. Rescue by Religious Organizations, sub voce Capuchin Monastery (College), abgerufen am 24. Mai 2022.
  20. Gérard Cholvy: Marie-Benoît de Bourg d'Iré (1895–1990). Itinéraire d'un fils de saint François, « juste des nations ». Les Éditions du Cerf, Paris 2010, S. 203–206.
  21. Gérard Cholvy: Marie-Benoît de Bourg d'Iré (1895–1990). Itinéraire d'un fils de saint François, « juste des nations ». Les Éditions du Cerf, Paris 2010, S. 370.
  22. Susan Zuccotti: Père Marie-Benoît and Joseph Bass: The Rescue of Jews in Marseille and Nice, 1940–1943. In: French Politics, Culture & Society, Jg. 30 (2012), Nr. 2, S. 53–65, hier S. 61–62.
  23. Pierre Péteul im Portal Anonymes, Justes et Persécutés durant la période Nazie dans les communes de France (französisch)