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ADB:Wurstisen, Christian

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Artikel „Wurstisen, Christian“ von August Bernoulli in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 346–347, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wurstisen,_Christian&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 12:42 Uhr UTC)
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Wurstisen: Christian W., Geschichtschreiber, geboren 1544, † am 29. März 1588. Sein Vater, Pantaleon W., war von Liestal gebürtig, siedelte jedoch frühe in das nahe Basel über, wo er 1545 Bürger und später auch Rathsherr wurde. Hier besuchte der Sohn das von Thomas Plater geleitete Gymnasium und später die Universität, wo er neben der Theologie hauptsächlich Mathematik und Geschichte studirte und 1562 den Grad eines Magisters oder Doctors der Philosophie erlangte. Schon im folgenden Jahre, also erst neunzehnjährig, versah er die Pfarrei des damals noch zu Basel gehörigen Dorfes Groß-Hüningen (jetzt im Elsaß), und 1564 wurde er provisorischer Pfarrhelfer zu St. Theodor in Basel, zugleich aber Professor der Mathematik an der Universität. Die erstere Stelle zwar mußte er bald wieder aufgeben, da seine Zuhörer erklärten: „sie könnten ihn nicht verstehen“. Als Professor der Mathematik hingegen schrieb er: „Elementa Arithmeticae“ und einen Commentar zu Purbach’s Planetentheorie – zwei Schriften, die noch lange nach seinem Tode vielfach im Gebrauche blieben. In der letzteren dieser Schriften äußert er sich in unzweideutiger Weise zu Gunsten des copernicanischen Sonnensystems, und es liegen auch gewichtige Zeugnisse vor, daß er zwischenein eine Reise nach Italien unternahm, und daß er es war, welcher durch einige in Padua gehaltene Vorträge dem späteren Märtyrer dieses Systems, dem großen Galilei, die neue Lehre des Copernicus übermittelte.

Neben seinem Lehrfache fand W. noch Muße genug zu ausgedehnten geschichtlichen Arbeiten. An seinem Hauptwerk, der Chronik seiner Vaterstadt, arbeitete er seit 1570, und in den nächstfolgenden Jahren erschien von ihm eine Uebersetzung und Fortsetzung des Paulus Aemilius. Wenige Jahre später, 1577, folgte seine „Epitome historiae Basiliensis“, eine Art historischer Topographie und in gewissem Sinn ein Vorläufer seiner Baslerchronik. Nachdem 1580 auch letzteres Werk im Druck erschienen war, fuhr er immer noch fort, auf Basel bezügliche Urkunden und Notizen aller Art zu sammeln, und so entstanden außer einem Wappenbuche des Bisthums Basel noch verschiedene handschriftliche Sammlungen, wie z. B. seine „Analecta“, welche für die Geschichte Basels in mancher Hinsicht noch jetzt eine werthvolle Fundgrube bilden. Neben diesen Forschungen über Basel und dessen Umgegend verlor er jedoch die allgemeine Geschichte niemals [347] aus den Augen. Denn 1585 erschien in zwei Bänden eine Sammlung „Germaniae historicorum illustrium ll.“, und unter diesen finden sich neun Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit, welche hier zum ersten Mal gedruckt wurden. Diese Quelleneditionen waren übrigens nicht sein letztes Ziel; denn einige handschriftliche Fragmente aus seinem Nachlasse zeigen deutlich, daß er sich mit dem Gedanken trug, eine Geschichte des deutschen Reiches zu schreiben. Jedoch dieser weit aussehende Plan trat bald in den Hintergrund vor den Pflichten des Amtes. Nachdem W. 1585 die Professur der Mathematik mit derjenigen der alttestamentlichen Theologie vertauscht hatte, wurde er schon im folgenden Jahre zum Stadtschreiber ernannt – ein Amt, welches ihm wol sehr erwünscht war, weil es ihm die sonst völlig unzugänglichen Schätze des städtischen Archives erschloß. Nicht lange jedoch sollte er dieses Vortheils sich erfreuen; denn anfangs März 1588 erkrankte er, und wenige Wochen später, am 29., raffte der Tod den erst 44jährigen dahin. Seine letzte Schrift, eine Beschreibung des Basler Münsters, hinterließ er zum größten Theile druckfertig; doch gelangte sie zum Druck erst in neuerer Zeit.

Wurstisen’s Hauptwerk ist unstreitig seine 1580 erschienene „Basler Chronik“, zu welcher ihm die 30 Jahre früher erschienene Schweizerchronik Stumpf’s in mancher Hinsicht als Vorbild gedient hat. Wie Stumpf, so verfügte auch W. über eine weit ausgedehnte Belesenheit, und deshalb ist die Zahl der als Quellen benützten älteren Geschichtschreiber eine sehr große. Neben diesen verwerthet er gern auch Urkunden, soweit ihm solche irgendwie zugänglich waren, und ebenso beachtet er sowol jeden Ueberrest aus der Römerzeit, als auch die mittelalterlichen Grabmäler, deren Inschriften und Wappen als Quellen zur Genealogie und Heraldik ihm besonders wichtig waren. Das erste der acht Bücher, in welche das Werk eingetheilt ist, umfaßt eine historisch-geographische Beschreibung von Basels weiterer Umgegend, welche W. zum größern Theil aus eigener Anschauung kannte. Die übrigen sieben Bücher erzählen die Geschichte der Stadt und des Bisthums Basel, von ihren muthmaßlichen Anfängen unter den Römern bis zum Jahre 1580, und zwar, mit Ausnahme der ältesten Zeit, in streng chronologischer Form. Als eifriger Anhänger der Reformation sucht W. schon im Mittelalter in jeder Opposition gegen den römischen Stuhl mehr oder weniger einen Vorläufer derselben, und deshalb wird namentlich das Basler Concil mit besonderer Ausführlichkeit behandelt. Schon für das Mittelalter benutzte er einzelne Quellen, welche seither verloren sind. Namentlich aber für das XVI. Jahrhundert hat die Chronik theilweise noch jetzt ihren selbständigen Werth. Einen besonderen Vorzug vor manchem seiner Zeitgenossen hat W. auch durch seine kräftige, durch kernhafte Ausdrücke und treffende Bilder belebte Sprache, welche auf den Leser sympathisch wirkt.

W. war in Basel der erste, der eine vollständige Stadtchronik von der ältesten Zeit bis zur Gegenwart zu schreiben unternahm; denn alle früheren Chronisten beschrieben meist nur die Ereignisse ihrer eigenen Zeit. Sein Werk blieb in Basel auch später noch lange Zeit das einzige dieser Art und wurde deshalb noch 1765 neu herausgegeben und mit einer Fortsetzung versehen. Erst als gegen Ende des Jahrhunderts die achtbändige „Geschichte der Stadt und Landschaft Basel“ von Peter Ochs zu erscheinen begann, trat die alte „Baslerchronik“ theilweise in den Hintergrund; doch erlebte sie noch 1883 eine Neuausgabe. Mag übrigens das alte Buch mit der Zeit auch völlig entbehrlich werden, so wird die wissenschaftliche Erforschung baslerischer Geschichte doch jederzeit in W. ihren eigentlichen Begründer und Vater verehren.

Hauptquelle: Chr. Wurstisen, von Achilles Burckhardt, i. d. Beiträgen z. vaterl. Geschichte, Bd. XII.