Prüfungsangst

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Die Prüfungsangst (englisch test anxiety[1]) ist eine Angst vor der Bewertung der eigenen Leistung durch eine andere Person, die in oder vor Prüfungssituationen auftritt. Eine leichte bis mittlere Anspannung vor Prüfungen zu empfinden, ist für die meisten Menschen normal, und kann die Konzentration und Leistungsfähigkeit in einer Prüfung sogar erhöhen. Eine übermäßig starke Prüfungsangst kann allerdings auch pathologisch sein und eine erhebliche Belastung für betroffene Personen bedeuten. Betroffene empfinden intensive und anhaltenden Anspannung und Nervosität im Bezug auf die Prüfung. Das kann in der Prüfung zu einer reduzierten Leistungsfähigkeit führen.[2][3]

Sehr intensive und immer wieder auftretende Angst vor Prüfungen kann laut DSM-5 als Sonderform der sozialen Phobie eingestuft werden. Nach ICD-10 oder ICD-11 lässt sich eine starke Prüfungsangst ebenfalls als soziale Phobie oder als spezifische Phobie klassifizieren.[4]

Prüfungsängste kennzeichnen sich sowohl durch körperliche als auch durch kognitive Symptome. Physiologische Veränderungen sind auf eine erhöhte sympathische Aktivierung zurückzuführen. Dadurch kommt es zum Beispiel zu einer erhöhten Herzfrequenz, Schweißausbrüchen, schnellen Atmung und starkem Herzklopfen. Weitere körperliche Symptome können zum Beispiel Übelkeit, Mundtrockenheit, Zittern, Atemnot oder Beklemmungsgefühle in der Brust sein.[5] Kognitive Symptome umfassen zum Beispiel Gedächtnisprobleme und Konzentrationsprobleme.[5] Außerdem gehen mit Prüfungsängsten häufig ein negatives Selbstbild und negatives subjektives Wohlbefinden einher.[6][7]

Die meisten Menschen haben schon mindestens einmal in ihrem Leben Prüfungsängste erlebt. In einer Studie der Internationalen Hochschule Erfurt gaben 87 % der 1600 Teilnehmer an, schon einmal Prüfungsängste gehabt zu haben.[8] 5 % von befragten Studierenden der Universität Konstanz berichteten, aufgrund von Prüfungsängsten schon mindestens einmal eine Prüfung abgesagt zu haben.[9] Frauen weisen durchschnittlich höhere Werte für Prüfungsängste auf als Männer.[10][11] Prüfungsangst tritt bei Personen mit Lernbehinderungen oder Problemverhalten in einem größeren Ausmaß auf als bei Personen ohne solche Probleme.[12]

Zusammenhang von Angst und Leistung

Prüfungsangst entsteht, wenn eine Person eine bevorstehende Prüfung als bedrohliches Ereignis interpretiert. Häufige Gründe hierfür können zum Beispiel starker Druck durch andere Personen oder durch eigene perfektionistische Ansprüche, negative Erfahrungen in vorherigen Prüfungen oder Modelllernen sein. Modelllernen beschreibt die Entstehung oder Verstärkung von Ängsten, wenn wir beobachten, dass andere Personen Ängste verspüren. Dass viele Menschen Aufregung vor Prüfungen zeigen, kann für uns ein Signal bedeuten, Prüfungen als bedrohlich zu interpretieren.[5] Die Interpretation der Prüfung als bedrohliches Ereignis versetzt unseren Körper in einen „Fight-or-Flight“-Zustand, woraufhin der Sympathikus aktiviert wird. Physiologische Veränderungen, die wir daraufhin beobachten, gehen mit dem Gefühlsempfinden von Angst einher.[5]

Gelegentlich, namentlich bei Hochschulprüfungen, können auch Prüfer der Prüfungsangst ähnlichen (allerdings weniger manifesten und nicht durch Sanktionen bedrohten) Spannungen ausgesetzt sein, etwa aus Prüfungsunerfahrenheit oder in Kollegialprüfungen. Wie den Prüflingen stehen nach dem Wirtschaftswissenschaftler Hans-Otto Schenk auch den Prüfern spezifische Methoden zum „autogenen“ und „heterogenen“ Spannungsabbau zur Verfügung.[13]

Während der kognitiven Entwicklung kann sich Prüfungsangst erstmals im Alter von acht bis elf Jahren entwickeln. Als ursächlich werden schlechte schulische oder sportliche Leistungen gesehen, die das Selbstwertgefühl der Betroffenen, das auf sportlicher und geistiger Leistungsfähigkeit beruht, kompromittieren.[14]

Krankhafte Angstzustände sollten diagnostiziert und therapiert werden.[15] Um mit Angst vor Prüfungen umzugehen, können verschiedenen Maßnahmen selbst oder unter professioneller Hilfe angewendet werden. Dabei sollte individuell herausgefunden werden, wodurch einer betroffenen Person geholfen werden kann, die Anspannung vor einer Prüfung auf ein erträgliches Maß zu bringen.[16] Beispiele für Interventionen sind:

  • Entspannungstechniken, zum Beispiel Atemübungen, Meditation, progressive Muskelrelaxation, autogenes Training
  • Anwenden von Lernstrategien
  • Erstellen eines Zeitplans zum effektiven Lernen
  • ausreichend Schlaf und Pausen
  • Nutzen von Unterstützungssystemen, zum Beispiel Gespräche mit Freunden und Familie
  • Nutzen von Beratungs- oder Hilfsangeboten, zum Beispiel von Universitäten oder Krankenkassen
  • Psychotherapie

Der Didaktiker Siegbert A. Warwitz hält eine leichte Erregung in Form von Lampenfieber nicht für abträglich, sondern für förderlich für eine gute Prüfungseinstellung, da es den Wachheitsgrad erhöht und die Aufmerksamkeit, die Konzentration sowie das Reaktionsvermögen steigert. Für das Erreichen eines optimalen psychischen Prüfungszustands empfiehlt er seinen Studenten:[17]

  • Frühzeitige Konfrontation mit Prüfungssituationen aller Art, die anfangs auch Selbstprüfungen sein sollten (Prüfungsgewöhnung)
  • Systematische Prüfungsorganisation in Form einer längerfristigen Zeitplanung und Vorbereitung mit völliger Karenzzeit in den letzten drei Tagen (Entspannung, Freiwerden der Gedanken)
  • Prüfungssimulationen im Vorbereitungsstadium
  • Wahrnehmen von Möglichkeiten der Hospitation bei Prüfungen
  • Vertrautmachen mit den Eigenarten des Prüfers, seiner Fragetechnik, seinen Spezialitäten, seinen Lieblingsfragen, seinen Aversionen
  • Meiden Angst induzierender Gespräche mit anderen Prüflingen
  • Verzicht auf Konzeptstudium oder Prüfungsgespräche unmittelbar vor dem Termin
  • Vermeiden der Herausforderung von Prüferfehlern (sich selbst kein ungünstiges Vorzeugnis ausstellen)
  • Autosuggestion im Sinne von: „Ich kann das, ich bin gut vorbereitet, ich schaffe das, andere schaffen es ja auch, ein Scheitern gibt es nicht. . .“
Klassifikation nach ICD-10
F40 Phobische Störung
F41 Sonstige Angststörung
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ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Die Prüfungsangst wird dann als krankhaft betrachtet, wenn sie eine erhebliche Beeinträchtigung des Patienten darstellt, Probleme im sozialen Umfeld auslöst und – besonders im Kindesalter – die normale Entwicklung der Person verhindert.[14] In der ICD-10 (1994) und ICD-11 (2022) gibt es keine spezifische Diagnose für Prüfungsangst, stattdessen wird eine Prüfungsangst meistens als soziale Phobie kodiert.[5] Ebenso wird im DSM-5 (2013, revidiert 2022) die Diagnose der sozialen Phobie genutzt, wobei ein Spezifikator hinzugefügt werden kann, der die Ängste auf leistungsbezogene Situationen beschränkt.[18]

In den USA wird diese Phobie, sofern die Einschränkung nachgewiesen und dokumentiert wird, über den Americans with Disabilities Act als Behinderung anerkannt, und es werden dazu besondere Prüfungsabläufe angeboten, sofern der entsprechende Antrag mindestens 30 Tage vor Prüfungsbeginn eingereicht wird.[19][20] Allerdings wird Prüfungsangst für gewöhnlich nicht von vornherein als entsprechende Behinderung im Sinne des Gesetzes anerkannt.[21]

In Fällen, in denen die Prüfungsangst Krankheitscharakter hat, ist eine gezielte Therapie sinnvoll. Diese kann über das Regulieren des persönlichen Angstlevels und technische oder organisatorische Maßnahmen wie „positives Denken“, effektives Lernen, die Verbesserung der Prüfungstransparenz und Entspannungsübungen hinaus[22][23] auch psychiatrische Therapieansätze umfassen, wie sie bei anderen Formen von Angststörungen eingesetzt werden. Insbesondere bei medikamentösen Behandlungen sind mögliche Nebenwirkungen zu beachten.

  • Lydia Fehm, Thomas Fydrich: Prüfungsangst. Hogrefe, Göttingen 2011, ISBN 978-3-8409-1610-6.
  • Ralph Haber, Richard Alpert: Test Anxiety. In: Journal of Abnormal and Social Psychology, Band 13, 1958.
  • Helga Knigge-Illner: Prüfungsangst besiegen: Wie Sie Herausforderungen souverän meistern. Campus-Verlag, 2010, ISBN 978-3-593-39175-5.
  • Holger Walther: Ohne Prüfungsangst studieren. 2., überarbeitete Auflage. UTB, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-8252-4367-8.
  • Siegbert A. Warwitz: Formen des Angstverhaltens. In: Ders.: Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. 3., erweiterte Auflage. Verlag Schneider, Baltmannsweiler 2021, ISBN 978-3-8340-1620-1.
  • Siegbert A. Warwitz: Angst vermeiden – Angst suchen – Angst lernen. In: Sache-Wort-Zahl, 2010, Band 112, S. 10–15.
Wiktionary: Prüfungsangst – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. F. Strian: Angst und Angstkrankheiten. C. H. Beck, 1996, ISBN 3-406-39007-2, S. 55. books.google.de
  2. Larry W. Morris, Robert M. Liebert: Effects of anxiety on timed and untimed intelligence tests: Another look. In: Journal of Consulting and Clinical Psychology. Band 33, Nr. 2, 1969, ISSN 1939-2117, S. 240–244, doi:10.1037/h0027164.
  3. Irwin G. Sarason: Stress, anxiety, and cognitive interference: Reactions to tests. In: Journal of Personality and Social Psychology. Band 46, Nr. 4, 1984, ISSN 1939-1315, S. 929–938, doi:10.1037/0022-3514.46.4.929.
  4. Lydia Fehm, Thomas Fydrich: Prüfungsangst. Hogrefe Verlag, 2011, ISBN 978-3-8409-1610-6 (google.de).
  5. a b c d e Petra Holler: Irre viel zu tun: Aufschieberitis, Prüfungsangst & Co. ; Krisen im Studium bewältigen. 1. Auflage. Beltz, Weinheim Basel 2014, ISBN 978-3-621-28181-2.
  6. Ricarda Steinmayr, Julia Crede, Nele McElvany, Linda Wirthwein: Subjective Well-Being, Test Anxiety, Academic Achievement: Testing for Reciprocal Effects. In: Frontiers in Psychology. Band 6, 8. Januar 2016, ISSN 1664-1078, doi:10.3389/fpsyg.2015.01994, PMID 26779096, PMC 4705295 (freier Volltext) – (frontiersin.org [abgerufen am 7. Juni 2024]).
  7. Esther F. Akinsola, Augustina Dubem Nwajei: Test Anxiety, Depression and Academic Performance: Assessment and Management Using Relaxation and Cognitive Restructuring Techniques. In: Psychology. Band 04, Nr. 06, 2013, ISSN 2152-7180, S. 18–24, doi:10.4236/psych.2013.46A1003.
  8. Internationale Hochschule Erfurt: Prüfungsangst. Die Fakten. In: Internationale Hochschule Erfurt. Internationale Hochschule Erfurt, 2022, abgerufen am 7. Juni 2024.
  9. Klara Sommer, Michael Odenwald, Lydia Fehm: Stabilität und Prädiktion von Prüfungsangst bei Studierenden: Ergebnisse einer Längsschnitterhebung mit Erstsemestern. In: Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie. Band 51, Nr. 2, April 2022, ISSN 1616-3443, S. 87–95, doi:10.1026/1616-3443/a000660 (hogrefe.com [abgerufen am 7. Juni 2024]).
  10. David William Putwain: Test anxiety and GCSE performance: the effect of gender and socio‐economic background. In: Educational Psychology in Practice. Band 24, Nr. 4, Dezember 2008, ISSN 0266-7363, S. 319–334, doi:10.1080/02667360802488765 (tandfonline.com [abgerufen am 7. Juni 2024]).
  11. Moshe Zeidner: Does Test Anxiety Bias Scholastic Aptitude Test Performance by Gender and Sociocultural Group? In: Journal of Personality Assessment. Band 55, Nr. 1-2, September 1990, ISSN 0022-3891, S. 145–160, doi:10.1080/00223891.1990.9674054 (tandfonline.com [abgerufen am 7. Juni 2024]).
  12. Sue Swanson, Carol Howell: Test anxiety in adolescents with learning disabilities and behavior disorders. In: Exceptional Children. Band 62, 1996 (englisch, questia.com).
  13. Vgl. hierzu Hans-Otto Schenk: Die Examensarbeit. UTB 2657, Göttingen 2005, S. 100–108.
  14. a b J. Hoyer: Angstdiagnostik. Springer, 2003, ISBN 3-540-43482-8, S. 12ff. books.google.de
  15. Hans Morschitzky: Angststörungen. Diagnostik, Erklärungsmodelle, Therapie und Selbsthilfe bei krankhafter Angst. Wien 1998.
  16. A. Lohaus u. a.: Stressbewältigung für Kinder und Jugendliche. Springer, 2007, S. 203ff. books.google.de
  17. Siegbert A. Warwitz: Optimale Prüfungsorganisation und Umgang mit Prüferfehlern. In: Ders.: Vorlesungsreihe zur Experimentellen Sportpsychologie. Skripten der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe 1995–2002.
  18. Social Anxiety Disorder. In: American Psychiatric Association (Hrsg.): Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition, Text Revision. American Psychiatric Association, Washington, DC 2022, ISBN 978-0-89042-575-6, S. 229–236.
  19. G. E. Zuriff: Accommodations for test anxiety under ADA? In: J Am Acad Psychiatry Law. Band 25, Nr. 2, 1997, S. 197–206. PMID 9213292
  20. William A. Kaplin, Barbara A. Lee: The Law of Higher Education. Wiley, 2007, ISBN 978-0-7879-7095-6, S. 447 (google.at).
  21. Disability Resources der University of Minnesota Duluth. d.umn.edu abgerufen am 18. Jan. 2009.
  22. A. Lohaus u. a.: Stressbewältigung für Kinder und Jugendliche. Springer, 2007, S. 204–210, books.google.d)
  23. Auswertung von Studien zum Verhalten vor Prüfungen. schnatterente.net