Lanfrank von Mailand
Lanfrank von Mailand (auch Giovanni Lanfranci, Lanfranco da Milano, Lanfranc de Milan, Guido Lanfranchi [of Milan], Lanfranco Milanese, latinisiert Lanfrancus Mediolanensis) (* um 1245 in Mailand/Lombardei; † vermutlich vor 1306 in Paris) war ein italienischer Chirurg, der bis zum Bekanntwerden von Guy de Chauliac 1363 als bedeutendster Chirurg des Mittelalters galt. Er brachte das Wissen der Chirurgenschule von Bologna nach Paris, wo er mit Jean Pitard um 1260 ein dem Cosmas und Damian gewidmetes chirurgisches Collegium,[1] das Collège de St. Côme, eine Chirurgenschule nach Art einer medizinischen Fakultät,[2] als Vereinigung der Wundärzte[3] gründete.
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Lanfrank studierte an der von Taddeo Alderotti gegründeten dritten Universität Bolognas die Artes liberales und Medizin. Seine chirurgischen Kenntnisse erhielt er dort als Schüler von Wilhelm von Saliceto. Nach seiner Ausbildung übte er ab etwa 1270 in Mailand als Wundarzt die Chirurgie aus, stellte dort Kasuistiken für ein eigenes Lehrbuch zusammen und wurde auch von Adel und Klerus konsultiert.
Um 1289 verbannte ihn Matteo Visconti (der Capitano del Popolo) aus politischen Gründen aus dem Herzogtum Mailand[4] und Lanfrank zog um 1290 zunächst in die Provence nach Frankreich bzw. Burgund. Im burgundischen Lyon entstand um 1293/94 sein speziell an medizinisch ausgebildete Ärzte gerichteter chirurgischer Leitfaden Libellus de chirurgia, welcher später Chirurgia parva („Kleine Chirurgie“)[5] genannt wurde.
In Paris, wohin er 1295 umgesiedelt war und wo er 1296 seine Chirurgia magna („Große Chirurgie“)[6] als großes medizinisches Lehrbuch vollendete, konnte er zur sich entwickelnden Anerkennung der Chirurgie – einem seinerzeit vor allem praxisbezogenen Fach – als wissenschaftliches Fachgebiet beitragen.[7] In seinen Schriften erwähnt er beispielsweise seine neue Theorie zur Entstehung von Skrotalhernien und eine Operationsmethode derselben,[8] die Durchführung von „Nervennähten“ und eine bei Speiseröhrenverletzungen einzubringende Schlundsonde.[9]
Zu seinen Schülern gehörten der seinerzeit berühmte westflämische Wundarzt Jan Yperman (um 1260 oder 1269/65 bis etwa 1350), der Lanfranks Vorlesungen wahrscheinlich[10] von 1297 bis 1303[11][12] in Paris besuchte, der Brabanter Thomaes Schelling van Thienen (Thomas Scellinck van Thienen; † um 1350)[13] sowie sein Nachfolger in Paris, der normannische Wundarzt und Anatom Henri de Mondeville (Heinrich von Hermundsweil), zu seinen Kollegen und Freunden[14] Bernhard von Gordon.
Schriften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Chirurgia parva: Libellus (opusculum) de chirurgia. Lyon 1293/1294[15][16]
- Chirurgia magna: Liber de chirurgia (Ars completa totius chirurgiae). Paris 1296.
- Anatomia
Ein sich der Jonghe Lanfranc[17][18] nennender Verfasser einer chirurgischen Kompilation aus dem flämisch-brabantinischen Raum veröffentlichte sein Werk[19] im 14. Jahrhundert, nahm aber keine Texte des zu dieser Zeit schon als Autorität geltenden Lanfrank von Mailand darin auf.[20]
Übersetzungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- La cirugia de maestre lanfranco mediolanense, Inkunabel von 1495 Dieses von drei deutschen Buchdruckern in Sevilla hergestellte Buch enthält beide Schriften zur Chirurgie in spanischer Übersetzung.
- Alanfranc en cyrurgie. Pierre Le Dru, Paris 1508 (Digitalisat)
- Otto Brunfels (Übers.). Lanfrancus Mediolanus: Kleyne Wundartzney [...] Straßburg (Christian Egenolph) 1528 (Digitalisat)
- Robert von Fleischhacker: Lanfrank’s „Science of Cirurgie“, Teil I: Text Berlin/New York/Philadelphia 1894; Neudruck New York 1975 (= Early English Text Society: Original Series, 102).
- Jan Frederiksen und Gundolf Keil: Lanfranks ‘Chirurgia magna’ in sächsischer Umschrift des Spätmittelalters. Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 93, Tübingen 1971.
- Armin Berg (Hrsg.): Lanfranks ‘Chirurgia parva’ in der Abschrift Konrad Schrecks von Aschaffenburg (= Altdeutsche Lanfrank-Übersetzungen. III.1). Medizinische Dissertation Würzburg 1975. Jetzt in Kommission bei Königshausen & Neumann, Würzburg.
- Stefan Scholle: Lanfranks „Chirurgia parva“ in mittelniederfränkischer Übertragung (= Altdeutsche Lanfrank-Übersetzungen. Band II.1). Medizinische Dissertation Würzburg 1978 (in Kommission bei Königshausen & Neumann, Würzburg).
- Detlef Scholz: Lanfranks „Chirurgia parva“ in einer Prager Überlieferung des Spätmittelalters (= Altdeutsche Lanfrank-Übersetzungen. Band IV). Medizinische Dissertation Würzburg 1977 (in Kommission bei Königshausen & Neumann, Würzburg).
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Max Neuburger: Geschichte der Medizin. Band II, Enke, Stuttgart 1911, S. 385–388: Lanfranchi (Digitalisat)
- Gundolf Keil: Lanfrank von Mailand. In: Verfasserlexikon. 2. Auflage. Band 5 (1984–1985), S. 560–572.
- Gundolf Keil: Lanfrank von Mailand. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. de Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 822 f.
- Gundolf Keil, Rolf Müller: Deutsche Lanfrank-Übersetzungen des 14. und 15. Jahrhunderts. Zur Wertung der Lanfrank-Zitate in Brunschwigs ‘Chirurgie’. In: Hans-Heinz Eulner, Gunter Mann, Gert Preiser, Rolf Winau und Otto Winkelmann (Hrsg.): Medizingeschichte in unserer Zeit. Festschrift Edith Heischkel-Artelt und Walter Artelt. Stuttgart 1971, S. 90–110.
- Heinz-Ulrich Röhl, Gundolf Keil: Tradition und Intention: Gliederungsprobleme bei der ‘Kleinen Chirurgie’ Lanfranks. In: Jószef Antall u. a. (Hrsg.): Acta Congressus internationalis XXIV historiae artis medicinae, 25–31 Augusti 1974 Budapestini. 2 Bände, Budapest 1976, Band 2, S. 1373–1392.
- Stefan Scholle (Hrsg.): Lanfranks ‚Chirurgia parva‘ in mittelniederfränkischer Übertragung. (Medizinische Dissertation) Würzburg 1978.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Werke von und über Lanfrank von Mailand in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Liste von geschädigten Beständen der Senckenbergischen Bibliothek in Frankfurt am Main (PDF-Datei; 431 kB). : Lanfrancus Mediolanensis: Ein nützliches Wund-Artzney-Büchlein des hochberümpten Lanfranci, durch Othonem Braunfelß verdeutscht. Franckfurdt am Mayn 1552.
- Virginia Moscrip: Incunabula in the Medical Library. In: University of Rochester Library Bulletin. Band 12, Nummer 3, 1957: Sammelband mit chirurgischen Schriften, darunter die Parva Cyrurgia, Venedig 1499.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Johann Gottlob Bernstein: Geschichte der Chirurgie vom Anfange bis auf die jetzige Zeit. Teil 1. Schwickert, Leipzig 1822, S. 123 f.
- ↑ Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 20.
- ↑ Nicolai Guleke: Kriegschirurgie und Kriegschirurgen im Wandel der Zeiten. Vortrag gehalten am 19. Juni 1944 vor den Studierenden der Medizin an der Universität Jena. Gustav Fischer, Jena 1945, S. 24.
- ↑ Gundolf Keil: „Meister der Chirurgie“ aus dem „gesamten deutschen Sprachraum“. Christoph Weißers Chirurgenlexikon mit 2000 Biographien aus der Geschichte der Chirurgie. Ein Essai. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 36/37, 2017/2018 (2021), S. 327–333, hier: S. 329.
- ↑ Heinz-Ulrich Roehl, Gundolf Keil: Tradition und Intention. Gliederungsprobleme bei der 'Kleinen Chirurgie' Lanfranks. In: József Antall, Géza Buzinkay, Ferenc Némethy (Hrsg.): Acta Congressus internationalis XXIV historiae artis medicinae. Budapest 1976, S. 1373–1392.
- ↑ Unter dem Titel Chirurgia magna erschienen auch Werke von Bruno von Longoburgo (1200–1286, beendet 1252), Guy de Chauliac (1298–1368, Publikation 1363) und Paracelsus (1493–1541, veröffentlicht 1573).
- ↑ Volker Zimmermann: Die mittelalterliche Frakturbehandlung im Werk von Lanfrank und Guy de Chauliac. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 6, 1988, S. 21–34, hier: S. 22 f.
- ↑ Christian Neubert, Ludwig Faupel, Uwe Katzenmeier: Bauchwandbrüche. In: Franz Xaver Sailer, Friedrich Wilhelm Gierhake (Hrsg.): Chirurgie historisch gesehen. Anfang – Entwicklung – Differenzierung. Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle, Deisenhofen bei München 1973, ISBN 3-87185-021-7, S. 139–152, hier: S. 141.
- ↑ Ernst Kern: Sehen – Denken – Handeln eines Chirurgen im 20. Jahrhundert. ecomed, Landsberg am Lech 2000, ISBN 3-609-20149-5, S. 252.
- ↑ Gundolf Keil: Yperman, Jan (Jehan, Johan Y., Ieperman). In: Werner E. Gerabek u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, S. 1513 f., hier: S. 1513.
- ↑ Gundolf Keil: „dits die beste raet die icker toe can gegeuen genomen vte platearise“. Quellenkundliche Anmerkungen zu Ypermans Medicine. In: Geneeskunde in nederlandstalige teksten tot 1600. Koninklijke Academie voor Geneeskunde van België, Brüssel 2012 2013, ISBN 978-90-75273-29-8, S. 93–137; hier: S. 97.
- ↑ Gundolf Keil: „blutken – bloedekijn“. Anmerkungen zur Ätiologie der Hyposphagma-Genese im ‚Pommersfelder schlesischen Augenbüchlein‘ (1. Drittel des 15. Jahrhunderts). Mit einer Übersicht über die augenheilkundlichen Texte des deutschen Mittelalters. In: Fachprosaforschung – Grenzüberschreitungen. Band 8/9, 2012/2013, S. 7–175, hier: S. 23.
- ↑ Gundolf Keil: „Meister der Chirurgie“ aus dem „gesamten deutschen Sprachraum“. Christoph Weißers Chirurgenlexikon mit 2000 Biographien aus der Geschichte der Chirurgie. Ein Essai. 2021, S. 329.
- ↑ Gundolf Keil: „blutken – bloedekijn“ [...]. 2012/2013, S. 137, Anm. 1116.
- ↑ Günter Klamroth: Lanfranks „Kleine Chirurgie“ in moderner deutscher Übertragung. (Medizinische Dissertation Würzburg) Horst Wellm, Pattensen bei Hannover 1978 (jetzt in Kommission bei Königshausen & Neumann, Würzburg).
- ↑ Heinz-Ulrich Roehl: Textkritische Vorstudien zur 'Chirurgia parva' Lanfranks. Medizinische Dissertation Bonn 1977.
- ↑ Ria Jansen-Sieben: De ‚Jonghe Lanfranc‘, of: Op- en aanmerkingen bij een niet-definitieve editie. In: Leuv. Bijdr. Band 60, 1971, bijbl., S. 1–8.
- ↑ Erwin Huizenga: Het wonderbarlijke leven van meester Jan Framons. Handschriftelijke context, structuur en intentie van de Middelnederlandse overlevering van de Jonghe Lanfranc. In: Orlanda S. H. Lie, Joris Reynaert (Hrsg.): Artes in context. Opstellen over het handschriftelijk milieu van Middelnederlandse artestexten. Hilversum 2004 (= Artesliteratuur in de Nederlanden. Band 3), S. 99–148.
- ↑ Rolf Müller: Der ‚Jonghe Lanfranc‘. (= Altdeutsche Lanfranc-Übersetzungen. Band 1) Medizinische Dissertation, Bonn 1968 (Textedition). In Kommission bei Königshausen & Neumann, Würzburg.
- ↑ Gundolf Keil: Jonghe Lanfranc (= Junger Lanfranc). In: Enzyklopädie Medizingeschichte. 2005, S. 704.
Personendaten | |
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NAME | Lanfrank von Mailand |
KURZBESCHREIBUNG | Chirurg des Mittelalters |
GEBURTSDATUM | 13. Jahrhundert |
GEBURTSORT | Mailand |
STERBEDATUM | 13. Jahrhundert oder 14. Jahrhundert |