Emser Erlass
Den Emser Erlass (auch Ukas von Bad Ems, russisch Эмсский указ, ukrainisch Емський указ) unterzeichnete der russische Zar Alexander II. in Bad Ems am 30. Mai 1876 im Vier-Türme-Haus. Er verbot im Russischen Kaiserreich die öffentliche Verwendung des Ukrainischen.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1863 verbot im Zusammenhang mit dem polnischen Januaraufstand, der auch auf die Ukraine übergriff, der russische Innenminister Walujew mit dem sogenannten „Walujew-Zirkular“,[Anm. 1] die ukrainische Sprache („den kleinrussischen Dialekt“) für wissenschaftliche und religiöse Publikationen sowie Schulbücher zu verwenden. Eine kaiserliche Kommission, die „ukrainophile Propaganda“ untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass die Verwendung der ukrainischen Sprache staatsgefährdende Auswirkungen habe.[1] Dies führte dazu, dass der Geltungsbereich des Walujew-Zirkulars ausgedehnt wurde und Alexander II. am 30. Mai 1876 den Emser Erlass unterzeichnete. Er verbot im Russischen Kaiserreich Druck, Import und Verbreitung literarischen Schrifttums in ukrainischer Sprache in allen Formen, auch im Theater, und stellte Zuwiderhandlungen unter Strafe.[2][3]
Entsprechende Schriften konnten nur noch im Ausland erscheinen. Dies geschah vor allem im benachbarten, damals österreichischen Galizien, wo ebenfalls Ukrainisch gesprochen wurde. Die Maßnahme trug so ungewollt dazu bei, ein ukrainisches Nationalbewusstsein und eine gemeinsame literarische Sprache und Kultur auf beiden Seiten der österreichisch/russischen Reichsgrenze herauszubilden.[4]
Lockerungen, um die ukrainische Sprache im Russischen Reich zu verwenden, regte zunächst die Russische Akademie der Wissenschaften 1905 an.[5] Sie bewertete Ukrainisch („Kleinrussisch“) so nicht als einen Dialekt, sondern als eigenständige Sprache.[6]
Im Zuge der russischen Revolution von 1905 veröffentlichte Zar Nikolaus II. auf Vorschlag von Sergei Witte das Oktobermanifest vom 17. Oktober 1905. Damit wurde der Emser Erlass faktisch hinfällig.[7] Bereits im Dezember 1905 erschienen die ersten beiden Zeitungen in ukrainischer Sprache.[8]
Gedenken und Nachwirkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Emser Erlass ist ein Zeugnis russischen Chauvinismus in Bezug auf die ukrainische Kultur. Noch im Juli 2021 hat Wladimir Putin in dem Essay Zur historischen Einheit von Russen und Ukrainern den Erlass als eine gerechtfertigte Schutzmaßnahme des Zaren verteidigt und damit als Baustein in der Rechtfertigung seines russischen Überfalls auf die Ukraine 2022 verwendet.[9]
Am Vier-Türme-Haus, in dem der Zar den Emser Erlass in Bad Ems unterzeichnete, ist eine Gedenktafel angebracht. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine wurden in Bad Ems ein Hinweisschild auf die historische Stätte und ein ukrainisches Wappen entfernt. Vermutet wird dahinter politischer Vandalismus.[10]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine. 5. überarbeitete und aktualisierte Auflage. C. H. Beck, München 2019, ISBN 978-3-406-73558-5, S. 133 ff.
- Paul Robert Magocsi: A History of Ukraine. University of Toronto Press, Toronto 1996, ISBN 0-8020-0830-5, S. 372 f.
- Mirko Monschauer: Als der Zar Ukrainisch verbot. In: Wormser Zeitung. 26. November 2022, S. 7.
- Serhii Plokhy: Das Tor Europas. Die Geschichte der Ukraine. Hoffmann und Campe, Hamburg 2022, ISBN 978-3-455-01526-3, S. 246–250 (englisch: The gates of Europe. Übersetzt von Anselm Bühling u. a.).
- Viktor V. Tymčenko: Ukraine: Einblicke in den neuen Osten Europas. Ch. Links Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-86153-488-4, S. 75 f.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]: Wladimir Putin: Zur historischen Einheit von Russen und Ukrainern.
- Reflexion von Peter Jungblut bei der Kulturredaktion des Bayerischen Rundfunks zu einem Beitrag des russischen Politologen Georgi Bovt vom 30. Mai 2022 in der russischen Online-Zeitung Gazeta, welche politischen Folgen der Emser Erlass nach sich zog, abgerufen am 14. August 2022
Anmerkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Monschauer: Als der Zar Ukrainisch verbot.
- ↑ Viktor V. Tymčenko: Ukraine. 2009, S. 75; Andreas Kappeler: Kleine Geschichte. S. 133.
- ↑ Dieser Tag in der Geschichte. Emser Erlass - ein Versuch, die ukrainische Kultur zu vernichten. 30. Mai 2018, abgerufen am 6. September 2023.
- ↑ Plokhy: Das Tor Europas.
- ↑ Viktor V. Tymčenko: Ukraine. 2009, S. 76; Monschauer: Als der Zar Ukrainisch verbot.
- ↑ Plokhy: Das Tor Europas.
- ↑ „Es gab, gibt und kann keine spezielle kleinrussische Sprache geben“. Vor 140 Jahren wurden Bücher in ukrainischer Sprache in Russland verboten. gaseta.ru, 17. Juni 2016.
- ↑ Dmytro Donzow: Die ukrainische Staatsidee und der Krieg gegen Russland, 1915, Kap. 4.4 (d).
- ↑ Monschauer: Als der Zar Ukrainisch verbot.
- ↑ Monschauer: Als der Zar Ukrainisch verbot.