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Zur Wohnungsreform in Wien

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Titel: Zur Wohnungsreform in Wien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 233–234, 235
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
siehe auch Themenseite Wien
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[235]

Aus dem neuen Cottage-Viertel in Wien.
Nach der Natur aufgenommen von Hlavazek.

[233]
Zur Wohnungsreform in Wien.
(Mit Abbildung S. 235.)

Der Wiener lebt sehr viel außer dem Hause. Man kann wohl die Behauptung wagen, daß in der inneren Stadt auf jedes dritte Haus ein Gast- oder Kaffeehaus kommt, und wenn es auch erst jedes vierte Haus wäre, so sagt auch das schon genug. Diese Locale werden nicht cultivirt, weil sie zufällig existiren, sondern sie existiren, weil ein Bedürfniß nach ihnen vorherrscht, und dieses Bedürfniß läßt sich vorzüglich auf die höchst unbefriedigenden Wohnungsverhältnisse in Wien zurückführen. Unsere Zinsburgen gewähren dem Miether nur in seltenen Fällen ein trauliches, behagliches Heim, und darum wird nur zu gern ein Ersatz dafür in den meist sehr behaglich reich ausgestatteten öffentlichen Localen gesucht. Was aber die Zinsburgen nicht verschulden, das verschuldet die altererbte, hoch in Ehren gehaltene, aber recht unpraktische Sitte, das beste und größte Zimmer stets wiederum der Geselligkeit, das heißt als sogenannten Salon, zu opfern und sich dafür mit Kind und Kegel auf die kleineren, oft finsteren Zimmer zu beschränken.

Auch darüber sind die Acten geschlossen, daß Wien, was die Wohnungsmiethe betrifft, zu den theuersten Städten gehört, und vielleicht ist unsere Metropole sogar in dieser Beziehung die allertheuerste. Außerdem weist die Statistik nach, daß in keiner europäischen Stadt so viele Einwohner auf ein Haus kommen, wie in Wien. Ich spreche nicht davon, daß wir eine ganz beträchtliche Anzahl von Häusern haben, deren Einwohner nach Tausenden zu zählen sind; die können immerhin als Ausnahmen betrachtet werden, als Ausnahmen freilich, wie sie in anderen Städten sehr selten anzutreffen sein dürften, allein die offen zu Tage liegende Tendenz von Bauherren und Baumeistern, möglichst viele Menschen in ein Haus hineinzupferchen, darf wohl constatirt werden.

Aus allen diesen Mißständen entwickelten sich schließlich Verhältnisse, die sich als Mißverhältnisse bald sehr fühlbar machten, besonders zur Zeit des volkswirthschaftlichen Aufschwunges, der so viele Goldsucher nach dem Goldlager in der Reichshaupt- und Residenzstadt gelockt hatte. Man sann auf Reformen, und die Zeit war darnach angethan, jeder nur halbwegs plausiblen Unternehmung eine scheinbar sichere Prosperität zu gewährleisten. Eine Reihe intelligenter, von den besten Absichten beseelter Männer begann Propaganda zu machen für das Cottagesystem, für das Familienwohnhaus, wie es sich namentlich in England und an vielen Orten Deutschlands und Frankreichs glänzend bewährt hatte. „My house is my castle (mein Haus ist meine Burg)!“ Das war die Parole im Feldzuge gegen die ungeheuren Miethcasernen, die der einzelnen Familie für theures Geld weder genügend Licht und Luft, noch auch die nöthige Freiheit der Bewegung gewähren. Es wurde sowohl in volkswirtschaftlicher, wie in moralischer Beziehung der Beweis für die Vortrefflichkeit des Cottagesystems erbracht. Wer hätte auch etwas Stichhaltiges vorbringen können gegen die beigeschafften Argumente! Ein Haus für eine, höchstens für zwei Familien, für jedes Haus ein Garten, im Hause selbst große, lichte und luftige Räume, Alles auf das Zweckmäßigste in wirthschaftlicher, wie in sanitärer Hinsicht eingerichtet, dazu die Aussicht für einen Familienvater, für sich oder seine Kinder ohne besonderen Kostenaufwand ein Haus als Eigenthum zu erwerben, durch jährliche Ratenzahlungen, durch welche zu gleicher Zeit die Miethe und der Kaufpreis des Hauses berichtigt werden sollte und die doch sich nicht wesentlich höher stellen sollten, als der in Wien übliche Miethzins an sich – was in aller Welt hätte daran schlecht sein sollen?!

Der Wiener Cottageverein begann also zu Anfang des Jahres 1872 unter sehr günstigen Auspicien seine Wirksamkeit. Eine große Zahl von Mitgliedern trat demselben bei, und unter diesen eine verhältnißmäßig sehr stattliche Reihe von Capacitäten aller Kategorien. Der Verein war bald nach seiner Gründung schon in der Lage, ausgedehnte Kleefelder und Gartengrundstücke in der Umgebung Wiens zu erwerben und mit dem Baue von Familienhäusern zu beginnen, die, wie eine Denkschrift des Vereines besagt, „den Mittelstand und die sogenannten kleinen Leute, namentlich auch solche, welche auf jährlich gleichbleibende fixe Bezüge angewiesen sind, Beamte, Lehrer, Pensionisten u. dergl. m. vor den Calamitäten schützen sollten, welche aus der Wohnungsnoth erwachsen und welchen sie fast wehr- und schutzlos gegenüberstehen.“ Alles ging prächtig von Statten, bis der „schwarze Freitag“ für Oesterreich, der 9. Mai, mit seinen verheerenden wirthschaftlichen Katastrophen hereinbrach. Der Cottageverein hat sich allerdings, dank den ehrenhaften Männern, welche seine Leitung in Händen hatten, und die zumeist auch heute noch an der Spitze des Vereines stehen, mit Ehren aus der Affaire gezogen, allein es konnte doch nicht gehindert werden, daß auch ihm durch den Krach Wunden geschlagen wurden, so schwer, daß er sich vielleicht nie mehr ganz von denselben erholen wird. Mit heroischer Ausdauer trug der Verein die Verluste, die ihn trafen, er wankte nicht, als Zweig um Zweig abfiel, als viele Mitglieder ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkamen und ihm all die angefangenen und vollendeten Bauten auf dem Halse ließen; er kämpfte sich wacker durch, aber sein ursprüngliches Programm einzuhalten war er nicht mehr in der Lage, weil es ihm an einem Publicum fehlte, das ihm hätte entgegenkommen können.

Die fröhliche Gartenstadt, die der Leser in diesen Blättern abgebildet findet, liegt in Währing, einem Vororte von Wien, an der sogenannten Türkenschanze. Der Eindruck, welchen die ganze Anlage macht, ist ein sehr behaglicher, und überall bei der Anlage des Ganzen, sowie bei den einzelnen Hausplänen, ist ein praktischer, auf möglichsten Comfort gerichteter und doch nie die Rücksicht auf Sparsamkeit aus dem Auge lassender Sinn wahrnehmbar. Das Grundstück, auf welchem sich die Häuser und Gärten erheben, ist etwas über zwölf österreichische Joch (über sechs und einen halben Hectaren) groß, und wird durch drei Längen- und vier Querstraßen, die sich auf der Anlage kreuzen, durchzogen, sodaß sechs große Rechtecke gebildet werden, welche Raum für siebenzig Häuser sammt Gärten bieten. Die Häuser, zumeist an die Formen deutscher Renaissance mahnend und von anderen Baustilen durchbrochen, bieten in ihrem Anblicke angenehme [234] Abwechselung, haben aber doch durch die fast durchweg gleich eingehaltene Höhe und sonstigen Merkmale wieder mancherlei Gleichartiges. Die Straßen sind durchweg sieben bis acht Klaftern (vierzehn bis sechszehn Meter) breit, haben zu beiden Seiten einen mit vortrefflichem Neuschateler Asphalt (bituminöser Kalkstein) belegten Bürgersteig (Trottoir), Wasserabläufe, unterirdische Unrathscanäle, Gasbeleuchtung, Wasserleitung aus der bekannten Hochquellenleitung, Alleen zu beiden Seiten der Straßen, kurz, es ist den Anforderungen der Annehmlichkeit ebenso Rechnung getragen, wie jenen, welche Reinlichkeit und Gesundheitspflege bezwecken. Hierzu gehört auch die Anlage der Gärten und Vorgärten, in denen die Häuser hineingestellt erscheinen, sodaß jedes Haus mindestens von drei Seiten Licht, Luft und Sonne hat und sich dadurch vortheilhaft von den Häusern in der Stadt unterscheidet. Die Häuser sind nach gleichen Principien gebaut, wie erwähnt, meistens gleich hoch, mit Souterrain, Hochparterre, erstem Stockwerke und Mansarden, und bei allem Comfort doch höchst einfach und solid erbaut. Wer auf diesem Terrain bauen läßt, muß sich den hier geltenden Grundsätzen anbequemen, wozu auch die Bestimmung gehört, daß nach vollendetem Baue weder ein Zubau noch Umbau gestattet wird, durch welchen die Aussicht oder das Licht benommen werden könnte. Ebenso dürfen in diesen Häusern weder lärmende, feuergefährliche, noch auch üblen Geruch verbreitende Gewerbe betrieben werden, eine Bestimmung, die darnach angethan ist, den Aufenthalt in den Cottages angenehm zu gestalten.

In allem ist die fürsorgliche Aufsicht des Vereinsausschusses sichtbar, welcher, unter der Leitung des Oberbaurathes Heinrich Ritter von Ferstel, des genialen Erbauers der alten Weltausstellungsbesuchern in bester Erinnerung stehenden Votivkirche, seine Geschäfte besorgt. Mit besonderem Geschick aber ist die schwierige Aufgabe gelöst worden, die mitunter knapp bemessenen Mittel des Vereins mit den Anforderungen in Einklang zu bringen, welche Schönheit, Eleganz und Zweckmäßigkeit an die einzelnen Bauten stellten. Architekt Karl Bockowski hat hier mitunter Ueberraschendes mit kleinen Mitteln zu leisten verstanden, sodaß manche Cottage schon mehr der prunkhaften Villa gleicht. Zu den sehenswerteren Bauten gehören die Cottage Ferstel, die Villa des Hofschauspielers Hartmann und jene des Leipziger Theaterdirectors Dr. Förster (obere, linke und rechte Ecke der Randzeichnung). Eine Specialität der Cottage-Anlage sind die vielen Aussichtsthürme, wie dies auch die Zeichnung kund giebt, und welche mancher sonst einfachen Cottage ein ganz stattliches Aussehen verleihen.

Ein solcher, ganz unvermuthet reizender Punkt ist die auf unserem Mittelbilde beflaggt gezeichnete Aussichtswarte, von welcher man nicht nur die ganze Cottage-Anlage wie auf einem Präsentirteller übersieht, sondern auch die große „Wiener Stadt“ sammt der herrlichen Umgebung: Leopoldsberg, Bisamberg, Marchfeld, Kahlenberg, Hermanns- und Tulbingerkogel, Sophienalpe, Heuberg, Satzberg, Galitzynberg, Aninger- und den Schneeberg.

Die Baukünstler, die das Alles so schön und dabei so praktisch hergestellt haben, tragen freilich keine Schuld daran, daß die Zeitverhältnisse den Verein verhindern, seinem ursprünglichen Zwecke voll und ganz zu entsprechen. Die „sogenannten kleinen Leute“, für welche doch in erster Linie der Verein in’s Leben gerufen wurde, können längst hier nicht mehr mitthun, denn das billigste Familienhaus des Cottagevereins stellt sich auf rund zehntausend Gulden und die jährlichen Kosten dafür betragen in runder Summe nahe an tausendfünfhundert Gulden. Für die „sogenannten kleinen Leute“ ist das zu viel; für das Geld könnten sie ja auch im Centrum der Stadt eine recht angenehme Wohnung haben, und dabei würden sie noch die Kosten sparen, die ihnen bei dem Aufenthalte in den Cottage-Anlagen durch die täglich doch mindestens zweimalige Benutzung von Stellwagen oder Pferdeeisenbahn erwächst.

Wenn es sich nun also auch herausstellt, daß der Verein seinen ursprünglichen Zwecke doch nicht zu entsprechen vermag, wenn es sich auch als unmöglich erwiesen hat, in Wien für den Mittelstand Wohnhäuser mit Gärten zu schaffen, so muß das selbstlose Wirken des Cottagevereins doch in hohem Grade anerkannt werden. Er hat Wien um einen reizenden Stadttheil bereichert; er hat siebenzig von freundlichen Gärten umgebene Familienhäuser geschaffen, die ja für Wien einen Fortschritt bedeuten, wenn sie auch vor der Hand den „kleinen Leuten“ noch nicht zu Gute kommen können, und er hat endlich die große Frage der Wohnungsreform in Wien, wenn auch nicht gelöst, so doch in Fluß gebracht. Eine Baugesellschaft, die Wien mit einem so schönen Schmucke bedacht hat, die siebenzig Bauten vollendet hat, ohne dabei einen selbstsüchtigen, materiellen Vortheil zu suchen, verdient die ungeschmälerte Hochachtung, und diese sei ihr auch gerne gezollt!