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Sprache und Musik in der Natur

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Titel: Sprache und Musik in der Natur
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44; 46, S. 584–586; 615–617
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Die Fortsetzung Nr. 3 siehe Sprache und Musik in der Natur (3) in Heft 22 des Jahrgangs 1856
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[584] Sprache und Musik in der Natur.
Erster Artikel.

Wochen und Monate lang war das Schiff des tapfern Seehelden Almeida auf den Wassern umher geirrt. Endlich, während einer finstern, stürmischen Nacht roch man Land. Die würzigen Dufte wehten mit dem Sturme über das Schiff und stärkten und erquickten die schon verzagten Mannschaften. Sie flehten zu ihren Heiligen und glaubten erhört zu sein, als sich mit Tagesanbruch die Wogen besänftigten und der aufgeklärte Himmel am fernen Horizonte Land aufsteigen ließ. Endlich sah man Berge und Wälder und Rauchwolken, entzückende Bilder, von deren Zauber sich nur der Seemann, nachdem er Monate lang nichts als Himmel und Wasser gesehen, einen Begriff machen kann. Aber diesmal war noch manche Gefahr zu überwinden, ehe die Portugiesen Almeida’s festen Boden unter ihre Füße bringen konnten. Das Land schien gegen Landung befestigt. Steile, mürrische Berge erhoben sich an der ganzen Küste entlang, drohend gegen das nahende Schiff, so daß es beim neuen Anbruche der Nacht noch keinen Hafen gefunden und die See wieder suchen mußte, um sich von der Gefahr des Scheiterns zu entfernen. Aber welche seltsame, grauenhafte Musik erscholl hinter ihnen her? Jetzt schwoll sie aus der Tiefe in ihrer Nähe, dann krächzten und kreischten wie Hohngelächter der Hölle die schrecklichsten Mißtöne aus der Ferne. Jetzt lachte, dann weinte es. Das Jammern und Wimmern platzte mit einem Male in ein furchtbares Zetergeschrei sich balgender Menschen aus mit Mordgebrüll und sterbenden Hülferufen dazwischen, die zuletzt allein übrig blieben und einzeln verschollen, als seien die Gemordeten nun alle todt. Die wetter-harten Gesichter der abergläubischen Matrosen erbleichten. Sie fielen auf ihre Knieen und beteten und kreuzten sich und flehten inbrünstig zu Gott und allen Heiligen, sie oder wenigstens ihre Seelen aus dem Rachen des brüllenden Satan zu retten.

Durch diese abergläubische Portugiesen kamen die ersten Nachrichten von der seitdem so mystisch berühmt gewordenen „Teufelsstimme“ auf der Insel Ceylon nach Europa. Ihre Schilderung lautete, wie wir sie eben theilweise angegeben. Die Eingebornen selbst schrieben die schrecklichen Töne dem leibhaftigen Teufel zu. Andere stellten die Vermuthung auf, der „Geist der Natur,“ der im Innern der Erde logire, lasse sich auf diese Weise zuweilen hören. Spätere Erklärer nahmen die ungeheuern Bergesklüfte und engen Höhlen, die das Meer in die Felsen geleckt, zu Hülfe. Der Wind pfeife hindurch und erschüttere die Felsen oder mache die Luft auf dieselbe Weise tönend, wie eine Orgel. Mit Uebergehung weiterer Hypothesen bemerken wir nur, daß diese fürchterliche Musik auf Ceylon, eine Fuge von Hundegebell, Menschenstimmen, Gelächter, Gebalge und Geschrei, von Heulen und Zähneklappern der Hölle, einem Vogel: „Teufelsvogel“ oder „Ulama“ zugeschrieben wird. Vielleicht macht der Teufelsvogel nur als Primadonna die nöthige Vocalmusik zu dem Naturorchester von Windharfen und Felsenorgeln. Man sagt wohl: „der Vogel singt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist,“ obgleich just keiner so singt. Jeder Vogel ist eine Art Künstler, er singt, wie er’s gelernt hat von seinen Herren Aeltern oder als Waise von seinen Erziehern, von seinen Gespielen. Das weiß man nirgends besser, als in der Vogelsingakademie zu Ruhla in Thüringen, wo Kanarienvögel u. s. w. ausgebildet werden, die im Preise um Hunderte von Procenten abweichen, je nachdem sie von Finken, Lerchen oder Nachtigallen erzogen und ihr Gesangstalent entwickelt haben. Ueberhaupt haben die kultivirten, europäischen Kanarienvögel kein einziges Naturlied mehr mit ihren wilden Angehörigen auf den Kanarien-Inseln gemein.

Der Engländer Daines Barrington schickte einen Sperling bei einem Hänfling in die Schule, bis er eben so sang, wie sein Schulmeister. Ich habe einen Specialfreund im Hause, einen „Kocki“, wie er zärtlich genannt wird statt Kakadu, seit funfzehn Jahren einziges Kind einer von Australien eingewanderten Familie, der keinen einzigen Ton mehr singt, niemals krächzt und schreit, sondern mit seiner heisern Kinderstimme den ganzen Tag Englisch spricht und zwar so deutlich, daß man ihm jedes Wort versichert kann. Er bekümmert sich um Alles und hat in jede häusliche Angelegenheit mit hinein zu reden. Merkwürdiger Weise frühstückt er den ganzen Tag, und hat es noch nicht so weit gebracht, die verschiedenen Mahlzeiten zu unterscheiden. Noch Abends um elf Uhr, wenn Herr und Frau ihr Souper genießen, ruft er: „I want a bit of breakfast“ (Ich bitte um’n Bischen Frühstück). Mich erkennt [585] er schon weit vor’m Hause am Schritte und ruft, daß man öffnen solle. Er hat mich lieb bis zur Unerträglichkeit und klettert, so oft es geht, an mir in die Höhe, um mich zu küssen und sich dafür unter dem Flügel krauen zu lassen. Dafür macht er mir mit seiner großen gelben Krone ununterbrochen Komplimente. So oft er unten entwischen kann, kommt er die Treppe heraus und klopft an meine Thür, um „Good morning, Doctor!“ zu rufen und dann mit Kennermiene zuzusehen, wie ich schreibe, mir Zucker in den Kaffee zu werfen, immer ein Stückchen für sich zu behalten, und sich zu verdefendiren, wenn man ihn deshalb schilt: „Never mind! Only a little bit! Of no consequence, you know!“ („Schon gut! Blos ’n kleines Bischen! Ist ja gar nicht der Rede werth!“) nur daß dieser Sinn im Englischen ungemein leichter für die Sprechwerkzeuge ist, wie es auch überhaupt bekannt ist, daß Vögel von allen Sprachen Englisch immer am Leichtesten und Schnellsten lernen.

Dieser „Kocki“ spricht blos Englisch, weil er seit funfzehn Jahren nie etwas Anderes vernommen. Doch daß ich nicht lüge: er bellt auch zuweilen, aber selten und immer seltener in zärtlicher Erinnerung an einen dahingeschiedenen Freund, ein kleines Hündchen, mit welchem er zehn Jahre zusammenlebte, der aber auf der Reise von Australien starb. Wenn er so einsam in der Sonne sitzt und an die Vergangenheit denkt, tritt sein ehemaliger Freund und Spielgenosse vor seine Seele und da bellt er so rührend, so melancholisch, so zärtlich, so piano.

Der amerikanische Spottvogel, von den Indianern „Contla tolli“, d. h. „400 Zungen“ genannt, hat seit dem Eindringen der Civilisation seine 400 Sprachen bedeutend vermehrt: er spricht in der Nähe von Eisenbahnen wie eine Locomotive u. s. w. Noch weiter hat es der mächtige Lyra-Fasan in Australien gebracht. Der macht Alles nach: Pferdegetrappel, Rossegewieher, Rädergeknarre, Hundegebell, Kindergeschrei, Weibergezänk, kurz Alles, was er hört. Ein ähnliches Sprachgenie mag der Ulama auf Ceylon sein, wodurch sich die furchtbare Sage und sein furchtbares Höllengekreisch natürlich und ohne Mystik erklären lassen mag. Auch die schauerlichen Sagen von furchtbaren, unheimlichen Stimmen verborgener Naturgeister in der Wüste Cop, am Hindu-Kusch bei Kabul, bei El Nakuhs am rothen Meere, in den Granitfelsen am Orinokko, die Höllenmusikanten des Teufelsberges am Cap, das Tönen der Memnonssäule in Aegypten und anderer tönender oder blos erscheinender Spuk haben allmälig nüchternen natürlichen Erklärungen furchtloser Naturforscher weichen müssen, obgleich dadurch das Schauerliche, Fürchterliche, Unheimliche dieser in Sagen und Religionen verherrlichten Naturstimmen dadurch im Wesentlichen nicht geschwächt wird. Die Orgelmusik der Granitfelsen am Orinokko bei Sonnenaufgang soll zuweilen so hinreißend erhaben und überwältigend sein, wie kaum die genialste Composition von Mozart oder Beethoven, oder die renommirende „Zukunfts“-Musik Wagner’s, die sich in der Meinung abfiedeln läßt, als wären Mozart und Beethoven „überwundene Standpunkte.“

Bis vor nicht langer Zeit hielt man fast alle niedrigeren und niedrigsten Thiergattungen für taubstumm. Neuerdings haben wir die schönen Augen dieser Blinden und die verständliche Sprache dieser Tauben entdecken und bewundern lernen. Die Ohren mancher Muscheln und anderer Schalthiere sind Wunder von Schönheit. Da man durchweg bis in die niedrigsten Geschöpfe herab Andeutungen von Gehör und Mittheilungstalent bemerkt hat, darf man annehmen, daß alle Geschöpfe je nach ihrem Bedürfniß ihre Thore haben, aus denen und durch welche sie mit der Außenwelt verkehren. Dies geht so weit, daß selbst die durch und durch sprachlosen Thiere nicht nur sprechen, sondern auch Musik machen. Wenigstens hört man genau, wie sie Takt schlagen. Und warum sollten sie Takt schlagen, ohne in ihrer Weise zu singen und zu spielen? Sie machen Instrumentalmusik. Der große Roßkäfer schlägt jedesmal für die Ohren seiner Kollegen Höllenlärm, so oft man ihn erfaßt oder beunruhigt, indem er mit den Flügeldecken auf die Brust trommelt. Zwei Käfer, Todtenuhr und Tickuhr genannt, deren letzterer in regelmäßigen, schnellen Tritten sich durch’s Holz frißt und die wurmstichigen Löcher in Tische und Stühle der Bauern meißelt, gelten bei wackelköpfigen Großtanten immer noch als Verkündiger des Todes. Ersterer schlägt mit seinem wundervoll scharfen und künstlichen Meißel in der Nacht oft außerhalb alten Holzes, wohl gar an unsern Bettbrettern, seine Taktsprache, die von Andern seiner Art beantwortet wird. So unverständlich sie uns auch klingt, die Leutchen unter sich verstehen sich jedenfalls. Die Spechte, während der Brütezeit nicht gut bei Stimme, schlagen mit dem Schnabel gegen dürre, hohle Aeste und Zweige auf eine Weise, der eine gewisse Philologie, eine gelehrte, uns unverständliche Sprache zu Grunde liegt. Jedenfalls haben sie’s unter sich ausgemacht, so und so viel Schläge und die und die Art Schläge bedeuten dies und bedeuten das. Die wunderbarste Art der Sprache ohne Stimme findet man bei zwei Arten italienischer Grashüpfer, Cicada plebeja und Cicada orni. Blos die Männchen scheinen sprechen zu können und zwar mit einem eigenen äußern Instrumente, welches aus mehreren gewundenen Zellen unter dem Körper besteht. Sie sind durch Häutchen von einander getrennt und laufen nach Außen in zwei enge Klappen aus. In der Mitte dieser Zellen hängt ein wundervolles, kleines Meisterstück von Triangel, neben welchem zwei beinahe stahlharte Muskeln angebracht sind, mit denen das Thier sein Sprach- und Musikinstrument vermittelst Luftstöße schlägt. Durch die eine Klappe wird mit Hülfe der beiden Muskeln Luft eingesogen, durch die andere ausgestoßen. Indem sie auf diese Weise durch die Zellen strömt, giebt der Triangel mit guter Räsonnanz in den Zellen eine so laute Janitscharenmusik von sich, daß eine einzige männliche Cicade im Zimmer die angestrengtesten Stimmen einer ganzen menschlichen Gesellschaft übertäuben kann. Doch kann der Spieler auf seinem merkwürdigen Instrumente auch sehr piano flöten, namentlich in Liebesaffairen, wo die weiblichen Cicaden eben blos zum stummen Gehorchen verurtheilt zu sein scheinen, da sie eben gar keine Stimme haben.

Ameisen haben auch keine Sprachwerkzeuge und machen sich deshalb nur durch äußerliche Zeichen und Instrumente gegenseitig Mittheilungen, wie man besonders beim Häuserbau der Termiten beobachten kann. Die ausstehenden Wachen schlagen dann genau alle zwei Minuten (so daß man die Uhr danach reguliren kann) mit ihrer Zunge gegen eine Wand oder sonst einen festen Gegenstand. Jeder dieser Schläge wird jedesmal durch das ganze Gebäude von allen Arbeitern durch ein leises Hissen beantwortet. An der Spitze dieser Wachen oder Aufseher stehen eine Art Offizier oder Chef von stolzer, militärischer Haltung, der immer das Zeichen zu den zweiminutlichen Schlägen giebt. Bienen sind große Musikliebhaber und unterscheiden Menschen an deren Stimme. Der Engländer Huber, einer der intimsten Kenner des Bienenstaates (obgleich er blind war), erzählt uns, wie sie den Ruf des „Bienenvaters“ vernehmen und seinem Commando gehorchen. In Asien versteht man das besser als bei uns. Dort führen Väter ihre Bienen auf’s Feld und lassen sie nach Herzenslust weiden in den würzigen Blumenkelchen, bis sie ihnen auf eine eigenthümliche Weise pfeifen und sie sich dann folgsam wieder nach Hause führen lassen.

In allen Ameisen- und Bienenstaaten herrscht eine sehr ausgebildete Telegraphensprache vermittelst der Fühlhörner. Der Tod der Königin ist im Augenblicke durch das ganze Land telegraphirt. Menschen sehen dann blos geheimnißvolle Bewegungen, hören aber keinen Ton, obgleich jede Bewegung Lufterschütterungen erzeugt, die auch uns hörbar sein würden, wenn wir das Ohr so bewaffnen könnten, wie das Auge, durch 2 bis 4000 Mal vergrößernde oder näher bringende Mikro- und Teleskope. Auch „Wachsen“ ist Bewegung, so daß man am Ende noch wirklich das Gras wachsen hören könnte. Huber versichert, daß die Sprache der Bienen nicht blos Zeichensprache sein könne, sondern die Bewegungen hörbar sein müßten. Ameisen, die sich begegnen, erzählen sich unterwegs vermittelst der Fühlhörner lange Geschichten und bestimmte Thatsachen, wofür es so viele Beispiele giebt, daß wir sie im Allgemeinen als bekannt voraussetzen.

Mancher Gefangene erwarb sich in der einsamen häßlichen Spinne den einzigen, treuen Freund seines lebendigen Todes. Fauzun, Quatermère d’Jjonville und andere berühmte Gefangene gingen mit ihren Spinnen um, wie mit den treuesten Freunden. Sie ließen sich aus deren Händen füttern, und kamen freudig herangekrochen, wenn sie gerufen wurden. Die Gefängnißwärter ahmten den Ton vergebens nach. Die Spinnen kannten und unterschieden die Stimme ihres Freundes. Gänse retteten einst durch ihr Geschrei das Capitol in Rom, d’Jjonville’s Spinnen ihren Freund. Er hatte ihr Wetterprophezeihungstalent studirt, aus welchem er auf einen frühen harten Winter schloß. Deshalb sandte er den [586] Franzosen Nachricht, daß die Sümpfe und Seen Hollands bald vom Eise überbrückt werden würden. Der Frost kam, die Franzosen liefen darüber hin, nahmen Holland und gaben dem Gefangenen die Freiheit.

Selbst die gehässige Kröte hat sich zuweilen als fein gehorsamer, talentvoller und angenehmer Gesellschafter bei Gefangenen eingefunden. Sie kommen des Nachts heraus aus ihren Schlupfwinkeln auf den Ruf ihres Freundes, nehmen Fliegen aus seiner Hand und kehren wieder zurück, sobald sie merken, daß sie nicht mehr angenehm sind. Es sind Beispiele bekannt, dapß sie immer blos in Zeiten kamen, wenn der Gefangnenwärter nicht zu fürchten und Alles sicher war, Beispiele, daß sie immer zu einer bestimmten Stunde herauskamen, als hätten sie eine richtig gehende Wanduhr zu Hause.

Die Schlangen haben Ohren so fein, wie ihre Zungen und sind leidenschaftlich musikalisch. Die Haubenschlange in Westindien ist zuerst ungemein wild und wüthend. Der „Beschwörer" macht sie durch Schläge noch wüthender, um die zauberische Wirkung seiner singend gesprochenen Schmeichelworte desto effectvoller zu zeigen. Jetzt erhebt er seine Hand, wie zum Schlage. Die Schlange folgt jeder Bewegung mit den brillenartig umzeichneten Augen und spielender Zunge, um den Schlag augenblicklich durch giftigen Biß zu bestrafen. Aber der Blick und das Wort des rothbraunen Indianers hält sie im Zaume, jetzt mit einer pfeifend ausgestoßenen Drohung, dann wieder plötzlich mit süßtönendem Schmeichelwort. Singt und musicirt er nur, erhebt die Schlange entzückt das Haupt, nach den Tönen hingestreckt, und lernt bald nach dem Takte in graziösesten Wendungen und Windungen ihre Freude zu veranschaulichen. Schon Plinius erzählt von einer afrikanischen Menschenrace, die durch ihren Blick allein Schlangen zähmten. Am Nil oben in Nubien giebt es noch Schlangenrufer, die durch genaue Nachahmnug der Sprachtöne der Schlangen dieselben aus jedem Winkel und Risse hervor zwingen und mit ihnen machen können, was sie wollen, eine Kunst, die sich auch Napoleon in Aegypten ganz umständlich zeigen ließ.

Auch Vipern und Nattern sind weder taub noch stumm. Ihr feines Ohr wird ihnen zum Verderben. Man musicirte sie namentlich in frühern Zeiten sehr fleißig aus ihren Verstecken hervor, um kostbaren Theriak aus ihrem Fleische zu kochen, wie jetzt noch in Italien und Frankreich. In Italien kann man oft grimmige, zigeunerartige Kerle inmitten eines großen Reifens stehen sehen und eigenthümlich pfeifen hören. Bald gleitet eine dunkle Natter hervor, eine andere kommt hinzu, eine dritte, eine vierte u. s. w. Sie stellen sich mit ihren fleckigen Leibern am Reifen rings auf, freudig starrend mit ihren glänzenden Augen und entzückt horchend, um sich von der Zange des Zauberers eine nach der andern fangen und in den Sack stecken zu lassen. Er verkauft sie an Doctoren, Apotheker und Drogueriehändler, die sie lebendig, in Sägespähne verpackt, im ganzen Lande umher verschicken. In Frankreich wirft man irgend eine gefangene Schlange in siedendes Oel, deren zischender Schmerzensschrei nun oft Hunderte aus ihren Schlupfwinkeln herbeilockt. Sie werden mit Lederhandschuhen ergriffen und dann in Sicherheit gebracht.

Fische gelten für stumm und haben keine sichtbaren Ohren. Doch ist es bekannt, daß sie ein sehr feines Gehör haben. Die Karpfen in königlichen und fürstlichen Teichen lassen sich ja in der Regel durch eine Klingel rufen. Lacepède erzählt von hundertjährigen Karpfen in den Tuilerien zu Paris, welche auf ihre speciellen Namen, die man ihnen gegeben, hörten und sich einstellten, wie sie gerufen wurden, aber nur auf den Ruf Derer, welche sie kannten und liebten. Als königliche Pensionärs verachteten sie den Ruf und selbst die Leckerbissen gewöhnlicher Leute ohne Rang und Geburt. Störe werden durch lautes Schreien in die Netze getrieben, andere Fische durch Trommeln u. s. w., so daß der Gehörsinn der Fische keinem Zweifel mehr unterliegt. Ein Italiener hat neuerdings auf eine brillante Weise nicht nur das feine Ohr, sondern auch den Gehorsam der Fische bewiesen. Er hat eine große Menge derselben so gezähmt, daß sie auf Commando kamen und gehen, steigen und sinken und dabei mit ihren brillanten Farben spielen. Auch geben sie dramatische Vorstellungen. Ein Hecht ergreift eine Forelle und bringt sie herauf in die Hand des Meisters, der sie wieder in Freiheit setzt u. s. w. (Aus einem Berichte des Engländers J. M. Good, der nichts Näheres über diesen Künstler giebt).

Auch Schweine, sonst nicht sehr berühmt wegen großer Geistesgaben, hat man schon so weit in menschlicher Kultur gebracht, daß sie bestimmte Worte verstehen und Kunststücke machen lernten. Vor einiger Zeit las ich die Geschichte des berühmten Schweine-Professors vom vorigen Jahrhundert in England, der mit seinen reisenden Säuen viel Ruhm und Geld erwarb, seine Künstler melodisch grunzen, auf zwei Beinen stehen und tanzen ließ; doch hab’ ich die Stelle, wo ich’s las, nicht wiederfinden können, so daß wir dem Professor hier nur ein Denkmal ohne Namen setzen.

Der Seehund im zoologischen Garten zu London steckt seinen merkwürdigen blauen Kahlkopf immer sofort aus dem Wasser und lehnt sich mit seinen ungeschickten Vorderbeinen auf die Steinwand, die seinen Privatteich umschließt, sobald er Menschen sprechen hört, um zu horchen, was sie sagen und Einen nach dem Andern prüfend anzusehen, um zu errathen, was wohl seine Meinung über den fraglichen Gegenstand sein könne. Leider machen ihm die gefühllosen Engländer nur selten Musik. Sobald er aber etwas von den Concerten vernimmt, die zuweilen im Garten stattfinden, horcht er mit der größten Freude und wedelt im Wasser mit seinem langen Fischkörper und den Flossen dazu ganz taktmäßig.

Die idyllischen Dichter der Alten singen oft von dem Entzücken, mit welchem die weidenden Heerden den Flötentönen ihres Hirten lauschen. Die Schweizerin auf ihren würzigen Bergen oben weiß auch, wie gern ihre Kühe singen und den Kuhreigen hören. Jede Kuh hat ihren Namen und kommt, wenn gerufen, wie auch in England, wo man die Kühe überhaupt sehr reinlich und menschlich behandelt und dafür mit reichlicher Milch belohnt wird. Jeder kennt die Königin in jeder Kuhheerde, der sich alle fügen. Sie ist überall leicht an ihrer stolzeren Haltung, an der Majestät ihrer Attituden zu erkennen. Jede fremde Kuh wird von ihr mit dem fürchterlichen Ernste eines Criminal-Commissarius empfangen. Sie weiß, daß sie die beste Glocke trägt. Manche hat schon geweint und ist vor Kummer gestorben, wenn man ihr die Glocke nahm.

Manche Thiere hassen gewisse Töne. Der griechische Sophist Acteon, der siebzehn Bücher über die Natur der Thiere schrieb, versichert, daß man den Wölfen keinen größeren Schur thun könne, als wenn man ihnen etwas auf der Flöte vorspiele. Pytachoras, der Musiker, rettete sein Leben vor einer ganzen Heerde wüthend-hungriger Wölfe durch die Flöte. In Amerika geigte sich ein ähnlich Angefallener eine ganze Nacht hindurch von diesen gefräßigen Ungeheuern los. Bekanntlich soll der Löwe, der sich sonst nicht gern fürchtet, lieber Meilen weit laufen, ehe er einen gewöhnlichen Hahn krähen hört. Er theilt diese Idiosynkrasie mit dem großen Krieger Wallenstein. Ob unser Hausfreund Phylax so jämmerlich über Musik heult aus Rührung oder Abscheu, wissen wir kaum. Die Sache ist uns zu bekannt, als daß wir sie kennen sollten. Diese unsere liebe Erde wäre drei Mal schöner, wenn Hinz der Kater und Kunigunde die Katerine, ihre Liebespein und ihre minniglichen Herzensergüsse im Mondschein draußen etwas melodischer und mehr piano oder gar nicht äußerten. Diese Katzenmusik ist die schauderhafteste Pfeife in dem großen Orgelconcerte der Natur. Mutter Natur, sonst ziemlich vernünftig und anständig, zeigt hier eine Barbarei, eine Freiheit, um welcher willen ich ihr meine Meinung gehörig sagen werde, sobald ich sie einmal persönlich treffe.

[615]
Zweiter Artikel.

Ueber die Sprache und Musik der höheren Thiere hat wohl Jeder schon seine Beobachtungen und Bemerkungen gemacht. Wer kennt nicht das bittende, das schmerzliche, das freudige und von Herzenslust überfließende Winseln und Bellen des Hundes, seine Begrüßung Fremder! Wenige aber glauben, welch’ ein Reichthum von Ausdrucksweise dem lebhaft und tieffühlenden Herzen des Hundes zu Gebote steht. In seinem stets (selbst oft im Schlafe) arbeitenden Kopfe, in seinem stets von Gefühl und Empfindung erregten Herzen, welch’ ein buntes, frisches, energisches Leben! Und wer zählt die Noten und Vocabeln seiner Sprache von dem herzhaften wüthendsten Gebell bis zu dem leisen Wedeln mit dem Ende des Schwanzes, wenn es ihm im Halbschlafe unbequem erscheint, sich deutlicher als Menschenfreund auszudrücken? Von dem ersten, stillen Knurren des Unmuthes bis zu der tollsten Ausgelassenheit ungeheuersten Entzückens, wenn man an einem hübschen Nachmittage mit ihm spazieren geht? Wie er an uns in die Höhe springt, ohne sich daran zu kehren, wenn er dabei oft unsanft auf die Nase fällt! Wie er sich in Lebenslust auf dem Grase wälzt, Meilen weite Umwege macht, Alles ringsherum beriecht und besieht, tausenderlei Dinge sieht, genießt und anspricht, die wir in unserer träg, vornehm und unzufrieden gewordenen Seele gar nicht bemerken! Ja, wer wäre fähig, würdig von der Fülle des Lebens in Hunden und Kindern zu sprechen? Welcher Ausdruck in allen seinen Bewegungen, in seinem Auge! Und solche Psychologie und Phrenologie, wie Phylax[WS 1] oder Diana, versteht kein Mensch. Mit dem schärfsten, feinsten Auge liest der in unsern Mienen jede unserer Regungen, und sieht hier eben so richtig, wie das Kind. Wir Erwachsenen haben dafür unser Auge verdorben, zerstreut und zerstört. Auch Pferde und die meisten höheren, wilden Thiere können in den Augen der Menschen sehr deutlich lesen. Es ist das Geheimniß des Thierbändigers, seinen Löwen, seine Hyäne nie aus den Augen zu lassen. Das wilde Thier beugt sich auch ungezähmt dem höhern geistigen Ausdrucke in den Augen des Menschen. In Afrika giebt es großäugige, festblickende Neger, welche den hungrigen, brüllenden Löwen durch festen Blick und festes Vorschreiten gegen ihn in die Flucht schlagen.

Die Intelligenz und der feine musikalische Sinn der Pferde ist bekannt. Wie stolz, wie graziös, wie kühn schreitet und ras’t das „militärfromme“ Roß dahin, wenn die Kriegstrommete in seine Ohren schmettert! Vielleicht ist’s inzwischen längst ein zottelndes Bauernpferd geworden. Aber laßt ihm nur ’mal plötzlich einen feurigen Kriegsmarsch vorspielen, wie es da plötzlich einen neuen Adam anzieht und mit dem Bauer durchgeht, daß ihm der Hut vom Kopfe und er wohl selber hinterher fliegt! Die libyschen Stuten, die wild umherliefen, wurden durch Musik herbei gelockt und mit Instrumentalbegleitung von singenden Mädchen gemolken. Weichliche Sybariten[WS 2] hatten den Pferden Tanzstunde gegeben und ihnen große Freude am Tanzen beigebracht. Als sie nun einmal in der Schlacht ihre Reiter zum Angriff führen sollten, spielte der Feind lustig auf, so daß die Rosse anfingen zu tanzen, wie eine Taglioni,[WS 3] und ihre Reiter in Stücke hauen ließen. Der närrische Lord Holland unter König Wilhelm III. von England gab seinen Pferden wöchentlich ein Concert in einem besonders dazu erbauten Saale. Er meinte, Musik mache ihnen nicht nur Freude, sondern auch bessere Gedanken und offnere Köpfe.

Die Gewalt der Musik über Elephanten und Kameele ist in ganzen Büchern beschrieben worden. Ersterer wird durch sanfte Melodien bis zu innigster Zärtlichkeit gerührt; rauschende, wilde Schlacht- und Spontini’sche Opern-Tutti-Musik treibt ihn zu grausamer Wuth. Auch Soldaten würden nicht so leicht zu blinden Werkzeugen kanonischer Gewalt werden, wenn die Regimentsmusik und das Schießen nicht wäre. Das Kameel, dieses denkende, romantische Meisterstück von Dampfschiff des Wüstenmeere, überhaupt eins der genialsten Kunstwerke der Natur für eine alte, weit verbreitete, historisch berühmte Kultur und Träger derselben, wird traditionell fast allein durch sanfte Worte, Gesang und Musik regiert. Niemand schlägt den sanften und doch so harten, ausdauernden Helden. Wird es ja einmal mißhandelt, verwandelt sich die Milch seiner frommen Denkart in gährend Drachengift, und es zerreißt und zerstampft den Frevler. Mag des durch den tiefen, heißen endlosen Sand der Wüste traben oder eingenäht in wollene Decken, über die eisigen Steppen Sibiriens segeln, immer ist es das vernünftige Wort oder der belebende Ton der Musik, dem es willig gehorcht, ohne zu murren, wenn es unaufhörlich Hunderte und wieder Hunderte von Meilen mit erhobenem Kopfe durch die Einförmigkeit seines gefrornen oder ausgetrockneten Meeres schreitet. Der Araber und sein Kameel sind ein Kulturbild, das aus den ältesten Kapiteln der Bibel bis mitten in die neueste Zeit reicht. Der Araber liebt und ehrt sein Thier, und wenn er ihm nicht Musik macht oder singt, erzählt er ihm Märchen. Wie gespenstische Schatten schweben die Gestalten der Karavane im Mondschein durch die graugelbe Unendlichkeit der Wüste. Nichts unterbricht die weit ausgebreitete Stille, als das leise Rauschen des Sandes und die wehmüthig-einförmige, musikalische Klage des Arabers auf dem Rücken des Kameeles. Die Fackeln zittern weithin mit ihrem Lichte in die Klarheit der Oede. Die Kameele segeln ruhig und bedächtig, aber leicht und schnell dahin, den leichten, taktmäßig wackelnden Kopf hoch in die Ferne gerichtet. Die Nacht ist lang, der Weg unendlich länger. Der Araber, auf dem Rücken seines Thieres gleichförmig gewiegt, fängt an zu träumen von den hellen Wassern der Heimath, an welchen die hohe Palme kühlende Schatten wirft. Er träumt und vergißt zu singen und schläft ein. Das Kameel horcht nach beiden Seiten rückwärts, ob’s nicht bald wieder losgehe. Nein. Der geschwinde, leichte, weite Schritt wird langsam und schwer. Das treibende Räderwerk ist abgelaufen. Es bleibt stehen. Wie der Müller vom Schlafe aufwacht, wenn die Mühle nicht mehr klappert, reibt sich auch jetzt der Araber die Augen und besinnt sich, woran es fehle. Er greift in die Falten [616] seines Turbans, holt seine Rohrpfeife hervor und pfeift schrill und lebendig ein munteres Lied, daß die ganze Wüste zu erschrecken scheint. Dies ist dem Kameele eine ganz erquickende, stärkende Mahlzeit. Mit beschleunigtem Schritt segelt es wieder vorwärts, immer schnurgerade nach einer vielleicht erst in acht bis vierzehn Tagen am fernsten Horizonte sichtbar werdenden Gegend. Musik und Melodie ist die Dampfkraft des Schiffes der Wüste.

Pferde, Kameele, Elephanten, Schlangen u. s. w. sind passive musikalische Genies, Musikfreunde. Die wahren activen Musikanten der Natur sind die fröhlichen Chöre, die in den grünen Baumkronen sich wiegen, die befittigten Blumen des Feldes und Waldes, die Vögel, die manchmal blos aus Stimme bestehen, die mit Flügeln und Federn bewachsen sind. Man denke nur an die liederreiche Brust der Nachigall, an die fröhlich aufschießende Rakete des Frühlings, die Lerche, welche Stunden und halbe Tage lang im blauen Aether oben ungesehen für fünf bis sechs Dörfer zu gleicher Zeit singt. Sie sind geborne Musikgenies und componiren und singen eben so genial aus eigenen Mitteln, als sie, wie Virtuosen, die Lieder Anderer nachspielen. Der Gesang der Nachtigall ist oft genug besungen und auch schon gründlich studirt worden. Schon vor 200 Jahren wies der gelehrte Kircher fünfundzwanzig verschiedene Strophen in ihrem Gesange nach, welche neuerdings Bechstein besonders classificirte und taufte. Auf der ruhlaer Vogelsingakademie unterscheidet man vierzig Arten von Finkengesang, von dem einer Primadonna bis zu dem gemeinen Choristen auf dem Pflaumenbaume hinterm Kuhstalle. Einer singt wie „doppeltes Kienöl,“ ein Anderer gleich einem „guten Bräutigam,“ ein Dritter gar, als hätt’ er „Hochzeitsbier“[1] getrunken.

Die Singvögel concertiren ohne Director und Taktstock und singen ganz nach Belieben vom Blatte weg, ohne daß man sich am sonnigsten Maimorgen im Walde über Mißtöne beklagen könnte. Das macht: sie sind harmonisch gestimmt, sie sind glücklich und gesund, voller Liebe, Lust und Leben. Das giebt schon ohne Componisten und Director Melodie, Harmonie und Takt. Die wirklichen Singvögel sollen alle in Moll singen, und zwar in G-moll. Wenigstens ist die kleine Terz, das Charakteristicum aller Molltonarten, in ihren Compositionen durchaus vorherrschend, weshalb auch alle Naturvölker, die bei den Vögeln Singstunde nehmen, ihre Nationallieder in Moll singen. Mancher Vogel versteht weiter gar nichts, als just die kleine Terz. Der Kuckuk ruft sie ab-, das Käuzchen aufsteigend, worauf sie immer wieder von vorn anfangen, wenn sie den Schnabel nicht ganz und gar halten, was bei beiden dieser Helden, die nichts weiter gelernt haben, immer sehr wünschenswerth ist. Nur der Esel, unter den Vierfüßlern das einzige wirklich musikalische Thier und überhaupt besser als sein Ruf hinsichtlich seiner geistigen Fähigkeiten, versteht sich auf eine ganze Octave, wenn er nur nicht immer über die dazwischen liegenden Töne hinwegspränge, wie eine alte Drehorgel, der die meisten Pfeifen ausgefallen sind.

Die Nachtigall mit den fünfundzwanzig Registern in ihrer kleinen Riesenorgel von Lunge ist das größte Gesangsgenie aller lebenden Wesen, wenigstens was die Stärke und Innigkeit des Tons betrifft. Man hört sie in stillen Mainächten eine gute halbe Stunde weit, was ihr gewiß nicht so leicht die heroischste Sängerin der großen Oper nachmachen kann. Bedenkt man, daß die Lunge der großen Sängerin so groß ist, wie hundert ganze Nachtigallen zusammen, so muß man sagen, daß die Nachtigall in ihren kleinen Mitteln vielleicht 150 mal mächtiger ist, als die Primadonna mit ihren 6–8000 Thalern Gage.

Es giebt keine stummen und tauben Thiere, nur daß wir die Ohren und die Sprache vieler nicht kennen, nicht einmal bemerken. Selbst wo entschieden die Ohren fehlen, da hören sie, wo keine Lungen und keine Sprachorgane zu entdecken sind, da wird noch gesprochen und geplaudert mit Hörnern, Zähnen, Füßen, Fühlhörnern, Mienen und Gesticulationen. Warum sollten denn auch alle Geschöpfe sich just nur mit den Mitteln ausdrücken, mit denen Kaffeeschwestern und Paradepferde in „Kammern“ so viel Lärm machen? Wenn der Hund seine Zähne zeigt und der Ochse seine Hörner nach Unten einlegt, brauchen wir nicht erst lange zu fragen: Hören Sie ’mal, was soll das heißen? Wie wir den Vogel an den Federn erkennen, wissen die Vögel unter sich noch viel mehr gegenseitig aus der Miene ihres Gefieders zu lesen. Bei Andern ist es das Fell, die Haltung, der Kopf, der Schwanz (von großem Rednertalent bei dem Hunde), das Auge, das Gesicht, das ganze Auftreten und Erscheinen, welches spricht, wie noch heute bei unentwickelten Völkern, unter denen europäische Reisende nicht selten Wunderdinge und Wundereffecte ganz unmerklicher Mienenspiele und Handbewegungen bemerkten, z. B. Kopfabhacken in Folge einer Muskelbewegung im Gesichte des Häuptlings, die der Henker sah, aber kein Mensch.

Man glaubt neuerdings etwas Geistreiches zu sagen, ein Geheimniß der Natur entdeckt zu haben, wenn man behauptet, der Unterschied zwischen Thier und Mensch sei gar nicht wesentlich, und die Thiere könnten unter sich eben so deutlich sprechen, als Menschen. Das ist wohl ein gelinder Irrthum. Die Thiere haben Sprache, aber keine Worte, keine articulirten Laute. Der articulirte Laut ist das Produkt des Urtheils über den unarticulirten Laut der Natur, geläutert zum bestimmten, abgegrenzten, künstlerischen Gefäße des Eindrucks im bewußten, denkenden, urtheilenden, schließenden, abstrahirenden Menschen. Wir können in der gebildetsten Thiersprache keinen Laut finden, der sich genau in Consonanten und Vocalen wiedergeben läßt. Selbst die der Natur am Unmittelbarsten entlehnten Bezeichnungen, wie Kuckuk und Kibitz u. s. w., sind für das menschliche Organ schon etwas künstlerisch behauen und gefeilt. Und unsere Abstracta: die Wahrheit, die Liebe, die Freude, die Furcht! Das Thier kann sich freuen und fürchten, und diese bestimmte Freude, diese bestimmte Furcht sprachlich mittheilen, aber nicht in articulirten Worten, nicht in Formen der Rede, nicht in Hauptwörtern, nicht in Form von Sätzen und Gedanken. Freilich sprechen sie für ihre Kreise eben so vollkommen als wir, nur daß in diesen Kreisen noch nirgends eine Gehirnthätigkeit vorkömmt, die man nur durch articulirte, meisterhaft geformte und gefeilte Töne und grammatische und logische Tonfugen in Luftwellen übersetzen und in geschriebenen und gedruckten Worten anschaulich machen kann.

Das vollkommenste Thier hat noch nicht einmal ein ABC-Buch für die lieben Kinder, und sie brauchen auch keins, denn für’s Buchstabiren und Lesen und Aussprechen articulirter Töne, als luftiger Körper einer denkenden Thätigkeit, fehlt es ihnen in Ewigkeit an einem articulirenden Geiste, so viel Mühe man sich auch geben mag, dem Esel zu seinen zwei Buchstaben nur noch einen dritten beizubringen.

Mein „Kocki,“ den ich schon erwähnt, jedenfalls eins der gelehrtesten Thiere der Welt, spricht Englisch, wie ein Parlamentsmitglied, aber die Consonanten klingen immer noch ganz verschleiert, weil die Consonanten Köpfe, Arme und Füße zu Gedanken sind, und was er spricht, macht stets einen wehmüthigen, oft unheimlichen Eindruck, da oft alles Mögliche durch einander kömmt, wie bei dem Wahnsinnigen, dem der Apparat des Geistes, das Gehirn, beschädigt ward. In „Kocki’s“ gesundem und klaren Kopfe sieht’s immer noch nicht so richtig aus, wie in dem des unglücklichsten Bedlamiten[WS 4].

Vorhin erwähnte ich in der Klemme (auf deutsch: „in Parenthese“) das große Rednertalent des Hundeschwanzes. Statt tausender von Beispielen führ’ ich blos eins an, ein klassisches. Ist nicht die Stelle in der Odyssee des blinden Homer von dem Hunde des Odysseus eine der schönsten? Vergessen von Allen, die ihn, die er liebte, selbst verlassen von der Göttin Athene, kehrt er heim auf die Insel Ithaka und wandert, unbekannt und verstoßen, unter den unverschämten Freiern der Penelope. Niemand ahnt in ihm den mächtigen Feldherrn von Troja. Aber wie er im Hofe zu Eumäus spricht, vernimmt der lahme, abgezehrte Freund seiner Jugend, der Lieblingshund Argus, die Stimme seines Herrn. Er allein erkennt ihn an der Stimme. Wohl möcht’ er sich erheben und ihn grüßen, wie ehemals, mit ausgelassener Zärtlichkeit und freudigen, bellenden Sprüngen; aber er ist alt und schwach und ein Krüppel geworden. Sein Körper versagt ihm die Dienste des Herzens, nur mit dem Schwanze kann er noch wedeln und zärtlich die Hand lecken, die ihn streichelt und die er allein erkannte, nicht einmal Penelope. Während Odysseus sich eine Thräne aus den Augen wischt und in die Halle geht, legt sich der von Freude (die er nicht mehr in ganzer Fülle äußern kann) überfüllte Hund Argus hin und crepirt.

Aus meinen sonstigen philologischen Notizen über Thiersprachen hebe ich blos noch einige heraus, die interessant erscheinen. [617] Jeder kennt das Heimchen unterm warmen Herde daheim oder wenigstens beim Bäcker. Es ist von inwendig stumm und macht seine eintönige Musik durch rasche Schwingungen elastischer Häute zwischen den Flügeln. Diese befittigte Sprache dient größtentheils nur, um Herzens- und Liebesangelegenheiten zu arangiren. Mit der Zeit und dem Sommer flieht die Leidenschaft und die Stimme. Swift, der alte englische Satiriker, hat uns eine humoristische Schilderung des Liebe declamirenden Todtenuhr-Käfers hinterlassen. Der kleine Klausner fühlt Liebe in einsame Zelle. Wie aber dem Herzen Luft zu machen und das Erbarmen eines Weibchens erregen? Er haut unbarmherzig mit seinem gepanzerten Kopfe gegen den Boden, daß der Schall weit hin dröhnt durch das alte Holz und bei Abergläubischen Todes-, bei dem weiblichen Käfer aber Liebesgedanken erregt. Sind andere Männer im Holze, schlagen sie auch mit den Köpfen gegen ihre Zellen, daß Alles kracht, und das Weibchen die Wahl hat, wem sie ihre Hand reichen will. Die Männer, eifersüchtig unter einander, denken vielleicht, wer seinen Kopf am Wenigsten schont, wird am Ersten erhört, und pauken deshalb die Wände, daß man sich nur wundern muß, wie sie’s machen und aushalten. Aber was thut der Mensch nicht in der Jugend für Liebe, später für Geld!

Die frisch gebornen bunten Schmetterlinge scheinen nur durch die Blume ihrer farbigen Schwingen zu sprechen. Darwin aber hat in Südamerika Schmetterlinge auf der Liebesjagd bemerkt, die ein ziemlich weit vernehmbares Geräusch machten. Die Männchen haben eine kleine Trommel unter dem ersten Flügelpaare und rufen damit die Weibchen. Seht da, die Trommel, unter den Menschen, wenigstens den Soldaten, ein Hülfsmittel der Zerstörung, hier als Guitarre der Liebe im Gebrauch! Der Sphinx-Schmetterling mit feurigen Farben hat dafür eine wirkliche Stimme: er stößt ein leises Wimmern aus, wenn er gefangen wird. Die niedrigste Art von wirklicher, vernehmbarer Stimme im Thierreiche. Doch haben, wie gesagt, ohne Zweifel alle Thiere ihre unter sich vernehmbare Sprache, nur daß sie nicht für unsere Ohren gemacht ist. Wozu wäre das auch nöthig? Jedes Thier bewegt sich, und jede Bewegung muß Luftwellen erzeugen oder sich überhaupt durch anregende Körper fortpflanzen und so eine Art Ton erzeugen, der für Ohren, die fein genug dazu sind, vernehmbar sein muß. Ueber die Grenzen unseres Gehörs hernach noch ein Wort.

Unter den für absolut stumm geltenden Thieren hat zunächst der Krebs einen ärgerlichen Ton, wenn er gefangen wird. Auch soll er sich unter dem warmen Strahle der Sonne im Juni und Juli Nachmittags zuweilen ein Liedchen summen, aber gleich aufhören, wenn er Geräusch vernimmt, so daß es schwer ist, sein musikalisches Talent genauer zu bewundern.

Unter den Fischen sind mehrere Arten bekannt, die auch unserem Ohre vernehmbare Laute von sich geben, z. B. der Armado in Südamerika, der Trommelfisch, der Seescorpion u. s. w. Aristoteles erzählt von einem Delphin, der gefangen so laut geschrieen habe, daß Tausende seiner Collegen an’s Ufer schwammen, um ihn zu befreien, und fröhlich davon gezogen seien, als der Gefangene wieder unter ihnen war.

Frösche sind wahre Musikanten, nur nicht immer für unser Ohr. Sie haben ihren Vorsänger und Cantor und singen methodisch, nach der Ansicht der Muhamedaner, welche die Frösche unter die Heiligen versetzt haben, sogar mit Gefühl, wenigstens entschieden mit ungeheuerm Behagen. Die Laubfrösche in Paramaibo, die gewöhnlichen an der Wolga und am caspischen Meere führen manchmal solche Chorgesänge aus, daß viele Meilen weit jeder andere Laut erstickt. Für Familienangelegenheiten haben sie besondere Laute. In Südamerika sitzen Laubfrösche auf hervorragenden Seegewächsen und zirpen in bestimmten, harmonischen Intervallen.

Das sind Bemerkungen aus der Sprache und Musik der Thiere. Von den Tönen, welche vegetabile Organismen, Pflanzen, und vielleicht selbst Mineralien von sich geben, wissen wir nichts, aber da Leben und Bewegung in ihnen ist, muß diese auch mit dem bis jetzt nur als Idee vorhandenen Campanella’schen Fernrohre und Mikroskope für das Ohr vernehmbar sein. Das Gras wächst hörbar, das Eisen rostet hörbar, denn die Eisen- und Sauerstoffatome, indem sie sich aus ihren Elementen losreißen, um sich zu einer neuen Vereinigung innig zu umarmen, bewegen sich und bewegen sich ziemlich leidenschaftlich. Alles in der Natur lebt, bewegt sich und ist deshalb ein thätiges Mitglied in der ewig musicirenden Harmonie der Sphären, von der Sonne an bis zu der Sphäre des Abendthaues, von denen erst viele Millionen einen ganz kleinen Thautropfen bilden.

Der Umfang des Hörbaren für uns beschränkt sich auf 81/2 Octaven, also auf einen ganz kleinen Kreis. Mindestens 8, höchstens 2400 Schallwellen in der Secunde bilden die Grenzen für unsere Ohren. Daraus folgt natürlich nicht, daß 4 oder 6, oder 2500 oder 25,000 oder 250.000 oder 2,500,000 Schallwellen in der Secunde überhaupt nicht hörbar sein sollten. Wir haben nur kein Organ dafür, wie der Taube kein Organ für die uns erfreuenden Töne genießt. Vielleicht macht auch das Licht, das sich 959,000 Mal schneller bewegt, als die Schallwelle, die feinste Musik durch seine unermeßlich schnellen Undulationen. Wer Ohren dazu hätte, könnte vielleicht auch vernehmen, wie, nach Goethe,

„Die Sonne tönt nach alter Weise
In Brudersphären Weltgesang
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang,“

könnte vernehmen „den sausenden Webstuhl der Zeit“ und andere sonst unvernehmbare Naturconcerte. Der Weltraum, durch welchen die Sonnen und Sterne fliegen, ist nichts absolut Leeres, sondern erfüllt mit kosmischer Materie, aus der Welten entstehen, in welche sie dann und wann wieder auseinander springen oder dünsten. Die furchtbare Schnelligkeit, mit welcher die Welten durch diese Materie fliegen, muß mit dem denkbar vollkommensten Ohrfernrohre oder überhaupt mit dem Ideale von einem Ohre vernehmbar sein. Doch brauchen wir uns nicht zu grämen, daß wir kein Entree in diese Concertsäle haben; welche unerschöpfliche Quellen von Freuden und Genüssen springen fortwährend aus der uns offenen, deutlich vernehmlichen Musik und Sprache der Natur, ganz abgesehen von der Mozart’s und der vollendetsten Musik unter uns, dem weichen, herzlichen Sprachtone unserer Mutter, unserer Geliebten, unserer lachenden Kinder, des unterrichtenden, denkenden, aufklärenden Freundes und Lehrers? Wenn nach Shakespeare, Musik der Liebe Nahrung ist, sollte nach mir, die Liebe der Hauptbalgentreter für die Orgel unseres Hirns und Herzens sein – ist’s aber leider nicht.


  1. Auf diese Weise, nämlich durch solche Bezeichnungen, wie die angeführten, unterscheiden die ruhlaer Finken-Gesangsprofessoren die vierzig Arten von Finkenschlag.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Person, die auf etwas aufpasst: Wächter
  2. Bewohner der süditalienischen Stadt Sybaris, ugs: Weichling
  3. Marie Taglioni, italienische Tänzerin
  4. Verrückter