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Seite:Die Gartenlaube (1876) 414.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Toscanas zwangen sie Pisa im Jahre 1276 zu einem Frieden, dessen Hauptbedingung die Zurückberufung der Verbannten war. Giovanni war gestorben, dafür kehrte dessen Sohn, Nino Visconti, mit Ugolino in die Heimath zurück.

Während die Visconti ihrer Partei treu geblieben waren, hatte Ugolino das Vertrauen beider Parteien verloren und war für die Erreichung seiner Pläne fortan auf die Handhabung von List und Gewalt angewiesen. Die Gelegenheit zu beiden ließ nicht lange auf sich warten. Im Jahre 1282 brach zwischen Pisa und Genua ein Krieg aus, der nach zweijährigem Schwanken des Sieges für Pisa mit einer Niederlage endete, welche die Bedeutung der Stadt als Seemacht für immer zerstörte. Oberto Doria kam mit einhundertunddreißig genuesischen Galeeren gegen Pisa heran; dreißig Galeeren hatte er unter der Führung des Benedetto Zacharia bei der Insel Meloria in einen Hinterhalt gelegt. Die Pisaner hatten ihre einhundertunddrei Schiffe in drei Treffen aufgestellt, von denen das erste Oberto Morosini aus Venedig, Podesta von Pisa und General-Capitano des Kriegs, das zweite Andreotto Saracino, das dritte Graf Ugolino führte. Erschien es schon als ein schlimmes Zeichen, daß dem Erzbischof, der am Morgen des Kampftages, des 6. August 1284, vom Ponte vecchio aus die Flotte segnen, wollte, das Crucifix in’s Wasser fiel und der Uebermuth der Pisaner sich das Scherzwort erlaubte: „Mag Christus für die Genueser sein, wenn nur der Wind für uns ist“ – so war es noch schlimmer, daß die Pisaner die Uebermacht der Feinde erst erkannten, als es zu spät war, die Schlacht noch zu vermeiden. Der Angriff Zacharia’s aus seinem Hinterhalt bei der Insel Meloria war von erschütternder Wirkung auf die Pisaner, das Admiralsschiff, das Pisa’s Fahne und Führer, den Morosini trug, fiel zuerst in des Feindes Gewalt. Vielleicht wäre es aber dennoch der Tapferkeit der Pisaner gelungen, die Niederlage, wenn auch nicht, zu vermeiden, doch nicht so folgenschwer werden zu lassen, hätte nicht Ugolino mit seiner Flottenabtheilung die Flucht ergriffen. In der wahren Absicht dieser Flucht liegt nun die ihm vorgeworfene schwerste Schuld oder seine Unschuld. Seine Feinde behaupten, seine Absicht sei gewesen, das nun geschwächte Pisa mit Hülfe seiner guelphischen Freunde in Florenz und Lucca sich zu unterwerfen. Seine Freunde dagegen schieben ihm den guten Willen zu, seine Vaterstadt durch seinen guelphischen Einfluß gegen Genueser und andere Feinde derselben zu retten. Die schwere Anklage erhebt nun zwar kein gleichzeitiger Schriftsteller, sondern erst ein Chronist von Pisa aus dem sechszehnten Jahrhundert; dabei giebt derselbe noch an, daß er dies nach Dante erzähle, der jedoch bekanntlich kein Wort davon sagt. Dennoch spricht die Folge der Geschichte nicht gegen diese Behauptung; Ugolino selbst hat es seinen Freunden schwer gemacht, ihn zu vertheidigen.

Die Niederlage der Pisaner war so vollständig und so groß, daß man zu ihrer Erklärung die Rache Gottes citiren mußte: sie soll eine Strafe dafür gewesen sein, daß die Pisaner jene Bischöfe, welche auf genuesischen Schiffen zu dem gegen Kaiser Friedrich den Zweiten bestimmten Concilium nach Rom segeln wollten, auf derselben Stelle gefangen genommen hatten. Von ihren Galeeren hatten sie sechsunddreißig, von ihrer Mannschaft sechszehntausend an Todten und Gefangenen verloren. „Wer Pisa sehen will, muß nach Genua gehen“ – so höhnte der Spott der Sieger. Und welches Schicksal bestimmten sie für die etwa elftausend Gefangenen? Man müsse sie so lange wie möglich zurückbehalten, um die Frauen derselben an der Wiederverheirathung zu verhindern, dadurch manches mächtige Geschlecht aussterben zu lassen und Pisa auf das Nachhaltigste zu schwächen. Wirklich sind auch nach achtzehnjähriger Gefangenschaft nur etwa tausend Pisaner in ihre Vaterstadt zurückgekommen.

In Pisa erfolgte sofort, was Ugolino gewollt zu haben schien. Die Kunde von dem Schlage, der die ghibellinische Stadt und ihre edelsten Geschlechter getroffen hatte, rief die Rachegelüste aller guelphischen Nachbarn wach, und so sahen die Pisaner sich jetzt gezwungen, den Ugolino gerade wegen seiner guelphischen Verbindungen augenblicklich mit ihrer höchsten Macht zu bekleiden. Noch im Oktober 1284 ernannten sie ihn zum Capitano und Podesta erst auf ein Jahr, aber schon im Februar 1285 auf zehn Jahre. – Es hatte den Anschein, daß er mit Geschick und Glück das Beste der Stadt vertrete, denn den glücklichen Umstand, daß die Feinde Pisas ihre neuen Angriffe bis zum Frühling des nächsten Jahres verschoben, benutzte Ugolino, um den Bund der Gegner durch Unterhandlungen mit den Einzelnen zu trennen. Dies gelang ihm bei den Florentinern, freilich um den Preis der Vertreibung von zehn der angesehensten Ghibellinen aus Pisa und eines ansehnlichen Goldgeschenkes an besonders einflußreiche Häupter von Florenz. In Genua widersetzten die gefangenen Pisaner selbst sich Ugolino’s Vorschlag, ihre Befreiung um die Abtretung der wichtigen Veste Castro in Sardinien zu erkaufen; sie drohten vielmehr, nach ihrer Heimkehr einst Jeden als Feind zu behandeln, der sich solchen Verraths an der Vaterstadt schuldig gemacht habe. Nicht besser gelang die Unterhandlung mit den Lucchesen, denn diese ließen sich wohl im Februar 1285 die festen Schlösser Ripafratta und Liareggio abtreten, begannen aber trotzalledem im Verein mit den Genuesen den Krieg gegen Pisa von Neuem und eroberten die Vesten Cuosa und Avane an demselben 8. Juli, wo die Genuesen den Wachtthurm am Hafen von Pisa besetzten und damit der ehedem so mächtigen Seestadt die Kehle zuschnürten.

Jetzt zeigte Ugolino’s Vertrag mit Florenz sich erst in seinem ganzen Werth; nur der Umstand, daß die Florentiner Pisa nun in Ruhe ließen, rettete damals noch den Schein seiner Selbstständigkeit, freilich wiederum auf Kosten seines ghibellinischen Charakters. Gezwungen, sich fortan, wenn er seine Macht behaupten wollte, ganz auf die Guelphen zu stützen, berief er seinen Neffen Nino Visconti als Theilhaber seiner Amtsgewalten an seine Seite. Die Eintracht Beider war jedoch nicht von langer Dauer, da Jeder nach der Alleinherrschaft trachtete. Nino ergriff sogar das Mittel, sich plötzlich den Ghibellinen zuzuneigen und, als um diese Zeit ein Anhänger der Visconti von einem Enkel Ugolino’s, Brigata, ermordet worden war, durch die Straßen zu rufen: „Tod Allen, die keinen Frieden mit Genua wollen!“ Das Volk blieb jedoch ruhig; es erkannte zu gut, daß Nino’s einzige Absicht der Sturz seines Nebenbuhlers sei, und da die Pisaner Ursache genug hatten, dem Einen so wenig wie dem Andern zu trauen, so bewogen „die Consuln des Meeres“ und „die Vorsteher der Zünfte“ beide, ihre Aemter niederzulegen und die Amtspaläste zu verlassen. Ihr Nachfolger war ein gewisser Guidoccino di Bongi.

„Als sich beide Parteihäupter so das Heft aus den Händen, gerissen sahen, vereinigten sie sich schnell zur Wiedererlangung der früheren Macht.“ So erzählt Philalethes (König Johann von Sachsen) in einer seiner metrischen Uebersetzung von Dante’s „Göttlicher Komödie“, Bd. 1, S. 283 ff. eingefügten trefflichen „Historischen Skizze“, die wir dieser Darstellung zu Grunde gelegt haben. Ihr Unternehmen muß wohl den beiden Parteihäuptern bei der damaligen Verwirrung, Trauer und Ohnmacht in der Bürgerschaft nicht schwer gefallen sein, denn sie fanden ihren Vorgänger Guidoccino mit Geld ab, veranlaßten ihn, die Stadt zu verlassen, und bezogen Beide wieder die Amtspaläste, Ugolino den Palazzo del Popolo (den Volkspalast, das Stadthaus), Nino den Palazzo del Commune (den Gemeindepalast, das Gerichtshaus), also anscheinlich jener als Capitano, dieser als Podesta. Da aber letzteres Amt weniger Einfluß gewährte, so scheint Ugolino jetzt mehr als je im Vollgefühl seiner Macht geschwelgt zu haben, denn um diese Zeit war es, wo er bei einem Festgelage an einen der Gäste, Marco Lambardi, die herausfordernde Frage richtete: „Was sagst Du, Marco, zu meinem Staate?“ – Der aber antwortete: „Graf, Dir fehlt nichts als Gottes Zorn.

Ob Marco eine Ahnung oder einen Wunsch ausgesprochen: die Erfüllung kam. Ugolino und Nino konnten nicht neben einander stehen, ohne sich zu vernichten. Als im April 1286 eine Botschaft der gefangenen Pisaner von Genua kam, um einen von ihnen selbst vermittelten Friedensabschluß in Pisa genehmigen zu lassen, erklärte sich Ugolino gegen, Nino für diesen Frieden; und als der Friede beschlossen wurde, suchte Ugolino ihn dadurch zu verhindern, daß er, im Mai, während der Frist des beiderseits eingegangenen Waffenstillstandes, Corsaren gegen die Genueser auslaufen ließ. Da er in den aus der Gefangenschaft heimkehrenden ghibellinischen Edlen seine erbittertsten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_414.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)