Verschiedene: Die Gartenlaube (1876) | |
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um das „Logirhaus“ fremder Geschäftsfreunde kümmern könne, welches sie doch niemals mit einem Fuße betreten werde. Sie ignorirte denn auch den Neubau, trotz des beharrlich fortgesetzten und stets herüberklingenden Hämmerns und Pochens, wie nur je die herrschsüchtige Gemahlin eines Regierenden ihren zukünftigen Wittwensitz ignoriren kann.
Zwischen diesem Trubel, diesem hastigen Beginnen und Vollenden aber kam und ging der Commerzienrath wie ein Zugvogel. Er verreiste sehr oft in Geschäften, aber nur noch für kurze Zeit, wie er manchmal sagte, dann wollte er sich ein schönes Rittergut kaufen und Landedelmann werden. Hatte er aber einmal „ein paar Erholungstage“, dann war er sehr viel in der Beletage; den Nachmittagskaffee trank er regelmäßig droben, zum großen Aerger der Präsidentin, die dadurch ihr Lieblingsstündchen im Wintergarten verlor – sie war selbstverständlich viel zu aufmerksam, um „den lieben Moritz“ bei der verdrießlichen Kranken und dem jungen Backfisch allein zu lassen, und brachte das Opfer, stets fast zugleich mit ihm zu erscheinen.
Käthe war das sehr erwünscht; sie empfand nun einmal eine unüberwindliche, beklemmende Scheu vor dem Schwager und Vormunde, seit er sich so wunderlich zuvorkommend und zärtlich ihr gegenüber und dabei so falsch, so heimtückisch bei äußerlich unveränderter Liebenswürdigkeit gegen die Präsidentin zeigte. Sie nahm unwillkürlich die befangene Zurückhaltung der erwachsenen Dame an, wo sie sich früher harmlos kindlich gezeigt hatte. Aber gerade das schien ihn zu belustigen und in seiner seltsamen Art zu bestärken. Er las ihr ihre Wünsche von den Augen ab; er hatte längst seine Einwilligung gegeben, daß der unbenutzte Theil des Mühlengartens an die Arbeiter verkauft werde – nie setzte er dem Wohlthätigkeitssinne des jungen Mädchens irgendwie Schranken, und war ihre Börse auch noch so oft leer, er füllte sie ohne Widerrede. „Du darfst Dir den Spaß schon erlauben, Käthe – ich werde bald einen zweiten Eisenspind anschaffen müssen,“ sagte er dabei im Hinblick auf das staunenswerthe Anwachsen des Capitals. Sie nahm eine solche Aeußerung stets mit finsterem Schweigen auf – er hatte auf ihre ernsten Fragen mit all’ seinen diplomatischen Wendungen und Finessen die Anklage des Volkes, daß ihr Reichthum auf erbarmungslose Weise erwuchert sei, nicht widerlegen können, auch ließ die Präsidentin keine Gelegenheit vorübergehen, wo sie diesen Vorwurf begründen konnte – das kindlich naive Ergötzen, mit welchem Käthe es früher „so über alle Maßen hübsch“ gefunden, reich zu sein, hatte sich in eine Art von Furcht und Angst vor den Geldmassen verwandelt, die so riesig, auf so dämonenhafte Weise anschwollen, als müßten sie eines Tages in gerechter Vergeltung erdrückend über sie herstürzen.
Sie war überhaupt ernster geworden; das sonnige Lächeln, das ihr erregbares, heiteres Temperament sonst so oft und rasch über ihre Züge hinfliegen ließ, zeigte sich nur selten. So recht herzensfreudig war sie nur noch im Hause am Flusse, und auch da nur in gewissen Stunden. Die Tante Diakonus unterrichtete nämlich seit lange eine Anzahl bedürftiger Kinder unentgeltlich im Nähen und Stricken – das geschah Jahr aus, Jahr ein an den Mittwoch- und Sonnabendnachmittagen. In diesen kleinen Kreis hatte sich Käthe mit der freudigen Bewilligung der alten Frau eingeschmuggelt. Der Umgang mit Kindern war ihr völlig neu und machte Saiten in ihrer Seele erklingen, die sie bis dahin nicht geahnt hatte – es war die zärtlichste Hinneigung zu den kleinen Geschöpfen und die plötzliche Erkenntniß, daß sie im Grunde ihres Herzens den Beruf, die jungen Wesen an Leib und Seele zu stützen, sie kräftig und gesund zu erhalten und bildend auf sie einzuwirken, jedem anderen weit vorziehe.
Sie kleidete die Kinder, wo es noth that – in ihrem Nähkorb lag stets ein angefangenes Röckchen oder Schürzchen; sie sorgte – was die Tante Diakonus nicht hatte ermöglichen können – nun auch für ein reichliches Vesperbrod während der Unterrichtsstunden, und eine wahre Augenweide war es für die alte Frau, wenn das junge Mädchen mit dem Korb voll Obst und Brödchen erschien und mit wahrhaft mütterlicher Würde an den schönsten, rothbackigen Apfel eine Belohnung zu knüpfen wußte. Für den Sommer verlegte die Tante den Unterricht in den Garten; die Kinder, meist in den engsten und dumpfesten Straßen der Stadt wohnend, sollten nun auch die Wohlthat genießen, sich in reiner, gesunder Luft auf dem Rasen, unter schattigen Obstbäumen, tummeln zu dürfen. Käthe hatte zu dem Zweck hübsche, tragbare Bänke angeschafft, zugleich aber auch eine Anzahl Bälle und Reifen für die Spiel- und Erholungsstunde, die sich nunmehr an die Unterrichtszeit anschloß.
Flora war tieferbittert über diesen Verkehr, der sie, ihrer Meinung nach, in ihren Rechten, ihrer Beziehung zu der Tante beeinträchtigte, aber sie war klug genug, das im Haus am Flusse nicht verlauten zu lassen – man kam ja bei „der Alten“ stets so schlecht an, wenn man „das große Mädchen mit der Plebejerröthe auf dem Sommerschen Gesicht nicht für eine wahre Musterkarte aller erdenklichen Tugenden hielt“. Die schöne Braut kam auch täglich in das Haus; sie hatte sich weiße, mit Stickerei garnirte Latzschürzchen dutzendweise machen lassen und erschien nie ohne diesen häuslichen Schmuck, der ihr allerliebst stand. Den Vorwurf konnte man ihr nicht machen, daß sie nicht Alles aufgeboten hätte, den Beifall der Tante Diakonus zu erringen. Sie setzte ihr zartes Gesicht der Gluth des Küchenfeuers aus, um Pfannkuchen backen zu lernen; sie ließ sich über das Einmachen der Obstfrüchte und Gemüse, über die Behandlung der Wäsche belehren und nahm wohl auch einmal der Magd das Bügeleisen aus der Hand, um versuchsweise ein Stück Hauswäsche zu plätten, allein so groß auch das Opfer war, das damit gebracht wurde, es vermochte nicht, die alte Frau aus der überaus höflichen, aber doch sehr reservirten Haltung, die sie seit jenem unheilvollen Abend angenommen, herauszulocken – es war, als ob sie genau wisse, daß Flora nach dergleichen Anstrengungen wie zu Tode erschöpft in ihr Ankleidezimmer wankte, dort die Schürze mit einer halbunterdrückten Verwünschung in die Ecke schleuderte, und sich dann zur Erholung meist in den Wagen warf, um die Runde bei den Freundinnen zu machen, deren schwer zu verbergender Neid eine unerschöpfliche Quelle der Genugthuung für sie war. Diese Freundinnen behaupteten einstimmig, die Frau Universitäts-Professorin in spe liege mit ihren bauschenden Falbeln wie ein radschlagender Pfau im Coupé, und ihr Uebermuth sei kaum noch zu ertragen.
Der jähe Umschwung in Doctor Bruck’s Carrière wurde noch immer wie ein Wunder angestaunt. Daß der zuvor kaum noch mitleidig über die Achsel angesehene, so hart verurtheilte und verfehmte junge Arzt plötzlich als fürstlicher Hofrath durch die Straßen der Residenz schritt, konnte Mancher nur schwer begreifen. Der Mann wuchs nun in den Augen des Publicums und der gesammten Hofgesellschaft himmelhoch, und weil er durch seine Uebersiedelung nach L…..g für die Zukunft unerreichbar wurde, so wollte jeder Leidende womöglich noch von ihm hergestellt sein. So kam es, daß Doctor Bruck auf einmal mit einer kaum zu bewältigenden Praxis förmlich überbürdet war. Sein angefangenes Manuscript blieb unberührt auf dem Schreibtisch liegen; er schlief in der Stadtwohnung, aß meist eilig im Hotel, das angebotene Couvert im Hause des Commerzienrathes consequent ablehnend, und mußte die flüchtige Besuchszeit in der Villa und bei der Tante Diakonus, wie er sich ausdrückte, seinen Patienten abstehlen.
Käthe sah ihn nicht oft, und deshalb fiel es ihr um so mehr auf, wie sehr er sich verändert habe – jedenfalls in Folge der Anstrengung, meinte sie. Er sah bleich und ermüdet aus, und sein früher wohl zurückhaltendes, nachdenklich stilles, aber überaus mildes Wesen war einer finsteren Verschlossenheit gewichen. Mit Käthe hatte er seit jenem Moment, wo sie ihn, von Flora’s Armen umstrickt, im Flur überrascht hatte, kaum zwei Worte gewechselt, und zwar in so scheuer, schnell abbrechender Weise, daß sie sich nicht verhehlen konnte, er zürne ihr ihres damaligen unwillkommenen Erscheinens wegen. Sie ging ihm deshalb auch verletzt, mit einem Gemisch von Trotz und Verlegenheit aus dem Wege, wo sie nur konnte.
In seinem Verhalten zu Flora dagegen war nicht die leiseste Wandlung eingetreten; er war genau ein so ernster, würdevoller Bräutigam, wie an dem Tage, wo Käthe die Verlobten zum ersten Male zusammen gesehen. Sie mußte manchmal denken, der ganze entsetzliche Auftritt im Fremdenzimmer der Tante Diakonus sei entweder ein toller Spuk ihrer eigenen Phantasie gewesen, oder Doctor Bruck müsse vergessen und unliebsame Erinnerungen in seinem Gedächtnisse so spurlos auslöschen können, wie selten ein Mensch. Flora mochte freilich erwartet haben, daß mit ihrer Bitte um Verzeihung, mit ihrer
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_261.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)