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Seite:Die Gartenlaube (1875) 546.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Bergisch-Märkischen Route über Kreiensen die Köln-Mindener über Hannover wählt, muß zur Strafe dafür in Dortmund einige Stunden nachsitzen – so will es die Taktik der kleinen Eisenbahnpolitik. Hat der Reisende seine Strafe abgesessen, Bochum erreicht, einen Gang durch die Straßen der Stadt gemacht und mit uns einen der nahen Hügel bestiegen, so zeigt ihm die Rundschau eine Landschaft, die mit nichts mehr an das alte oben geschilderte „Kaubaukum“ erinnert. Die kleine Ackerstadt ist längst verschwunden hinter den hochragenden Bauten der Industrie und hinter der neuen Stadt, welche die grünen Gärten von ehemals bedeckt und unaufhörlich aus dem Boden heraus weiter wächst. In ihr und auf jeder Quadratmeile um sie herum wohnen im Durchschnitt dreißigtausend Menschen, also das Zehn- und Fünfzehnfache von ehemals. Mehr als sechzig Schachtthürme großer Tiefbau-Steinkohlenzechen zählt man eine Stunde im Umkreis der Stadt. Das kleine Werk von Mayer und Kühne hat sich zu dem großen, fast wirren Häusermeer entwickelt, welches unser Bild zeigt. Die Ruthe Landes, die Mayer und Kühne zu dreiunddreiviertel Thaler kauften (= 5 Thaler per Kölner Ruthe) kostet heute je nach der Lage fünfzig bis vierhundert Thaler; die Wälder sind bis auf geringe Reste verschwunden, die Niederungen trocken, und von allen Seiten umtost uns das erderschütternde Getöse der Hämmer, das Schnauben und Pfeifen der Dampfmaschinen und Locomotiven, das Rollen der zahllosen Bahnzüge, das Poltern der schweren Fuhrwerke, welche die Straßen der Stadt zahlreich durchrasseln. Und das edle Metall, welches sich dort unten zu Schienen reckt, zu Glocken wölbt, zu Rädern rundet und zu Kanonen formt, liefert nicht nur den Bedarf des eigenen Verkehrs und des nationalen Schutzes, es befreit nicht nur das Vaterland von einer kostspieligen und gefährlichen Abhängigkeit von der Industrie fremder Völker – nein, es bringt auch den stolzen Türken, den bärtigen Russen, den fleißigen Anwohner des Yan-tse-kiang, es bringt Spanier und Italiener in freundliche Handelsbeziehung zu dem Volke, welches heute besser den Stahl zu schmieden versteht, als alle anderen.

England hat fast ein Jahrhundert mit dem Geheimniß der Gußstahlbereitung auch den Ruhm der besten Eisenindustrie bewahrt und genießt denselben, obwohl nur zum geringern Theil, mit Recht noch heute. Es wird unterstützt in der Behauptung dieser seiner Stellung auf dem Eisenmarkt einmal durch die natürliche geographische Lage und sein Canalsystem, die ihm den billigen Wasserverkehr in sehr ausgedehntem Maße gestatten, dann aber auch durch seine edlen Eisenerze, durch seine hundertjährigen Handelsverbindungen mit allen Welttheilen, die kluge und glückliche Verkehrspolitik seiner eigenen und die unglücklichen Experimente fremder Regierungen auf dem gleichen Gebiet, durch einen seit Generationen geschulten und fleißigen Arbeiterstand und durch ein ebenso altes Vorurtheil, denn in Bezug auf Qualität und Arbeit steht das deutsche Eisenfabrikat höher. Wenn England in den wichtigsten Branchen der Stahlfabrikation die erste Stelle an Deutschland längst hat abtreten müssen, so knüpft sich die Ehre dieses Erfolges deutschen Fleißes an die Firmen Friedrich Krupp in Essen und „Verein für Bergbau und Gußstahlfabrikation in Bochum.“




Ein Verbrecher unter den Fischen.
Von Carl Vogt.


Unter den mancherlei Sehenswürdigkeiten, welche Paris vorführen kann, giebt es ein kleines Magazin an dem Quai du Louvre, Nr. 20, an welchem der gewöhnliche Tourist freilich achtlos vorübergeht, während der reisende Naturforscher sich nicht nur betrachtend dabei aufhält, sondern auch wohl eintritt und sich mit dem Manne, der es besorgt, in ein Gespräch einläßt. Wer einmal dort gewesen ist, kehrt wieder, und Keiner, darf ich wohl sagen, verläßt das Magazin des Fischzüchters Carbonnier ohne Belehrung. Der Mann ist schon für sich selbst eine Merkwürdigkeit. Er trägt seinen Namen „pisciculteur“ mit Stolz – er ist sich in der That bewußt, daß es keinen ihm Ebenbürtigen giebt in Beziehung auf Zucht und Behandlung der Wasserbewohner und namentlich der Fische. Man kann sich kaum umdrehen in dem engen Raume – überall plätschert und rieselt es; alle Wandflächen, alle Fenster und mit größeren und kleineren Aquarien besetzt, in welchen es von älteren Fischen, von Brut, von Molchen und Salamandern wimmelt. Carbonnier setzt seinen Stolz darein, ausländische Fische, welche durch ihre Schönheit, die Eigenthümlichkeiten ihrer Lebensweise oder die Vortrefflichkeit ihres Fleisches Anzucht verdienen, in Europa und speciell in Frankreich einzubürgern; er bezieht solche unter mannigfachen Mühseligkeiten und Unfällen, die ja auf der weiten Reise nicht fehlen können, aus Indien und in neuester Zeit besonders aus China und betreibt mit seinen Zöglingen, sowie mit Aquarien, Bruteinrichtungen für Fische etc. einen schwunghaften Handel. Er lebt und webt mit den Bewohnern seiner Aquarien, kennt ihre Bedürfnisse auf das Genaueste, weiß, wann sie Hunger haben, von der Kälte oder der schlechten Beschaffenheit des Wassers leiden, und erräth ihre Empfindungen, fast möchte ich sagen, ihre Gedanken. Das Auge des Fisches namentlich hat für Carbonnier seine ausgesprochene Mimik; er unterscheidet an dem besonderen Funkeln desselben die Liebe, wie den Haß und bemißt daraus seine Maßregeln der Trennung oder der Vereinigung.

Als ich mich im vorigen Herbste einige Tage in Paris aufhielt, lernte ich Carbonnier persönlich kennen und habe einige genuß- und lehrreiche Stunden in seinem Laden verbracht. Er zeigte mir alle seine Schätze: seine monströsen, aus China eingeführten Goldkarpfen mit den doppelten Schwänzen und den vorstehenden Glotzaugen; seine Kletterfische (Anabas scandens) aus Indien, welche unter den drolligsten Bewegungen auf dem Fußboden umherspazierten und in den Ecken emporkletterten, mit den Stacheln der Flossen sich forthelfend und stützend, seine Guramis (Osphromenus olfax), einen der wohlschmeckendsten Fische Chinas, der dem Steinbutt oder Turbot an Güte gleichstehen und dessen Anzucht, nach neuesten Nachrichten, wohl gelungen sein soll; seine Kampfhähne (Fondulus), kleine Fische, deren sonst ausdruckslose Augen wie Smaragde blitzen, und die, wenn sie in Wuth gekommen, aufeinander losstürzen; endlich seine Großflosser (Macropodius), von denen einige Paare für die Aquarien meines Laboratoriums zu kaufen ich mich nicht enthalten konnte. Von diesen letzteren soll hier die Rede sein.

Der Großflosser ist ein prächtiger kleiner Fisch von etwa fünf Centimeter Körperlänge, etwas seitlich abgeplattet, mit kleinem, nach oben gerichtetem Maule. Männchen und Weibchen sind sehr verschieden; das erstere größer, mit lebhafteren Farben und ungemein entwickelten Flossen ausgestattet. Der Rücken des Männchens ist dunkelbraungrün, mit schwarzen Marmorirungen; die Seiten sind grünlich mit verwaschenen senkrechten Binden von gelber, rother und blauer Farbe geziert; auf dem Kiemendeckel glänzt ein dunkelsmaragdgrüner runder, hell umsäumter Fleck. Das lebhafte Auge leuchtet hellgrün. Die Flossen sind bräunlich, himmelblau und gelb gesäumt; die Schwanzflosse ist so lang wie der Körper ohne den Kopf, halbmondförmig ausgeschnitten und in zwei Spitzen auslaufend; die an der Kehle stehenden Bauchflossen ziehen sich in einen langen, gelben Strahl aus. Bei dem Weibchen sind alle Farben mehr grau und unscheinbar, die Flossen weit kürzer, aber doch in ähnlicher Weise gebildet. Es ist unmöglich, sich eine Idee von der Grazie in den Bewegungen des Männchens zu machen; die langen Flossen flattern wie Wimpel um den Körper umher oder steifen sich wie Segel. Im Zorne gegen Nebenbuhler oder wenn sich das Männchen in seiner ganzen Schönheit der erstaunten Ehehälfte zeigen will, spreizt es alle Flossen mit leisem Zittern und schlägt mit der langen Schwanzflosse ein förmliches Rad.

Ich stehe nicht an, die Großflosser den Liebhabern von Aquarien und Becken statt der langweiligen Goldfische zu empfehlen. Sie liefern täglichen Stoff zu heiteren Beobachtungen und haben besonders den Vortheil, daß sie auch in schlechtem und verdorbenem Wasser aushalten. Sie gehören nämlich zu den sogenannten Labyrinthfischen, welche Wasser oder Luft in Höhlungen ihrer Kiemengebilde aufbewahren können. Man sieht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 546. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_546.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)