Verschiedene: Die Gartenlaube (1875) | |
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1788 und 1789 freundliche Aufnahme gefunden. Und auch ihn entließ das Saalthal nicht unbeschenkt; fand er doch hier in dem befreundeten, durch Geist und Bildung ausgezeichneten Hause der Frau von Lengefeld seine Charlotte, mit der er dann weiter unten im Saalthale, in Wenigenjena, den Bund für’s Leben schloß.
Doch unsere Fahrt geht ihrem Ziele entgegen. Ein großer Theil der Reisenden wird wohl schon in Rudolstadt oder doch auf der nächsten Station, dem Dorfe Schwarza, der Mündung des herrlichen Schwarzathals, der Saale und der Saalbahn Lebewohl sagen, um nun dem südöstlichen Thüringen sich zuzuwenden. Manch Einer aber wird auch noch das freundliche, alterthümliche Saalfeld, die Endstation der Saalbahn, und von hier aus den an schönen Waldpartien reichen Saalwald besuchen. Wir aber, am Ende unserer Saalbahnfahrt, scheiden von den bunten Bildern des Thales, durch die uns schnell das Dampfroß dahingetragen hat. Und dieser Wunsch sei ihm ein Abschiedsgruß. Möge die neue Bahn dem lieben Saalthale regen Aufschwung des Verkehrs, seinen landschaftlichen Schönheiten zahlreiche Freunde zuführen!
Nicht nur die Bücher und die Menschen, auch die Worte und die Namen haben ihre Schicksale. Nach dem Kriege von 1866 wurde in Berliner Kreisen der Zuruf „Benedek“ zu einem Schimpfworte, und ebenso gilt heute die Bezeichnung „Gründer!“ bereits als eine Beleidigung, welche der Injurienrichter ahndet. Niemand will sich noch Gründer nennen lassen, Niemand ein Gründer gewesen sein. Aber ursprünglich war es anders. Die Gründer, bürgerliche wie adelige, Börsianer wie Private, traten mit ihrem vollen Namen, mit allen Titeln und Würden auf; frei und selbstbewußt traten sie vor das Publicum und gaben sich als die Förderer des Gemeinwohls, als die Wohlthäter der Gesellschaft. In dieser Eigenschaft wurden sie von der Presse gefeiert, und umstrahlt von diesen Nimbus, fanden sie bei dem Volke Glauben. Es waren wieder einmal, wie vor 1800 Jahren, die „falschen Propheten“, die „Wölfe in Schafskleidern“, und wie Wölfe fraßen sie unter der Heerde. – Auf dem Programm der Gründer stand obenan: Abhülfe der Wohnungsnoth, und die ersten Gründungen waren höchst ehrbare – „gemeinnützige Baugesellschaften“.
Den Reigen eröffnete Herr David Born, ein kleiner „Volkswirth“. 1871, im wunderschönen Monat Mai, erließ er einen Aufruf: „Ein Großgrundbesitzer hat mir ein Areal von 40 Morgen zu einem sehr billigen Preise zur Verfügung gestellt. Aber nur einer Baugesellschaft will der Besitzer den billigen Preis und außerdem günstige Bedingungen stellen; dagegen stellt er die Anforderung, daß keine Fabriken, keine hochstöckigen Miethshäuser und Proletarierwohnungen gebaut werden dürfen.“ Herr David Born forderte namentlich Beamte, Pensionäre, Lehrer, Künstler, Literaten etc. auf, sich mit ihm zu vereinigen, „um gemeinschaftlich Wohnhäuser und die dazu passenden Gärten vermittelst einer Summe zu erwerben, welche die jetzt zu zahlende jährliche Miethe nicht übersteigt“. – Das klang verlockend genug, und schnell kam eine Gesellschaft zu Stande, welche sich „Landerwerb und Bauverein auf Actien“ nannte. Sie begann ihre Thätigkeit mit dem bescheidenen Capitale von 10,000 Thalern und vertheilte nach sechs Monaten bereits die kolossale Dividende von – 40 Procent. Das heißt: pro rata, nach Verhältniß des Zeitraums und der nur theilweisen Einzahlung; thatsächlich erhielt jede Actie 4 Thaler. Nun wurde das Capital rasch auf 400,000 Thaler erhöht, und ungleich größere Terrains wurden zugekauft.
Im nächsten Jahre vertheilte man an Dividende noch 8½ Procent, wieder pro rata, und diese Dividende floß zur Hälfte aus den Zinsen des eigenen, noch nicht verausgabten Capitals. 1873 und 1874 gab es keine Dividende mehr. Auch dieses anscheinend so solid begonnene Unternehmen artete in Speculation und Schwindel aus. Die heutige Colonie Friedenau (welch idyllischer Name!) besteht in der Hauptsache noch aus Baustellen und aus etwa 45 fertigen Häusern. Von diesen befinden sich wieder die wenigsten in eigentlichen Privathänden, respective werden die wenigsten von dem eigenen Besitzern regelmäßig (Sommers wie Winters) bewohnt; die meisten Häuser enthalten Miethswohnungen und gehören Speculanten und Börsianern. Die noch unverkauften ausgedehnten „Bauländereien“ sind von der Gesellschaft als Aecker oder Weiden verpachtet; die mit Hülfe der ersten Dividende von 40 Procent bis auf 200 hinaufgetriebenen Actien stehen heute circa – 17.
Herr David Born, welcher seit jener Gründung sich „Director“ nannte, schied schon im ersten Geschäftsjahre, nach Vertheilung der grandiosen Dividende, aus; oder aber er wurde ausgeschieden, vom Aufsichtsrathe, dem er, wie es scheint, unbequem ward, da er gegen gewisse Verletzungen des Statuts opponirte. Er „dirigirte“ nun eine in der Nachbarschaft entstandene neue Baugesellschaft, den „Lichterfelder Bauverein“. Dieser brachte es nur bis auf 9 Procent Dividende, und die mit 90 Thalern eingezahlten Actien, die einst 120 standen, gelten heute circa 14. Die Bilanz für 1874 schließt mit einem Verluste von 328,000 Thaler(!), entstanden durch „Abschreibungen“. Man hat nämlich gefunden, daß der Preis, mit welchem die Ländereien zu Buch stehen, dem heutigen Werthe nicht mehr entspricht, und deshalb die Taxe um ein Drittel herabgesetzt. Wer weiß, was die „Bauländereien“ im künftigen Jahre werth, welche neue Abschreibungen dann nöthig sein werden! Glücklicher Weise belasten die Gesellschaft keine Hypotheken mehr, und so muß für die Actionäre doch immer eine Kleinigkeit übrig bleiben.
Der edle Großgrundbesitzer, welcher Herrn David Born und Genossen mit Bauterrain unter die Arme griff, war Herr J. A. W. Carstenn in Lichterfelde, und er hatte solcher Anfälle von Edelmuth noch verschiedene. So lieferte er einem dritten, in derselben Gegend entstehenden Vereine, der „Land- und Baugesellschaft Lichterfelde“, gleichfalls ein ungeheures Areal und ließ es sich sehr anständig bezahlen. Daneben bedang er sich als Trinkgeld noch 10 Procent vom Reingewinne, der 1872 an 400,000 Thaler, also für ihn gegen 40,000 Thaler ergab. Die Actionäre erhielten 25 Procent Dividende und hätten 69 Procent erhalten können, die sie auch verlangten und einklagten; doch das Gericht wies sie ab. 1873 betrug die Dividende nur 5 Procent, 1874 bereits 0. Die Actien, einst 155, stehen heute 24 Brief. Das Terrain ist mit 500,000 Thalern belastet, und während der Bauverein Lichterfelde Abschreibungen vornimmt, stellt sich bei der Baugesellschaft Lichterfelde der Buchpreis der Quadratruthe mit jedem Jahre noch höher.
Bei gewissen Leuten steigert sich mit dem Essen der Appetit, und so gründete Herr Carstenn denn noch in Verbindung mit den Herren Richard Schweder, Paul Munk, Gustav Markwald und noch einigen Anderen den „Berlin-Charlottenburger Bauverein“, dessen Actien im Februar 1873 mit 110 an die Börse kamen. Diesen Aufschlag rechtfertigte der „Prospect“, indem er pro 1872 eine Dividende von nahe 13 Procent feststellte, welche aber nur den Gründern zu gute kommen konnte; denn Actionäre waren noch gar nicht vorhanden, und nachdem man sie eingefangen hatte, gab es keine Dividende mehr.
Der „Berlin-Charlottenburger Bau-Verein“ hat Großartiges geleistet – im Abstecken von Straßen und Plätzen. Eine unabsehbare Riesenstraße zieht sich von Steglitz bis Charlottenburg. Sie heißt die „Kaiserstraße“, ist über eine halbe Meile lang, breit und prächtig – nur fehlen ihr noch die Häuser und die Baugründe sind einstweilen hier, wie in dem Gewirr der Quer- und Nebengassen, als Viehweide verpachtet. Auch die beiden „Baubureaux“ in Berlin und in Wilmersdorf sind geschlossen; trotzdem hat die „Verwaltung“ im letzten Jahr über 11,000 Thaler Unkosten verursacht. Ein Räthsel, das nur „Aufsichtsrath“ und „Direction“ zu lösen vermögen. Aber Beide verbergen sich jetzt wie Adam und Eva nach dem Sündenfall.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_438.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)