[go: up one dir, main page]

Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1875) 209.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 13.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.



Ein kleines Bild.
Von Ernst Wichert.
(Fortsetzung.)


„Was steht zu Ihren Diensten, mein Herr?“ fragte sie, als Rose ihr nun gegenüberstand und sich höflich verbeugte. „Wir sind erst vor wenigen Tagen hier wieder eingezogen, und es fehlt uns selbst so sehr am Allernothwendigsten daß wir …“

„Ich habe um nichts zu bitten, als um ein kleines Logis für meine Person,“ antwortete Rose im besten Französisch. „Es wäre mir lieb, wenn ich mich in diesem Hause einquartieren könnte, das mir gefällt.“

„Ah! Sie sprechen unsere Sprache,“ bemerkte die Dame, und ein momentan freundliches Lächeln drückte ihre Befriedigung darüber aus. „Wir werden uns also verständigen können. Treten Sie ein, mein Herr, treten Sie ein!“

Sie öffnete die Thür zum Salon und nöthigte den sicher sehr unwillkommenen Gast in denselben. Arnold warf einen Blick durch die Portière auf den Schreibtisch – da stand noch der leere Bilderrahmen. Er hatte beim Eintreten geschwankt, ob er es nicht bei einer Visite bewenden lassen solle; nun mahnte das kleine Bild in seiner Brieftasche wieder stark an seine Zusammengehörigkeit mit diesem Hause, von dem er gleichsam ein Stück schon Monate lang mit sich herumgetragen hatte. Die Dame ließ sich auf dem Sopha nieder und bot ihm einen Sessel daneben an.

„Ich erwarte meinen Mann jeden Augenblick zurück,“ sagte sie. „Er ist ausgegangen, um sich nach einem Dienstboten für uns zu erkundigen. Aber es hat jetzt seine Schwierigkeiten, einen Menschen zu ermitteln, der Andern Dienste zu leisten bereit ist, da Jeder mit sich selbst genug zu thun hat. Wir haben unsere Leute entlassen müssen, als der Feind anrückte; ihre Furcht war zu groß, obgleich sie gerade am wenigsten zu fürchten hatten. So blieb auch uns nichts übrig, als dieses Haus zu verlassen und uns zu Verwandten zu flüchten. Aber auch deren Lage hat sich in letzter Zeit so sehr verschlimmert, daß wir ihnen nicht länger zur Last fallen durften, und so zogen wir es vor, die Gefahr für unsere Person nicht zu berücksichtigen und hierher zurückzukehren.“

„Sie ist, hoffe ich, nicht groß,“ sagte Arnold freundlich.

„O, daß Sie Recht hätten!“ rief die Dame lebhaft. „Aber die Grausamkeiten, von denen die Blätter berichten … Verzeihen Sie!“ fügte sie schüchtern und den Kopf senkend hinzu, „ich vergaß, daß ich mit Einem von Denen spreche, die sie dem verhaßten Feinde gegenüber gut heißen werden.“

„Sie irren, Madame,“ entgegnete Arnold ruhig. „Ich heiße nicht gut, was das menschliche Gefühl empört, und ich erkenne nicht an, daß es irgend eine Nothwendigkeit giebt, die dergleichen Barbarei rechtfertigt; der Krieg ist ohnedies schrecklich genug.“

Sie sah überrascht zu ihm auf. „Mein Herr … Sie verdammen Ihre eigenen Landsleute? So viel Gerechtigkeitssinn –“

„O, nicht doch!“ unterbrach er. „Sie sind schwerlich über die Vorfälle, an welche Sie denken, gut unterrichtet. Ich will nicht bestreiten, daß gegen einige Gemeinden mit Energie, sagen Sie meinetwegen: mit Härte, eingeschritten ist, aber sie verschuldeten ihr Unglück selbst durch die Begünstigung von Freischärlern, die wir Räubern gleichzuachten haben.“

„Sie vertheidigen ihr Vaterland, mein Herr,“ wendete die Dame ein. „Ist nicht jeder Bürger dazu berufen?“

„Wenn er sich entschließen kann, als Soldat mitzukämpfen,“ entgegnete Arnold ernst.

Madame Blanchard seufzte tief und schwieg. Sie fühlte, daß sie dieses Gespräch nicht mit der Freiheit fortsetzen könne, die eine Gleichstellung mit dem Gegner bedingt.

„Wir haben nicht erwarten dürfen, mein Herr,“ brach sie nach einer Weile ab, „von Einquartierung verschont zu bleiben, aber daß so bald nach unserer Rückkehr, ehe wir uns selbst noch eingerichtet haben …“

Rose lächelte freundlich. „Ich glaube, es geschieht zu Ihrem eigenen Besten, Madame,“ sagte er, „wenn Sie mich ohne jede Weigerung aufnehmen. Sie beurtheilen Ihre Lage ganz richtig; von der Einquartierungslast werden Sie nicht verschont bleiben, und wahrscheinlich ist dieses Haus bisher nur deshalb unbelegt geblieben, weil man es noch für unbewohnt hielt. Das rothe Kreuz sagt Ihnen, daß Sie es nicht mit einem Krieger, sondern mit einem Manne zu thun haben, der sich freiwillig die Aufgabe gestellt hat, zur Heilung der Wunden beizutragen, die der Krieg schlägt. Ich diene so gut Ihren unglücklichen Landsleuten, wie den meinigen – ich darf ehrlich sagen, ohne Ansehen der Person. Diese meine Beschäftigung sollte wohl geeignet sein, Ihnen Vertrauen einzuflößen. Wer weiß, wenn ich Sie von meiner Gegenwart befreite – was leicht geschehen könnte, Madame – mit wem Sie es morgen zu thun haben würden? Freilich kann ich Ihnen keine Garantie dafür bieten, daß ich Ihr einziger Gast bleibe, aber vielleicht gelingt es mir, weitere Zumuthungen von Ihnen fernzuhalten, und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_209.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)