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Seite:Die Gartenlaube (1875) 102.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Aus dem Wächterhäuschen des Straßburger Münsters.


Die byzantinischen Schriftsteller Damascius und Photius erzählen von einer Geisterschlacht, die zur Zeit der Völkerwanderung an den Thoren und über den Tempeln Roms geliefert wurde, und in welcher die Manen der Erschlagenen drei Tage und drei Nächte lang mit ungebeugtem Trotze den Riesenkampf fortsetzten. Noch dauert der stumme Krieg zwischen Deutschland und Rom auf dem Gebiete der Volksdichtung fort. Die elsässische oder vielmehr ultramontane Liga, deren Flug- und Fluchschriften so viel Unheil im Reichslande angerichtet haben, setzt neuerdings ein Büchlein in Umlauf, welches den bedeutsamen Titel führt: „Patrie. Elsässer Stimmen aus Deutschland. Sammlung verschiedener Gesänge zur Antwort auf Stöber’s Werk: ‚Deutsche Stimmen aus dem Elsaß.‘ Von einem echten Elsässer.“ Die coriolanische Verbissenheit unserer Optanten giebt sich gleich in der ersten Strophe des ersten Gesanges kund:

          „Die Elsässer Girondins.“

(Air des Girondins: Par la voix du canon d'alarme.)

Nur Geduld, ihr verdammte Preuße!
D’Zit isch do; es wird bol andersch geh’.
D’Zit isch do, wenn’s üwerall wird heiße:
’s kann a Jeder von is für si Mann steh’.
     Nit verzagt, und herzhaft schlaget d’ruf!
     Schlä’t se z’samme, schlä’t se todt!
     So komme mer us der große Noth.“

Wie ganz anders ist die Sprache und die Gesinnung der deutsch-alsatischen Dichter, die sich in Stöber's „Alsatia“, im „Pfeffel-Album“ und in den „Deutschen Stimmen aus dem Elsaß“ zusammengefunden haben! Ihr Symbol ist der Münsterthurm,

„Der so treu herniederblickt
Und der Eintracht stumme Grüße
Rings herum in’s Rheinthal schickt.“

Ihr Vorbild sind die Sabinerinnen, welche einer brudermörderischen Fehde ein Ende machten; ihr Wahlspruch ist Stöber’s Bitte:

„O Elsaß, Oberlin’s und Spener’s Land!
Zwei Völkern den Versöhnungsbund zu stiften,
Sei zwischen Beiden Du das Liebesband!“

Mit Recht konnten die reichsfreundlichen Sänger in den „Deutschen Stimmen aus dem Elsaß“ sagen: „Unsere Dichterschule hat weder Leier noch Schwert in die Wagschale des Krieges gelegt. Aber sie hat das Familienkleinod der Muttersprache erhalten, so daß die Elsässer beim Klange der deutschen Soldatenlieder sagen mußten: ‚Das ist doch Fleisch von unserem Fleische und Bein von unserem Beine!‘“

Als wir vor einigen Wochen im Wächterhäuschen des Straßburger Münsterthurms das große Fremdenbuch durchblätterten, bemerkten wir auf allen Seiten die Spuren dieser Geisterschlacht. Den Jubelruf eines deutschen Besuchers unterbricht ein Elsässer mit den herben Worten: „So mag wohl Thersites an Hector’s Leiche gefrohlockt haben.“ Ein Anderer stößt die dargebotene Bruderhand mit der Bemerkung zurück: „Ihr bombardirt uns jetzt mit Liebesgedichten, wie früher mit Brandgranaten.“ Während die deutschen Schriftsteller ihre Namen mit der flüchtigen Notiz: „Am Journalistentage“ eintrugen, nannten sich ihre französischen Collegen „rédacteurs de journaux anti-prussiens“ und verhießen den bedrängten Elsässern baldige Erlösung. Ein Capitain vom 51. französischen Infanterieregimente, ein geborener Straßburger, schreibt am 14. September 1874 die drohenden Worte nieder: „In sechs Jahren werden die Barbaren, welche unser Münster zerschmettert (foudroyé) haben, ebenfalls zerschmettert werden.“ Ein Deutscher beantwortet diese Herausforderung mit dem platonischen Wunsche: „Mögen diese Glocken den Frieden zwischen Frankreich und Deutschland einläuten!“ Mit Erstaunen sehen wir einen englischen Prediger seinen Stammesgenossen zur Seite treten und die Worte einzeichnen:

„Schönster Strom des Vaterlandes,
Ruhmgekrönter Vater Rhein!
Deines heil’gen Silberbandes
Treue Hüter laß uns sein!
Laß an deinen Ufern glänzen
Wahrheit, Freiheit, Licht und Recht!
Laß den goldnen Wein credenzen
Stets ein ritterlich Geschlecht!“

Als Dritter im Bunde gesellt sich ein Wiener zu seinen Stammesgenossen:

„Aus der Heimath bracht’ ich Grüße dir, du deutscher Dom!
Nach der Heimath send’ ich wieder sie zum Donaustrom.“

Auch die Frauen mischten sich in den patriotischen Streit. Eine Schleswigerin schreibt ihren Namen mit dem Ausrufe ein: „Gott sei Dank, der der deutschen Nation ihre Erblande zurückgegeben!“ Fräulein Palmyre hingegen erinnert am 4. October 1874 an den Sieg, welchen Turenne am 4. October 1674 beim benachbarten Dorfe Entzheim über die Brandenburger und die Kaiserlichen errungen, und begleitet diese gelehrte Reminiscenz mit dem Wunsche: „Möchten wir von diesen Mauern herab die Niederlage des preußischen Heeres sehen!“ Unterm 2. Juni 1874 lesen wir im gewaltigen Folianten den von zehn Mädchen unterschriebenen Schwur: „Amour, courage, espoir! Wir versprechen hier auf dem Münster, niemals einen Deutschen zu heirathen.“ Zu gleicher Zeit spenden unsere klugen Jungfrauen der französischen Nationalversammlung den wohlgemeinten Rath: „Eintracht macht stark.“ Wir möchten hier mit Shakespeare ausrufen: „O Weib, Dein Name ist Veränderlichkeit.“ „Keinem Wälschen Dich vermähle!“ klang es vor dreihundert Jahren in unseren Volksliedern, als Straßburg einen brandenburgischen Prinzen zum Schirmvogt erwählte. „Ja, wenn’s kein Wälscher wär'!“ läßt der vaterländische Dichter Arnold in seinen „Straßburger Volksgesprächen“ eine sittsame Jungfrau ausrufen, indem sie die Werbung eines französischen Unterofficiers zurückweist. Umsonst forderte Ludwig der Vierzehnte die Frauen Straßburgs unter Androhung schwerer Geldstrafen auf, die französische Sprache und Tracht anzunehmen. Weit galanter waren die Proconsuln der einen und untheilbaren Republik, welche unsere Patriciertöchter ermahnten, der Sprache der Sclaven zu entsagen. Der politische Conservatismus der Straßburgerinnen wird durch den Umstand angedeutet, daß die Heldin des „Pfingstmontags“ nicht dem französisch parlirenden Straßburger, sondern einem Bremer Stadtkinde Herz und Hand schenkt. Daß es mit jenem patriotischen Schwure auf dem Münsterthurme nicht so ernstlich gemeint war, zeigt das Straßburger Trauungsregister, welches im Laufe des Jahres 1874 etwa vierhundert zwischen Deutschen und Straßburgerinnen geschlossene Ehen erwähnt.

Die wälsche Politik verschmäht kein Mittel, um den unter der Asche glimmenden Funken wach zu erhalten. Neuerdings wurde den Landleuten in Elsaß-Lothringen und Südwestdeutschland folgende Spukgeschichte mitgetheilt: „In der Neujahrsnacht wurde ein starkes Rumoren in den Berghöhlen vernommen, in welchen der Sage gemäß Kaiser Karl mit seinen Rittern hausen soll.“ Die ultramontanen Blätter knüpfen an diesen Vorgang die freudigsten Hoffnungen. „Es soll schrecklich zugegangen sein,“ schreibt man mit einem verständlichen Seitenblicke auf Preußen. „Das Schießen ist wie in einer wirklichen großen Schlacht gewesen. Es schien, als wolle der Berg bersten und der alte Kaiser Karl seinen Ausritt halten, um der bedrängten Christenheit seine Hülfe zu bringen gegen ihre Feinde. Sei es ein gutes Omen für 1875!“

Den römischen Fetialen gegenüber möchten wir einen Vorfall erwähnen, der uns zur Zeit der heißen Kämpfe um Belfort mitgetheilt wurde. Ein preußischer bei Belfort verwundeter Officier, in einem Lazarethwaggon auf der Fahrt nach der Heimath befindlich, fragte einen badischen Arzt:

„Nun, sagen Sie mal, was war das für eine geheime Parole, welche sich Ihre Leute mit rollenden Augen und finsteren Mienen leise zuriefen? Ich konnte es um die Welt nicht verstehen. Was mag es wohl gewesen sein? Denn es lief ganze Fronten der auf dem Schnee im Anschlage liegenden Soldaten fort.“ Der Arzt erwiderte, er wisse von keiner geheimen Parole, dies müsse ein Irrthum sein. Doch dort liege ja ein badischer Soldat; er wolle ihn fragen. Dies geschah auch, aber der Soldat antwortete ebenfalls, er wisse von keiner geheimen Parole.

„Ihr habt Euch aber doch,“ sagte der Arzt, „als Ihr auf dem Bauche im Schnee laget, etwas zugeflüstert, was sich von einem Manne zum andern fortpflanzte.“

„Ah so,“ entgegnete der Schwarzwälder und lächelte verklärt,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1875, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_102.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)