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Seite:Die Gartenlaube (1866) 812.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Was, mein Gemahl?“ sagte sie erschreckend und trat einen Schritt zurück.

„Daß ich warten soll, bis Du stirbst, um Dir das zu sagen!“ lallte er und öffnete plötzlich die Arme, während ihm ein Strom von Thränen aus den Augen stürzte. Halb blind stürzte er ihr entgegen, verworrene Worte stammelnd: „Mein Weib! – mein armes Weib! – Vergieb – komm’ an meine Brust – sei mein – laß mich Dein sein! – Gott – allbarmherziger Gott – diese Stunde nur überleben und dann Dich preisen – ewig!“ – –

Er haschte nach ihren Händen. Sie aber war dicht an der Schwelle zusammengesunken. Das Uebermaß der Freude schien sie entseelt zu haben. Da versuchte er sie aufzuheben und ließ sie dann wieder niedersinken, kniete neben ihr und lehnte ihr ohnmächtiges Haupt an sein Knie, Stirn und Lippen ihr mit Küssen und Thränen bedeckend. „Wach’ auf,“ rief er ihr in’s Ohr, „wir fangen ja erst zu leben an, wir haben es uns hart verdienen müssen, noch einmal glücklich zu werden; nun laß uns keine Zeit verlieren. Ich geize mit jeder Minute, da ich Jahre verloren habe. Wach’ auf, Giovanna, mein armes geliebtes Weib, wach’ auf!“

Da schlug sie endlich die Augen langsam wieder auf, aber sie konnte noch nicht sprechen, sie lag ganz still auf dem Teppich in seinen Armen und sah ihn groß und ruhig an, als wollte sie aus seinen Augen erforschen, ob dieses Märchen Wahrheit sei. „Geht es denn schon zu Ende?“ war das Erste, was sie hervorbringen konnte. Und er: „Wir fangen erst an,“ wiederholte er. „Komm’, hier gebe ich Dir den ersten Kuß als Dein verlobter Bräutigam. Ehe Du heut’ meine Braut wurdest, hast Du viel Dunkles und Trauriges erlebt. Aber die Liebe, die Dir nun über’m Haupt zusammenschlägt, spült Alles von Dir ab, Du geh’st mir entgegen wie ein neuer Mensch, und so nehme ich Dich an mein Herz und danke Gott für Dich, der Dich mir neu erschaffen hat. Richte Dich auf. Nein, warte noch einen Augenblick, bis ich Dich in meinen Armen aufhebe.“

Er ließ sie sanft auf den Teppich nieder und schloß ihr mit seinen Lippen die Augen. Dann erhob er sich, trat zu dem Tisch am Fenster und warf Etwas, das darauf lag, mit raschem Griff in die Schlucht, die sich jäh hinuntersenkte.

„Die Luft ist völlig rein,“ sagte er, sich wieder zu ihr wendend, die still wie schlafend auf dem Teppich ruhte. „Komm’! Wir wollen nun miteinander sprechen wie zwei vernünftige Brautleute, die miteinander ausmachen, wie sie ihr Leben einrichten sollen.“

Nun hob er sie auf und führte sie zu seinem Sessel, dem Fenster gegenüber. Da setzte er sich und zog sie auf seine Kniee, während sie wie träumend vor sich niedersah und ihn sprechen ließ, wie man einer Musik zuhört. Er sagte ihr Mancherlei, auf das sich wohl eine Antwort geziemt hätte. Aber wenn sie dann stumm blieb, sprach er ruhig weiter. Und von Zeit zu Zeit bückte sie sich auf seine Hand nieder und küßte sie leidenschaftlich.


Der Tag hatte sich aufgehellt nach einem leichten warmen Regen. Oben in den Klippen, nah am Steinbruch, irrte Eugen seit mehreren Stunden umher. Ihn hatte der Regen nicht erfrischt; unter seiner Stirn blieb es schwer und schwül und seine Augen, in die über Nacht kein Schlaf gekommen war, schweiften traurig und unstät über das kahle Hochland.

Er hatte am Morgen die Barborin über die Zugbrücke gehen und den Weg nach dem Kloster einschlagen sehen. Diesmal aber sang sie nicht und gab ihm kein Zeichen. Vielmehr, als sie sich zufällig umwendete und ihn oben am Fenster stehen sah, hatte sie, sichtlich erschreckend, das Tuch dichter über den Kopf gezogen und war eiliger bergan gestiegen.

Was sollte er davon denken? War das schon eine Antwort auf seinen Brief? Oder war eine Gefahr im Anzuge und sie wollte ihn sich nachlocken, um droben in der einsamen Wildniß ihr Herz gegen ihn auszuschütten?

Droben aber hatte er sie vergebens stundenlang gesucht und sich endlich, als die Sonne stechend zwischen den Dünsten hereinbrach, in die Hütte am Steinbruch zurückgezogen. Er mußte voraussetzen, daß sie ihn hier aufsuchen würde, wenn sie ihm etwas zu sagen hätte.

Der Ort schien ihm noch öder, als das erste Mal. Nicht einmal eine Ziege verirrte sich zu ihm. Die Spinne, die an den grauen Balken ihr Netz angehängt hatte, saß schläfrig im Winkel und wartete, daß die Sonne die angesprengten Regentropfen wieder aufsaugen sollte. Da warf er sich in die dunkelste Ecke und über dem Horchen hinaus in die lautlose Mittagsluft schlief er endlich fest ein.

Das Geräusch’ eines stark herniederprasselnden Gewitterregens weckte ihn nach einigen Stunden. Er sprang auf und fühlte sich jetzt erleichtert und wie von einem unnatürlichen Druck befreit. Während er in der Thür der Hütte stehend abwartete, daß das Wetter vorbeizöge, faßte er einen klaren Entschluß. Sein nächstes Geschäft in dieser Gegend war mit der Weigerung des Marchese, seinen Besitz zu verkaufen, so gut wie erledigt, denn die Recognoscirung, die er gestern angestellt, hatte seinem geübten Blick bald gezeigt, daß jede Befestigung des Passes, die das Castell nicht in ihren Plan aufnähme, eine vergebliche Arbeit sei. Bis an den anderen Morgen wollte er nun noch eine Antwort auf seinen Brief abwarten. Wenn Alles stumm bliebe, sollte es ihm ein Zeichen sein, daß ihm das Schicksal keine Rolle in diesem Trauerspiel zuertheilt habe.

Inzwischen hatte sich’s abgeregnet und er verließ festen Schrittes die Hütte. Doch stand er oft still und sah zurück, als erwarte er hinter jedem Gebüsch die Alte hervortreten zu sehen. So brauchte er wohl eine Stunde, um den Weg bis zum Castell hinabzusteigen.

Zu seinem größten Erstaunen fand er unten das schwere Hofthor halb offen, ein Haufe von Bauerweibern und Kindern stand davor, gaffte durch den dunklen Bogen in’s Thor hinein und machte kaum Platz, als Eugen sich näherte. Im Hofe drinnen sah er einen Bauernwagen, auf dem Kisten und Koffer standen, während Barborin und eine mürrisch aussehende Magd noch immer neue Gegenstände aus dem Erdgeschoß herausschleppten und sorgfältig zwischen der übrigen Last verpackten. Als die Alte den jungen Officier herantreten sah, that sie einen unverständlichen Ausruf, kletterte hurtig von dem Wagen herunter und zog, indem sie der Martina zurief, das Gepäck zu bewachen, es sei dem Diebsvolk nicht zu trauen, den Ueberraschten in’s Haus hinein, wo sie erschöpft, unter lebhaften Geberden des Wunderns und Sichfreuens, auf Taddeo’s Bett niedersank.

„Was werdet Ihr für Augen machen, Herr Capitano!“ rief sie und schnupfte, um wie sich selbst Fassung zu gewinnen. „Heilige Mutter der Gnaden, wer hätte das gedacht! Heute früh – meinte ich doch, wir zwei würden in alle Ewigkeit kein Wort mehr mit einander reden, denn sie hatte mir gedroht, mich fortzujagen, wenn ich Euch auch nur noch Guten Tag sagte, Alles um Euren Brief, und der Herrgott, der mich geschaffen hat, weiß, mit wie viel Seufzern ich den Berg hinaufstieg, um den Fra Ambrogio zu holen, denn ich dachte nicht anders, als sie will ihm zum letzten Mal beichten und sich dann ein Leids anthun, so entsetzlich hatte sie mich angesehen. Und den ganzen Weg hin und zurück nichts als Stiche hier in der linken Seite, wo ich’s gleich spüre, wenn ich Kummer habe, und was der gute Frate sagte, mich zu trösten, half mir nicht mehr als Limonade gegen das kalte Fieber. Aber wie wir hier angekommen und ich frage: ‚Wo ist unsere Frau, Taddeo?‘ – und der Spitzbube sagt mit einem Gesicht, wie wenn einer den jüngsten Tag prophezeit: ‚Sie ist beim Herrn droben;‘ – und ich: ‚Du willst mich foppen, Tückebold!‘ sag’ ich; ‚das ist ja unmöglich!‘ – ‚Hum!‘ sagt er, ‚unmöglich oder nicht, aber wahr ist es, altes Ungewitter, und wir verreisen, dahin, wo ich hoffentlich Deine gelbe Fratze nicht mehr zu sehen brauche!‘ – wie mir da würde, lieber Herr, und wie ich dann mit dem Fra Ambrogio die Treppe hinaufhaspelte, zwei Stufen auf Einmal mit meinen bald sechszigjährigen Spazierstöcken – und droben, was denkt Ihr? wer sitzt bei dem Herrn und läßt sich schön thun, und wie wir Zwei unangemeldet hereinplatzen, springt sie auf ihre Füße und wird Euch roth wie ein ganz junges verliebtes Ding, das man bei seinem Schatz ertappt? Nun, ich sage nichts weiter, ich weiß auch nicht viel weiter, als daß ich, so alt ich noch werden mag, so einen Tag nicht wieder erlebe.

Wie das Alles gekommen – ja, du lieber Himmel, wer das wüßte! Die Martina hab’ ich gefragt, die weiß aber kein Sterbenswort; selbst dem Spitzbuben, dem Taddeo, hab’ ich das Wort gegönnt, und der that mächtig verschmitzt und geheimnißvoll, aber ich merkte wohl, daß auch er nichts weiß und erhorcht hat, und darum gerade war er so schlechter Laune. Hernach aber wurde er plötzlich umgedreht wie ein Handschuh.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 812. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_812.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)