verschiedene: Die Gartenlaube (1866) | |
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ist, stellst Du ihn an den Kamin, mit dem Arm sich darauf stützend und mit den dunklen Blicken, die eben so viel Stolz wie Schwärmerei ausstrahlen …“
„Ach, ich glaube, Du spottest schon!“ fiel Alwine schmollend ein.
„Nicht im Mindesten … treff’ ich Dein ‚Ideal‘ nicht?“
Sie gab ihm einen leichten Schlag auf die Schulter.
„Was weißt Du davon, was eine Frau sich für ein Ideal macht!“ sagte sie.
„Fahren wir fort,“ entgegnete Ernst lächelnd. „Sollen wir Dein ‚Ideal‘ noch weiter ausmalen, oder sollen wir es jetzt im gewöhnlichen Alltagsleben in irgend einer Stellung unterbringen? Da es arm ist und eine Mutter zu ernähren hat, muß es doch arbeiten, oder schickt sich das für ein Ideal nicht?“
„Wenn Du nicht aufhörst, in dem Tone zu reden, werde ich Dir ernstlich böse, Ernst.“
„Mir böse? Und Du siehst doch, welch’ Vergnügen es mir macht, in Deine Gedanken einzugehen. Also fahre fort.“
„Ich mag gar nicht.“
„So will ich es für Dich thun. Ich denke, der Held ist Buchhalter in dem Geschäft des harten, reichen Papas, der seine Tochter durchaus an einen häßlichen, alten Landjunker verheirathen will, weil er sie ihm fest zugesagt hat …“
Alwine rieb sich die Stirn, der häßliche, alte Landjunker war gut; es ließ sich bei der Schilderung desselben recht viel Humor aufwenden. Aber Buchhalter? sie hätte den Helden lieber in ein idealeres Gewand gekleidet, z. B. in eine hübsche Cavalerieofficiers-Uniform, oder ihn in eine poetischere Lebenssphäre gestellt, etwa als Gesandtschaftsattaché … oder Seemann … oder Forstbeamten …
„Buchhalter ist nicht hübsch,“ sagte sie zögernd.
„O, ich denke doch, es scheint mir zu seinem Charakter zu passen, der anspruchslos sein soll, und da wir es mit einer einfachen Geschichte zu thun haben, so könnten wir dabei bleiben; doch könnte man auch einen Künstler, einen Maler aus ihm machen …“
„Nein, nein, nicht das; die eine Hälfte aller Novellen hat Maler, die andere Studenten zu Helden. Bleiben wir immerhin beim Buchhalter, und nun will ich Dir sagen, wie ich’s mir weiter dachte. Ich dachte mir, der Held unserer Geschichte, der nicht gewagt hat, sein Gefühl für die Geliebte zu gestehen, trete an ihrem Geburtstage zu ihr in’s Zimmer, um ihr einen herrlichen Strauß zu bringen, er finde sie in Thränen, sie gestehe ihm, daß ihr Vater sie mit einem Bewerber …“
„Dem Landjunker …“
„Dem Landjunker verlobt habe, daß über sechs Wochen die Trauung sein solle, daß sie sich vorher in’s Wasser stürzen würde, und diese niederschmetternde Mittheilung entreiße dem Helden das Geständniß seiner leidenschaftlichen Liebe.“
Alwine sah ein wenig unsicher und fragend ihren Gatten an. Dieser blickte den blauen Rauchwölkchen seiner Cigarre nach und sagte lakonisch: „Weiter!“
„Ja, weiter bin ich nicht gekommen.“
„Das ist allerdings nicht sehr weit, und wenn die Geschichte das Lob der Einfachheit nicht in einem etwas bedenklichen Maße verdienen soll, müssen wir freilich noch etwas hinzuthun. Also, laß sehen! Da der Vater ein Erztyrann ist, so sehe ich nicht wohl, was die Tochter gegen seinen herrischen Befehl machen kann. Sie könnte sich höchstens seiner Machtsphäre entziehen …“
„Sie könnte fliehen,“ fiel Alwine ein.
„Das ist recht gut,“ fuhr Ernst fort. „Eine Flucht, unter schwierigen Umständen, aus strenger Bewachung, ist etwas höchst Spannendes. Also sie flieht, flieht zu einer Verwandten des Helden in irgend einer großen Stadt; nehmen wir Wien, Paris, London. Der Buchhalter ist natürlich im Geheimniß, er schützt nach einiger Zeit eine nothwendige Geschäftsreise vor und besucht die Geliebte in – sagen wir London. Die Tante in London hält Rath mit den beiden unglücklichen jungen Leuten: ‚Mein Gott,‘ sagt sie ihnen endlich, ‚man heirathet sich ja so leicht in London, man braucht nur sechs Wochen in einer Pfarrei gelebt zu haben und nachzuweisen, daß man mündig ist; oder man geht einfach auf’s License-Office und holt sich für ein paar Pfund einen Dispens von allen Förmlichkeiten, dann hat man weiter nichts nöthig, als daß man den Fiaker herbeiwinkt, um zur Kirche zu fahren.‘“
„Aber Helene, – findest Du den Namen gut gewählt? – kann sich wider den ausgesprochenen Willen ihres Vaters, der, wenn auch ein alter Tyrann, doch immer ihr Vater ist, nicht dazu entschließen. Meinst Du nicht auch so?“
„Gut denn … machen wir es so; Helene lehnt den Vorschlag ab, sie bleibt fest, bleibt unerbittlich in diesem Punkt; Hugo – Dein Held heißt doch Hugo? das klingt hübsch – fühlt sich gereizt über dies Widerstreben, nach einer kleinen Scene eilt er von Helenen fort, um zornig in irgend einem stillen entlegenen Winkel eines Parks über die Thatsache nachzudenken, daß von allen unnützen Einrichtungen dieser argen Welt unnütze alte Väter doch die verdrießlichsten sind. Im Parke, auf einer Bank sitzend, findet er eine halb kummervoll, halb gelangweilt aussehende junge Dame, welche durch ihre äußere Erscheinung die Voraussetzung, daß sie der Demi-Monde angehöre, nicht als eine nie erlebte und unerhörte Beleidigung aufnehmen kann. Hugo wagt es darauf hin, sie anzureden, sie antwortet in einer Weise, die ihm in Beziehung auf die Feststellung ihres Standes nichts zu wünschen übrig läßt, sie ist eine Näherin oder Putzarbeiterin ohne Arbeit, und mit der Entschlossenheit eines Mannes, der nur noch in desperaten Schritten Rettung sieht, spricht Hugo zu der besagten Dame:
‚Wo wohnen Sie, Miß?‘
Die Miß giebt ihre Wohnung an, sie wohnt in – sagen wir: Bakerstreet.
‚Im Kirchspiel Marylebone, sehr gut,‘ versetzt Hugo, ‚es vereinfacht die Sache, ich wohne – etwa ‚Cavendishsquare, das liegt im selben Kirchspiel. Würden Sie mir den Gefallen erzeigen und mir gegen eine anständige Belohnung einen kleinen Dienst leisten?‘
‚Worin würde er bestehen?‘ antwortet sie.
‚Sich mit mir trauen zu lassen.‘
‚Mit Ihnen … trauen zu lassen?‘
‚Ich sagte so, Miß.‘
‚Aber ich kenne Sie ja gar nicht!‘
‚Ein nicht ungewöhnlicher Fall bei Leuten, die sich heirathen; das Kennenlernen kommt oft nachher,‘ versetzt er, ‚bei uns würde das Außergewöhnliche nur darin bestehen, daß wir uns auch nachher nicht kennen lernen würden; denn nach der Vollziehung der Ceremonie würde ich die Fortsetzung der Bekanntschaft Ihnen in keiner Weise zumuthen …‘“
„Aber,“ rief hier Alwine aus, „Du sprichst da ja ganz verrückte Dinge aus! Hugo soll die Näherin, oder was sie ist, heirathen und Helenen vielleicht im Zorn, daß sie ihre Kindespflicht nicht verletzen will, sitzen lassen, ihr das Herz brechen?“
„Höre nur weiter, wie ich mir die Sache denke; von Herzbrechen soll gar nicht die Rede sein. Hugo nämlich fährt fort: ‚Um darüber sicher zu sein, daß keine weitere Bekanntschaft einträte, müßte ich mir ausbedingen, daß Sie für die Ceremonie sich gefallen ließen, einen andern Namen zu führen, nur auf eine halbe Stunde … einen deutschen Namen, etwa Helene Starrherz,‘ würdest Du etwas gegen den Namen Starrherz haben?“
„Ach,“ rief die junge Frau aus, „jetzt begreife ich, worauf Du hinaus willst … Der Einfall ist vortrefflich … fahre fort.“
Ernst sah lächelnd in ihre erregten, rosigen Züge. „Ich beginne Dir zu imponiren mit meiner Phantasie.“
„Wahrhaftig, das thust Du, ich hätte so viel gar nicht hinter Dir gesucht … das ist ja ganz einzig … aber weiter, weiter.“
„Weiter sag’ ich Dir nichts, weiß auch nichts mehr. Es ist Dein Werk und Dein muß es bleiben. Ich habe durchaus nicht den Ehrgeiz, Dir den Ruhm der Erfindung streitig zu machen.“
„In der That,“ rief Alwine aufgeregt aus, „das Andere folgt wie von selbst. Hugo verschafft sich Helenens Geburtsschein.“
„Richtig, und ein Zeugniß eines Beamten oder irgend einer competenten Persönlichkeit, daß sowohl er wie Helene sechs Wochen lang im Kirchspiel Marylebone gewohnt haben … mit diesen Documenten versehen geht er mit seiner Näherin zur Kirche, wo der Pfarrer sie traut und der Küster und der Kirchspielschreiber als Zeugen dienen. Der Pfarrer macht dann die Eintragung in’s Kirchenbuch, Hugo läßt sich sofort davon einen Auszug durch den Kirchspielschreiber besorgen und im Besitze dieser wichtigen Urkunde nimmt er Abschied auf Nimmerwiedersehen von seiner Näherin, der er ihre Bereitwilligkeit, ihm diesen Dienst zu leisten, reichlich belohnt.“
„Ganz recht, und dann eilt Hugo zum Vaterlande zurück; er tritt vor den Vater Helenens …“
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 667. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_667.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)