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Seite:Die Gartenlaube (1866) 665.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 43.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Die Doppelcur.
Von Levin Schücking.


Mein Freund Northof ist seit drei Jahren verheirathet. Er hat mir nie gesagt, daß er glücklich mit seiner Frau sei; ich schließe daraus, daß er sehr glücklich mit ihr ist! Und in der That, Beide sind so verschiedene Naturen, daß sie wie für einander geschaffen scheinen. Sie ist reizend, die kleine Frau; weich, hingebend, gläubig, vertrauend und an Allem das Schöne und Gute sehend; sie umkleidet Alles mit der Poesie, die in ihrem Herzen ist.

Northof ist ein scharfblickender, kalt und nüchtern urtheilender Geist; wer ihn nicht näher kennt, findet ihn zu kalt und es giebt Leute, die ihn gemüthlos nennen. Aber das ist er durchaus nicht. Man muß ihn nur näher und länger kennen, um zu erfahren, daß er ein treues, warmes Gemüth hat und daß man fest auf ihn bauen kann. In seinem Wesen ist nur ein gewisser spöttischer Zug und etwas Ablehnendes, etwas Aristokratisches … Leute, welche ihr Herz auf der Hand tragen und es lieben, mit der ganzen Welt auf Du und Du zu stehen, finden das freilich unbehaglich und nennen es abstoßend. Seine Frau, seine blonde, schwärmerisch aus ihren blauen Augen blickende Alwine, weiß aber sicherlich, was sie an diesem festen, ruhig schlagenden Mannesherzen hat. Wenn ich etwas an ihm tadeln soll, so ist es seine zähe Hartnäckigkeit. Wenn er etwas unternommen hat, so will er es durchsetzen; geht es nicht mit den gewöhnlichen Mitteln, ich glaube, er wäre im Stande, zu sehr verzweifelten zu greifen; bei einem Vorhaben zu scheitern, würde ihm ganz unerträglich sein.

Und Eines, hat Alwine mir gesagt, verdrießt sie an ihrem Ernst, das ist, daß er Advocat ist, daß er so schrecklich viel zu thun hat und seinen Acten so viel Zeit zuwendet. Sie begreift nicht, wie man so der Sclave der Arbeit sein kann. Er ist wohlhabend und sie ist es. Kinder sind nicht da. Wozu nur dies ganze Leben der Prosa einer innerlich und geistig so gar nicht fördernden, um die untergeordneten Fragen des Mein und Dein sich drehenden Arbeit opfern, die ihn doch so in Anspruch nimmt, daß er zeitweise für nichts Anderes Gedanken hat und man glauben sollte, es hinge die Welt davon ab, ob ein Obergerichtserkenntniß einem proceßsüchtigen Bauern oder seinem Nachbar, dem Müller, die Beweislast auferlegt?

Er könnte ihr freilich ein wenig mehr Zeit opfern, er könnte ein wenig mehr ihre Interessen theilen, es würde das sie glücklich machen; ich sehe es ja, wie es sie freudig erregt, wenn er ihrem Spiele und ihrem Gesange zuhört – sie hat eine kleine, aber gut geschulte und recht seelenvolle Stimme – und wie sein auf ihr ruhendes Auge dabei ihr Schwung giebt! Aber wenn wir unsere dramatischen Leseabende mit vertheilten Rollen bei ihr haben, läuft er immer davon und vergräbt sich in seine Acten, und nie hat sie ihn dazu bringen können, eine Novelle oder einen Roman, in den sie sich eben mit ihrem ganzen Denken und Fühlen verloren hatte, mit ihr zu lesen. Er bringt’s nun einmal nicht über sich, mehr als drei Seiten davon zu überlaufen, obwohl er sehr lebhaft betheuert, daß er eigentlich sehr gern so etwas lese, daß er als Student mit Eifer die sämmtlichen Erzählungen von Zschokke gelesen, daß sie ihm außerordentlich gefallen haben und daß er sich auch nächstens daran machen wolle, von all’ den neueren Sachen einmal gründlicher Kenntniß zu nehmen … für den Augenblick aber leiden’s die Acten nicht. Und so bleibt sein Bildungsstandpunkt, was das Gebiet der neueren Literatur angeht, der gute alte Vater Zschokke, der alte Aufklärungsdichter, wie Alwine ihn achselzuckend nennt. Dies Alles führte schließlich zu einer kleinen Katastrophe, die auf Beider Leben nicht ohne Einfluß blieb.

Ernst kam neulich sehr verstimmt nach Hause. Es war um die Mittagsstunde. Er fand Alwine an ihrem Schreibtische sitzen, in sehr nachdenklicher Stellung, das Haupt mit den blonden Locken auf den linken Arm stützend, während die Rechte auf ein Blatt Papier, welches mit wenigen Zeilen beschrieben war, Buchstaben malte und Schnörkel zog; als er eintrat, schlug sie wie überrascht die Schreibmappe zu und verschloß diese in den Schreibtisch.

„An wen schreibst Du, mein Kind?“ fragte Ernst mit der Hand über die Stirn fahrend, wie um die Falten derselben zu glätten.

„An Niemand,“ versetzte sie, ein wenig erröthend, „ich notirte mir nur etwas.“

„Einen Gedanken in’s Tagebuch?“

„Nun, vielleicht,“ sagte sie ausweichend und zur Klingelschnur gehend, um das Essen auftragen zu lassen. „Du siehst so ernst aus, lieber Mann, hast Du Verdruß gehabt?“

„Wenn Du willst, ja.“

„Ein Urtheil ist wider Dich ausgefallen?“

„Das nicht … es ist nichts, was mich persönlich angeht; ich war nur in der Lage, für einen Bekannten, der meine Vermittlung erbeten, einem harten, störrischen, tückischen alten Manne, der mich zur Verzweiflung brachte, derb die Wahrheit sagen zu müssen, und dabei bin ich leider mehr in Aerger gerathen, als der alte Bösewicht selbst.“

„Ach, wie kamst Du dazu … was ist das für eine Geschichte?“ fragte Alwine neugierig.

„Die Geschichte,“ versetzte Northof, „ist wunderlich und merkwürdig genug, ein Stück Romantik des wirklichen Lebens …

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 665. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_665.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)