verschiedene: Die Gartenlaube (1864) | |
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Freiheit gerade in der Fremde in vollen Zügen zu genießen hoffte. Wie stolz darum auch der schwarze Cylinderhut auf dem Kopfe des eben erst zum Gesellen Ernannten saß, und wie gravitätisch auch in der rechten Hand des Neulings der Rohrstock mit mächtiger Quaste paradirte, – die Freude an diesen Insignien der Gesellenwürde sollte immer nur von kurzer Dauer sein, denn der Hut überzog sich gar bald mit dem üblichen schwarzen Wachstuche, wie es die Sitte auf der Wanderschaft erforderte, und ebenso wurde der Rohrstock nur zu bald mit dem Wanderstabe, d. h. mit dem Knotenstocke, vertauscht.
Du Knotenstock! Du oft einziger treuer Gefährte des Wanderburschen in den Tagen der Freude wie des Leids! Wie bist du in diesen modernen Tagen durch allerlei naseweises, unsolides und phantastisches Volk von Reisestöcken in so tiefes Vergessen gesunken! Wie warst du einst als theures Familienstück, das vom Vater auf den Sohn und vom Sohn auf den Enkel forterbte, hoch in Ehren gehalten, und wie freudig schlug dir das Herz, wenn du nach oft nur zu langem Ausruhen von deinem wohlbewahrten Ehrenplatze wieder herabstiegst und dein von Staub und Spinneweben umzogenes Kleid gereinigt wurde, daß du über Berg und Thal in trunkener Lust die Frische des Wanderlebens wieder einsogest wie in den Tagen deiner Jugend! – Und ein solider Stock war dieser Knotenstock! Langsam und stetig war er in die Höhe gewachsen aus festem Wachholderholz, fast unzählbar waren seine schönen Knoten und die neben diesen eingeschlagenen Nägel, die als blitzende Augen nach allen Seiten ausschauten, um den Handwerksburschen rechtzeitig vor jeder Gefahr zu warnen; sein mit Eisen beschlagener Fuß gewährte in allerlei Noth und Anfechtung eine zuverlässige Stütze. Kein Wunder also, wenn der Wanderbursch seinen treuen Begleiter fest an der Hand nahm, die sich ihm in der Gestalt eines langen Riemens darbot, und ihn, wenn Beide müde Abends in einem Orte einwanderten, aus Dankbarkeit sanft hinter sich nachzog.
Nächst dem Knotenstocke stand die mit langer Spitze und mächtigen Troddeln versehene Tabakspfeife mit unserem Wanderburschen im intimsten Verkehre. Nicht nur „auf der Walze“, d. h. auf der Straße, sondern auch am Abende in der Werkstätte und auf der Herberge verscheuchten ihm ihre Wolken gar manchen Unmuth und erhöhten ihm den Genuß manch traulichen Stündchens. Zudem hatte er als Geselle mit hoher polizeilicher Erlaubniß das Recht, eine Pfeife mit Anstand zu rauchen, und die Berliner Professoren Kranichfeld und Virchow hatten sich damals mit ihren Verketzerungen der „nicotinfreien“ Tabaksblätter noch nicht hervorgewagt. – Zu den übrigen Ausrüstungsgegenständen des Wanderburschen gehörte der lederne Tabaksbeutel, welcher auf der linken Brust getragen wurde, und eine in Weidengeflecht oder auch in einem ledernen Futterale geborgene „Schnapsbulle,“ welche an der anderen Seite der Brust herabhing. Außerdem blickte, an einer langen Schnur befestigt, unter dem linken Rockschooß ein blechernes Behältniß hervor, welches das Wanderbuch und zuweilen auch eine Landkarte barg. Dieses blecherne Behältniß war für die Handwerksburschen der eherne Schild, an welchem die Pfeile der reitenden und Fuß-Gensdarmerie abprallten.
Kleider, Wäsche, Arbeitszeug und dergleichen nahm das Felleisen oder die „Raupe“ auf, an deren Stelle indessen bei gewissen Zünften das „Bündel“ oder die „Wurst“ trat. Der sogenannte Berliner, d. h. eine mäßig große Rolle, welche den kleineren Theil der Kleidungsstücke des Handwerksbnrschen enthielt und über der linken Achsel zu tragen war, ist erst in späterer Zeit in Aufnahme gekommen, als man hie und da anfing, die alten Gebräuche des Handwerksburschenwesens theilweise zu verlassen und der Bequemlichkeit halber den übrigen Theil der Reiseeffecten in einem Kofferchen durch die Post nachkommen ließ. Wie auf dem Felleisen, so waren auch über dem mit Hülfe eines Nebengesellen schön und fest geschnürten Bündel zwei Paar Stiefeln sichtbar, deren Absätze sich nach außen richteten, während die kleine Schmierbüchse, mehrere Bürsten und andere kleine Utensilien an den Seiten des Tornisters untergebracht wurden. Ein wohlausgestattetes Felleisen wog nicht selten gegen einen halben Centner. Daher kam es, daß der Handwerksbursch seinen Tornister zuweilen auf einem kleinen eisernen Gestelle fuhr, wobei er allerdings von Brücken-, Straßen- und Pflasterzoll befreit war. Am schwersten hatten die Schuhmacher zu tragen, da das Gewicht des von ihnen auf die Wanderschaft mitzunehmenden Handwerkszeuges zehn bis zwölf Pfund betrug. Weniger schwer – und dies mit vollem Rechte – war der Schneider belastet, obschon seine „bekleidungs-akademischen Hülfsmittel“ – wie man heute zu Tage schicklicherweise wohl sagen muß – blos aus Metall bestanden; sein Handwerkszeug wurde nämlich repräsentirt durch eine Scheere, einige Nadeln und den Nähring. Auch die Buchbinder gehörten in dieser Hinsicht zum leichten Fußvolk: sie führten nur das Falzbein, den Heftstift, die Heftnadel und das Schärfmesser mit sich. Diejenigen Zünfte, welche kein Handwerkszeug auf die Wanderschaft mitzunehmen brauchten, wie z. B. die Tuchmacher, die Färber, die Seifensieder, die Weber etc., hatten in die fremde Werkstelle doch wenigstens eine Arbeitsschürze, bezüglich ein Schurzfell mitzubringen. Doch machten die Sattler auch hiervon eine Ausnahme. Die Bauhandwerker bekamen in jeder Stadt, wo sie Arbeit nahmen, das Handwerkszeug gegen einen billigen Miethzins geliehen. Die Färber führten häufig ein Buch in Quartformat bei sich, in welches allerlei erprobte Färberecepte verzeichnet und Tuch- und Garnproben eingelegt wurden.
Zur vollständigen Ausrüstung des Handwerksburschen gehörte endlich auch das Reisegeld. Wenn die Entdeckung, mit wie wenig Verstand oft ein Land oder ein Ländchen regiert wird, einst großes Aufsehen erregt hat, so würde die Ueberraschung noch viel größer sein, wenn wir – alle Rücksichten bei Seite setzend – verrathen wollten, mit wie wenig Reisegeld oft ein Handwerksbursch durch alle deutschen Reichsgebiete hindurchzukommen wußte. In der That war das Reisegeld dem Wanderburschen oft sehr knapp zugemessen, weshalb schon der Lehrling die hie und da abfallenden Trinkgelder für die Zukunft sparen mußte. Wir begreifen darum auch die Entrüstung jenes Prager Schusterlehrlings, welcher jeden ersparten Kreuzer einem öffentlichen Standbilde des heiligen Nepomuk zum Aufheben übergeben hatte und schließlich, als er seine Wanderschaft antreten wollte und sich sein Geld zurück erbat, nicht einen Heller wiederbekam; wir theilen – sage ich – die Entrüstung des Armen, wenn er in die Zornesworte ausbrach: „Du heiliger Nepomuk bist ein ebenso gemeiner Spitzbube, wie die anderen Spitzbuben auch!“
Wohl müssen wir gestehen, daß der Handwerksbursch rücksichtlich der Lebensbedürfnisse von Haus aus meist nicht eben verwöhnt war und daß er, noch jung und den ungewohnten Dingen auf der Wanderschaft sich unschwer anbequemend, trotz mancher Widerwärtigkeiten frischen leichten Sinnes fröhlich seine Straße zog, ohne sich um den folgenden Tag weiter Sorge zu machen. Dennoch läßt sich nicht verkennen, daß das Wanderleben im Gegensatz zur Heimath auch seine Schattenseiten bot. Es war nicht nur der Wechsel des Klimas, es war die ganze veränderte Lebensweise im Essen und Trinken und Schlafen, es waren die Unbilden und Wechselfälle des Wetters und der Jahreszeiten, welche auf den körperlichen und geistigen Zustand des jungen Handwerksburschen einen nicht geringen Einfluß ausübten. Man denke sich ferner in die Lage eines Wanderburschen, der bei großer Geschäftsstockung seines Gewerbes vielleicht ein halbes Jahr „laufen“ mußte, ehe er Arbeit bekam. Da wurde das Felleisen oder das Bündel von Woche zu Woche leichter, Kleider und Wäsche wurden zu Fetzen; zum Besohlen der Stiefeln fehlte das Geld, trotz Regen, Schnee und Eis ging es auf dem „Deutschen“, d. h. barfuß oder in Stiefeln, denen der letzte Rest von Sohle abhanden gekommen war.
Durchnäßt bis auf die Haut legte sich der arme Handwerksbursch am Abende im Wirthshause mit triefenden Kleidern auf ein Bündel Stroh, an warmes Essen war natürlich ebenfalls nicht zu denken; denn das oft sauer verdiente und gesparte Geld war mit dem letzten Mutterpfennig, der in den Rock oder auch in einen Gurt eingenäht war und im letzteren Falle um den bloßen Leib getragen wurde, längst verausgabt. Das einzige, letzte Hemd wurde schon seit Wochen ununterbrochen auf dem Leibe getragen. Trotz aller Vorsicht nahm der „abgerissene“ Wanderer unversehens aus einer schmutzigen Herberge oder einem unreinlichen Wirthshause ein Volk abscheulicher und entsetzlich lästiger Sechsfüßler mit sich. Wie warst du da willkommen, du murmelnder frischer Quell in dem von der Hauptstraße abseits liegenden stillen Thale! Da wurde gewaschen und gebadet, und an den Zweigen der Weiden hingen die weißen Gewänder zum Trocknen, und daneben am sonnigen Rain lag unser Wanderbursch mit anderen Leidensgefährten derselben Art lang ausgestreckt – auch von dem Letzten entblößt! In solcher Lage hat gar mancher Bursch wehmüthig an das Vaterhaus gedacht und unwillkommene Gelegenheit gehabt, über Heimath und Fremde im Stillen Betrachtungen anzustellen.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_698.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)