Verschiedene: Die Gartenlaube (1858) | |
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inhaltschweren Worte: „Nix deutsch!“ So bildete sich auch Caroline aus dem mitgebrachten, undeutschen „Mama“ und dem hier bald gelernten „deutsch“ ihr erstes uns verständliches Wort „Deutsch-Mama!“
Aber welch bewunderungswürdige Energie, Consequenz, Willenskraft, Selbstbeherrschung und Verstellungskunst gehörte dazu, ein ganzes Jahr hindurch in den verschiedensten, zum Theil peinlichsten Situationen stumm zu bleiben! Denn ein Jahr war gerade seit ihrer Hierherkunft verflossen, als ihr Unterricht begann.
Herrn Eck’s erste und nächste Aufgabe konnte nicht zweifelhaft sein: Caroline mußte vor allen Dingen deutsch lernen; und um dies zu ermöglichen, mußte zwischen Lehrer und Schülerin vor Allem ein Medium der Verständigung geschaffen werden. Eck betrat nach dem bekannten pädagogischen Grundsatz von Pestalozzi: „Aller Unterricht ist auf Anschauung zu begründen,“ im vollsten und strengsten Sinne des Wortes den Weg der Anschauung mit ihr. Und nun ist es von fast komischer Wirkung, sich von ihm beschreiben zu lassen, welch Mühe und welchen Aufwand von Mitteln der wackere Mann in der ersten Unterrichtsstunde darauf verwendete, ihr nur z. B. klar zu machen, daß das Ding vor ihr mit vier Beinen und einer Platte darauf „Tisch“ heiße – und nicht blos „Tisch“ heiße, sondern auch ein Tisch sei! Bedenkt man, daß sie das Alles so gut wie ihr Lehrer selber wußte, so kann man sich eines unwillkürlichen Lachens nicht erwehren, und begreift nur nicht, daß es Carolinen beim Unterricht nicht oft ebenso erging!
Wer mochte aber auch nur an die Möglichkeit einer Verstellung denken, wo, wie hier, ein seiner Erscheinung nach nicht eben intelligentes Mädchen es über sich vermochte, zwölf Monate hindurch in ihrer Muttersprache das unverbrüchlichste Schweigen zu beobachten, sich nie, aber auch nie ein deutsches Wort entschlüpfen zu lassen, während ihre reichlich fließenden Thränen zu bekunden schienen, wie entsetzlich es für sie sei, sich nicht mittheilen zu können, schweigen zu müssen! Wer mochte an eine Verstellung denken, als nun langsam und allmählich die deutsche Sprache in ihr aufzudämmern schien, und sie in derselben, anfangs nur sehr mühsam und mit sichtlicher Zungenbeschwerde, zu lallen begann! Dazu kam noch, daß dieselbe, nachdem sie im Sprechen einige Fortschritte gemacht hatte, wie ein Kind flectirte, conjugirte und construirte, wofür schon die Eck’sche Broschüre einige interessante Belege bringt. Und auch hierin ist sie sich stets treu geblieben und hat sprachlich ihrer fingirten Entwickelung nie vorgegriffen. Das Weglassen der kleinen Partikeln: daß, um, zu, da etc. („Ich will nicht, gute Menschen für mich Geld geben“); die syntaktisch fehlerhafte Stellung des Prädicats zum Object und die Setzung des Infinitivs für die betreffende Person („Ich nicht denken können, so viele Menschen geben auf der Welt“); das öftere Wiederholen eines Substantivs, statt ein Pronomen dafür eintreten zu lassen; die Weglassung des Augments „ge“ im Particip der Vergangenheit („ich habe dacht“ [gedacht]), – dies Alles bekundete eine theils so kindlich-naive, theils so durchaus undeutsche Behandlung der Sprache, und dazu waren ihre sprachlichen Irrthümer philologisch, psychologisch und philosophisch so tief im Wesen der Sache begründet, daß ein Betrug hierbei kaum zu denken, geschweige denn auszuführen möglich schien.
Johanna Kinkel.[1] Wir versuchen, ihr einen würdigen Todtenkranz auf das Grab in fremder Erde zu legen, und werden deshalb unsern Lesern Biographie, Nekrolog und Portrait, sobald sie vollendet sind, liefern. Damit wird sich’s zugleich kund geben, daß sie zwar in ein fremdes Grab stürzte, aber als ein deutsches Weib im edelsten und höchsten Sinne lebte und leben wird. Sie war und blieb auf dem „Eilande, das uns Schutz und Glück verlieh,“ als Gattin, Mutter und hochverehrte, geliebte Meisterin und Lehrerin deutscher Klänge und Lieder, eine der in Herz und Geist reichsten und edelsten deutschen Frauen. Die Strophen ihres Mannes, in England als Einleitung zu seinem in Hannover erschienenen „Nimrod“ gedichtet, waren aus ihrem Herzen geschrieben:
„O Heimath, die statt Bürgerkronen
Du Wunden gabst und Ketten schufst,
Wir werden nichts von Dir begehren,
Bis selbst Du unsre Stärke rufst.
Und doch, ob Du uns rauh vertrieben
Aus Deinem lebenswarmen Schooß,
Wir werden ewig, ewig lieben
Dich deutsche Mutter, schön und groß.
und weiter:
Was wir im fremden Lande schaffen,
Es ward von Deinem Mark genährt;
Du schmiedest unsres Geistes Waffen
Auf Deinem ewig wachen Heerd.
Uns stärkt zur Abendfeierstunde
Des deutschen Freundes tiefes Wort,
Und hell aus unsrer Kinder Munde
Klingt deutsches Lied uns fort und fort.“
Sie rettete ihn bekanntlich hinter Eisengittern hervor. Zwei der weichsten und doch heldenmüthigsten deutschen Frauen, sie und die Baronin von Briningk, die alle ihre reiche Habe und sich selbst dem Elende der Verbannten opferte und dann, des Nothwendigsten entbehrend, vor einigen Jahren in London starb, retteten ihn. Er wäre jetzt lebendig vermodert, ohne sie! Sie retteten ihn auf einen Schauplatz von Wirksamkeit, auf welchem er mit ihr zur Anerkennung und Ehre deutschen Lebens und Strebens, deutscher Kunst und Wissenschaft nun Jahre lang gearbeitet wie ein wahrhafter Held, sie wie eine echte Heldin, so daß Jeder, der in England von deutscher Ehre, Bildung, Wissenschaft und Anmuth spricht, auf Kinkel und seine Frau hinweist. Sie haben in England mehr für die Ehre Deutschlands gewirkt, als Deutschland ihnen je vergelten kann.
Ihre Wirksamkeit hat sich weit unter den höheren, gebildetsten Classen Englands ausgebreitet, und füllte fast alle Tage vom frühen Morgen bis in die späte Nacht aus. Sie ließ den Töchtern Englands besonders ihre musikalische Bildung und ihre Meisterschaft im Vortrage zu Gute kommen. Er gewann noch immer Zeit, die Deutschen in London, hier reiche Kaufleute, dort arme Arbeiter mit deutscher Welt-, Literatur- und Kunstgeschichte als Deutsche vom deutschen Mark zu nähren. Er war eben vorbereitet, einen neuen Cyclus von Vorträgen zu beginnen, als eines trüben, drückenden, dicknebeligen Novembermorgens ein Dienstbote athemlos und bleich in sein Zimmer gestürzt kam, und unverständliche Worte ausstieß. Kinkel hatte eine halbe Stunde vorher seine Frau ganz wohl und heiter verlassen, um ihr Ordnen und Arrangiren in einer Kommode des obersten Hinterzimmers allein zu überlassen. Er folgte dem bleichen, verstörten Mädchen die Treppe hinunter auf den mit Trottoir gepflasterten Hof, wo seine geliebte Johanna bewußtlos hingestreckt lag. In der Meinung, daß sie ohnmächtig geworden, hob er sie mit seinen starken Armen auf und fand sie leblos, mit zerschmettertem Rückgrate.
Sie war aus dem obersten Zimmer durch’s Fenster, das beinahe bis auf den Boden reichte, erst auf ein scharfkantiges Schieferdach der Waschküche und von da auf die Steinquadern des Hofes gestürzt, augenblicklich todt.
Ein physisches Herzübel, gewöhnlich Herzerweiterung genannt, verursachte ihr öfter Beklemmungen, Herz-Congestionen, gegen welche sie Linderung zu suchen und zu finden pflegte, indem sie rasch nach einem Fenster eilte und es öffnete. Sonach ergibt sich als das Wahrscheinlichste, daß sie beim Arrangiren in der Wäschkommode von einer solchen Congestion beengt, rasch an das Fenster geeilt, es rasch aufgeschoben, dabei das Gleichgewicht verloren und so ihren schnellen, entsetzlichen Tod gefunden habe.
Dahin vereinigte sich auch das Todtengericht, das auf „accidental death“ (Tod durch einen unglücklichen Zufall) erkannte. Der „Coroner“ oder Vorsitzende der Leichenbeschauer hielt dabei eine lange Rede, in welcher er von 40 ihm kurz hintereinander zur Erkenntniß zugekommenen Todesfällen sprach, an denen allen die unverantwortliche Bauart und Baufälligkeit englischer Häuser die Schuld trage.
Kinkel’s Haus, im vornehmen Westen Londons, gehört zu einer langen Reihe der stattlichsten Häuser. Aber diese bis beinahe zur Erde reichenden, leichten Schiebfenster, die nicht geöffnet, sondern in zwei Hälften nur in die Höhe oder herunter geschoben werden können, waren nach dem Urtheil des Coroners eine Schande und Schmach für den Erbauer, da jedes geöffnete Fenster einem hohen Ballone ohne Schutzgitter gleiche. Auch kämen jährlich Hunderte beim Putzen derselben um, da man sich zu diesem Zweck außen auf das Sims wagen und an die nur leicht befestigten Schieber halten müsse. Letztere geben oft nach und die unglückliche Dienstmagd stürzt mit einer Hälfte des Fensters herunter auf Quadersteine, nicht selten auch auf das unvermeidliche Eisengitter vor dem Hause.
Wir haben auf diese Umstände aufmerksam gemacht, um den mancherlei Gerüchten über den entsetzlichen Tod der edeln deutschen Frau, Heldin und Märtyrerin einigen Halt zu bieten.
Sie ist nicht todt, sie lebt fort in ihren Werken, in ihren Thaten, in ihren Kindern, in dem Andenken der Edelsten des deutschen Volks.
Wir haben nun hier drei der edelsten deutschen Frauen, Mütter und Märtyrerinnen zu einem Grabe in fremder, kalter Erde begleitet: die Baronin von Briningk, die Herzogin von Orleans und Johanna Kinkel.
O „deutsche Mutter, schön und groß“, wein’ ihnen eine heiße, schmerzglühende Thräne! Sie verdienen es. Glaub’ es mir, die fremde Erde ist so kalt, so kalt, so schwer. Männerherzen verkommen auf ihr und deine edelsten Töchter sterben. Hätten wir sie wenigstens unter heimathlichen Rasen betten können! Die heimathliche Erde ist so warm, so leicht. Auf ihr stand unsere Wiege, auf ihr wird Deutsch gesprochen. In ihr möchte unsere abgemüdete Hülle ruhen.
Wein’ ihnen eine heiße Thräne, eine schmerzlichere Dir – Mutter.
- ↑ Die geniale Frau des bekannten Dichters und Flüchtlings stürzte sich bekanntlich vor circa acht Tagen in einem Anfalle von Herz-Congestionen aus dem Fenster mehre Stock hoch herab auf das Pflaster. D. Red.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 712. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_712.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)