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Der Larvenzustand

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Emil Adolf Roßmäßler
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Titel: Der Larvenzustand
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 211-212
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Teil 22 der Artikelreihe Aus der Menschenheimath.
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Bearbeitungsstand
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[211]
Aus der Menschenheimath.
Briefe des Schulmeisters emerit. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Zweiundzwanzigster Brief.
Die Insektenverwandlung. 2. Der Larvenzustand.

Auch die Natur hat ihren Fasching, und natürlich sind die Insekten die Faschingsnarren; die Insekten, an denen die Natur allen ihren Launen und Phantasien den freiesten Spielraum gegönnt hat; in denen sie ihren staunenerregenden Erfindungsgeist, ihren bewunderungswürdigen Geschmack wie ihre Caprice im Bilden des Häßlichsten und Bizarrsten erschöpfte.

Es sind außer den Insekten nur noch sehr wenige Thiergruppen, von denen man nicht sagen darf: wenn sie aus dem Ei geschlüpft oder als lebendige Junge geboren sind, so sind sie die mehr oder weniger ähnlichen kleinen Ebenbilder ihrer Aeltern. Der kleine Fisch, die junge Schlange, das Küchlein der Henne, das junge Säugethier, junge Krebse, Spinnen, Blutegel, Schnecken, Muscheln – alle gleichen im Wesentlichen ihrer Form und Theile ihren Aeltern.

Welcherlei Aehnlichkeit besteht aber zwischen der Raupe und dem Schmetterlinge – dem Engerlinge und dem Maikäfer – der Käsemade und der zierlichen daraus werdenden Fliege? Das sind doch in Wahrheit echte Verlarvungen! Und wenn wir dahinter die wahre Person erkennen, wenn wir in der schönen, mit dem rothen schwarzspitzigen Horne auf dem letzten Leibesringel versehenen Raupe den noch schöneren Wolfsmilchschwärmer erkennen, so wissen wir es blos, weil wir als Knaben es gesehen haben, wie sich dieselbe demaskirte.

Sieht auch das kleine struppige Ding, die junge Taube, mit dem wolligen Flaum und den federlosen Flügeln seiner schlanken, kühnbeschwingten Mutter sehr wenig gleich, so findet doch, bis dies der Fall ist, nur eine ununterbrochene Reihe sehr allmäliger Umänderungen statt, in welchen kein plötzlicher Uebergang, kein Sprung von einer Form zur andern vorkommt.

Bei den Insekten werden wir diesen Sprung im Puppenzustande kennen lernen, oder Du kennst ihn vielmehr schon längst; wenn Du auch vielleicht noch nicht darüber nachgedacht haben solltest, welch ein gewaltiger Sprung es eben ist.

Ich habe Dir schon früher gesagt, daß nicht alle Insekten eine Verwandlung haben, was ungefähr eben so viel heißt, als daß nicht alle Insekten als Larven der Gestalt nach von ihrem vollkommenen Zustande ganz verschieden sind. Bei den Insekten ohne Verwandlung, beruht der Unterschied der Larve von der Fliege – Fliegen nennt man nämlich alle Insekten in ihrem vollkommenen Zustande gegenüber ihren Larven und Puppen, weil bei weitem die meisten Insekten im Fliegenzustande fliegen können – oft blos in dem Mangel der Flügel, abgesehen von ihrer geringeren Größe. Solche verwandlungslose Insekten sind die Ordnungen der Heuschrecken und Wanzen ohne Ausnahme und die der Libellen mit einigen Ausnahmen. Du erkennst in Fig. 9 leicht eine flügellose Heuschrecke, eine Larve. Fig. 10 ist eine Libellenlarve, welche eine höchst sonderbare versteckte Waffe hat, die wir in meinem folgenden Briefe kennen lernen werden, wo wir ihre Puppe sehen, welche die Waffe noch hat.

Ehe ich Dir von den übrigen Figuren meiner heutigen Zeichnung Einiges erzähle, welche sämmtlich Larven von solchen Insekten darstellen, welche eine Verwandlung haben, muß ich einige Worte über den Larvenzustand im Allgemeinen vorausschicken.

Er ist durchaus ein Vorbereitungszustand, in welchem die Ernährung alle übrigen Lebensthätigkeiten so sehr überwiegt, daß man ihn geradezu einen Ernährungszustand nennen könnte. Viele Larven, namentlich die der sich verwandelnden Insekten, nehmen eine unglaublich große Menge Nahrung zu sich; manche fressen täglich das Zwanzig-, ja das Hundertfache ihres Körpergewichts. Darum werden uns auch die meisten schädlichen Insekten vorzugsweise als Larven schädlich. Meist haben sie auch demgemäß ein reißend schnelles Wachsthum; in wenig mehr als drei Wochen wächst die Seidenraupe wohl um das Hundertfache ihres Umfanges und Gewichts. Indem ihre Haut nicht gleichen Schrittes mitwächst, kann man fast alles Ernstes sagen, daß ihnen ihre Haut zu enge wie dem wachsenden Knaben sein Röckchen zu klein wird. Die alte Haut platzt dann und wird abgestreift. Solcher Häutungen finden sich bei den verschiedenen Insektenlarven regelmäßig bald mehr, bald wenigere, und zwar bis zehn.

Keine geringe Sonderbarkeit der Insektenlarven, und zwar der Insekten mit und ohne Verwandlung, ist es, daß sie stets geschlechtslos sind. Nur zuweilen kann man durch die Größe, nicht aber durch die ihnen eben noch mangelnden Fortpflanzungsorgane, das Geschlecht unterscheiden. Du kannst es keiner Raupe ansehen, ob daraus ein weiblicher oder ein männlicher Schmetterling werden wird.

Im August findet man zuweilen in Schonungen die Birkenbüsche an der Spitze entlaubt und wenn man hinzutritt, sieht man eben nur blattlose Zweige. Sieh aber nur näher hin und betrachte Dir die kurzen Aestchen genauer. Es sind die Raupen des Birkenspanners, Geometria betularia. Als sie das Geräusch Deiner Tritte vernahmen, streckten sie sich alle steif vom Zweige ab, indem sie nur mit den hintersten zwei Afterfußpaaren, deren sie überhaupt stets nur zwei Paare haben, sich fest klammerten. Fig. 1 stellt eine solche Raupe dar, welche sich geschwind in ein steifes knotiges Aestchen metamorphosirt hat, um ihre Verfolger zu täuschen. Ihre Farbe, der der Rinde der Zweige gleich, und einige Knötchen auf ihrem Leibe kommen ihr dabei trefflich zu statten.

[212] Fig. 2 ist eine Afterraupe. So nennt man wegen ihrer Aehnlichkeit mit den wahren Raupen, den Larven der Schmetterlinge, die Larven der sogenannten Blattwespen, Tenthredo, welche eine große Abtheilung der wespenartigen Insekten oder Hymenopteren bilden. Viele davon werden uns schädlich. Die Afterraupen haben außer den drei Paaren der gegliederten eigentlichen Insektenfüße noch acht Paare häutiger Larven- oder Afterfüße, während die echten Raupen, deren nie mehr als höchstens fünf Paare haben. Daran kann man trotz der zuweilen sehr großen Aehnlichkeit die Afterraupen stets sicher von den Schmetterlingsraupen unterscheiden. Viele leben gesellig, z. B. die so schädliche Kiefer-Afterraupe. Wenn man eine Gesellschaft dieser stört, so nehmen sie alle eine drohende Stellung an und treiben einen dunkelgrünen Saft aus dem Maule.

Linné sagte, die Nachkommen Einer Fleischfliege würden schneller ein Pferd aufzehren, als ein Löwe. Fig. 3 stellt uns eine ausgewachsene, nur wenig vergrößerte Larve dieses allem Fleische nachstellenden Thieres vor. Die Wissenschaft nennt wie die Volkssprache wurmförmige, fußlose Insektenlarven Maden. Du erkennst also auch in Fig. 4 eine Made. Es ist die Larve der Biene, welche noch keine Ahnung von dem Fleiße und der Geschicklichkeit hat, welche ihr im Fliegenzustande eigen sein wird, vorausgesetzt, daß es eine Arbeiterlarve ist; denn bekanntlich arbeiten die Weisel und Drohnen (Männchen) nicht.

Wenn die Saatraben in ihrer schwarzen Robe gravitätisch hinter dem Ackersmann in der frisch gezogenen Furche einherstolziren, so suchen sie nicht sowohl Körner als vielmehr die Larven der Maikäfer, die Engerlinge, und andere Insektenlarven auf. Fig. 5 ist dieser bekannte Erbfeind der Landwirthe, der Engerling oder die Ackermade, aus welchem der Maikäfer wird, nachdem er diese unterirdische Maskerade fast volle vier Jahre gespielt hatte. Am großen plumpen Leibe sehen wir nur die drei Insektenfußpaare, welche nicht ausreichen, demselben das Gehen zu ermöglichen. Daher liegt der Engerling, aus seinem Versteck gezogen, hülflos und gekrümmt auf der Seite.

Die Fische im Wasser sind vor den Insekten so wenig sicher, wie die Wurzel im Erdboden. Du siehst an der Fig. 6 abgebildeten Larve eines großen stahlgrünen Wasserkäfers, eines Dytiscus, daß sie große sichelförmige Beißzangen hat, mit denen diese, immer im Wasser umherschweifende, Larve kleine Fischchen und andere Wasserthiere fängt und dann mit nimmer befriedigter Gefräßigkeit verzehrt. Die beiden federförmigen Anhängsel am Ende des Hinterleibes dienen ihr beim Athmen. Ist sie dann zum Käfer geworden, so setzt dieser zwar die Lebensgewohnheiten der Larve fort; aber Nachts verläßt er die Gesellschaft der Fische und mischt sich in die Schwärme der Fledermäuse und Eulen.

Figur 7 möge Dich daran erinnern, nun nach überstandenem Winter Deinen Pelz vor den Motten in Sicherheit zu bringen. Du siehst ein Räupchen und daneben einige Hüllen, die sie sich aus Haaren und Wolle weben und immer mit sich herumschleppen. Daß ein Schmetterling, freilich ein sehr kleiner, daraus wird, ist Dir bekannt. Da man ihn gleichwohl selten zu Gesicht bekommt, so will ich Dir ihn auf dem Bilde zu meinem Briefe über den Fliegenzustand darstellen.

Wenn Du im hohen Sommer in Bächen und Teichen Dich umsehen willst, so findest Du auf dem Grunde derselben ein Völkchen fleißiger und erfinderischer Arbeiter, deren einen Dir Fig. 8 zeigt. Es sind die Köcherjungfern, Phryganes, so genannt, weil sie in die Ordnung der Seejungfern oder Neuropteren gehören und sich als Larven ein köcherartiges Gehäuse bauen, was sie immer mit sich herumschleppen. Mit Seidenfäden spinnen sie Steinchen, Holzstückchen, Blattabschnitzel, Sandkörner, kleine Schneckenschaalen kunstvoll zu einer Röhre zusammen, die sie innen noch mit weicher Seide austapeziren. Dabei wählen sie aber ihren Stoff nicht willkürlich, sondern jede Art verwendet dazu immer eine bestimmte Art von Baumaterial; so daß man schon nach der Art desselben und nach der Form des Köchers auf die Art der Phryganea schließen kann. Eine derselben kann man die Erfinderin des Steuerruders nennen, indem sie am Ende ihres breiten, einem Floß ähnlichen Gehäuses immer eine Kiefernnadel anheftet.

Die Fig. 9 und 10 dargestellten Larven kennen wir schon. Auch in Fig. 11 erkennst Du eine bekannte Raupe, die des Baumweißlings, Pontia Crataegi, welche uns in unsern Obstgärten gar großen Schaden thut. Beachte, daß sie sich hinter dem vierten Leibesringel durch einen feinen, aber festen Seidengurt an dem Zweige festgebunden hat. In meinem folgenden Briefe sollst Du erfahren, wozu sie dies gethan hat.