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Der Künstler auf dem Anstand

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor:
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Titel: Der Künstler auf dem Anstand
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 289
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[275]

Der Künstler auf dem Anstand.
Von C. Koch.

[289] Der Künstler auf dem Anstand. (Mit Abbildung S. 275.) Es giebt sehr viele Leute, welche des Glaubens leben, der echte, rechte Meister des Pinsels müsse seine Gestaltungen mit Leichtigkeit aus seiner Phantasie schöpfen können und nur die mangelhafte Begabung nöthige dazu, das Modell, die Natur zu Hülfe zu nehmen. Wenn man in richtiger Kenntniß der Verhältnisse versichert, daß gerade unsere gediegensten Meister mit peinlicher Gewissenhaftigkeit der Natur bis in die Kleiderfalten nacharbeiten, wird man selten Ausrufen der Verwunderung und dem Achselzucken des Zweifels entgehen. Und doch ist es so, und es sind in Wahrheit nicht blos die Jungen, welche alljährlich in der schönen Wanderzeit des Sommers ihre Künstlerfahrten antreten und „Studien“ machen; jene so charakteristischen Typen welche auf den Bildern eines Knaus, Defregger etc. unsere volle Theilnahme fesseln, sie sind erst recht der Natur abgelauscht fast mit jedem Zuge, und eben darum wirken sie so sprechend und „echt“. -

Aus der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sind nur von wenigen Meistern Werke des Stifts und Pinsels überliefert, welche heute noch für den guten Geschmack der vollen Bewunderung werth sind, und das sind Arbeiten gerade solcher Meister, welche die Rousseausche Predigt von der Rückkehr zur Natur auf die Kunst angewendet haben. Aus diesen Bildern muthet uns dafür auch der Geist jener Periode des Uebergangs aus der Rococo-Welt mit einer Frische und Unmittelbarkeit an, daß eine culturgeschichtliche Feder durch ganze Bände nicht im Stande wäre, uns so in das unmittelbare, gefühlsmäßige Verständniß dieser Zeit zu versetzen, wie das aufmerksame Betrachten von wenigen jener charakteristischen Bilder.

Und wer ist nun der Meister mit dem feingeistigen Antlitz, welcher auf unserer ersten Illustration, das Skizzenbuch in der einen, den Stift in der anderen Hand, „Studien nach der Natur macht“? Vielleicht erinnern sich unsere Leser noch eines Aufsatzes in Nr. 5 des Jahrgangs 1874 der „Gartenlaube“, der unter der Ueberschrift „Vom Gewürzkrämer zum Künstler“ das Lebensbild dieses Mannes gegeben: es ist Daniel Chodowiecki, der gefeiertste Illustrator unserer classischen Literaturperiode, den wir dem Leser gern noch einmal inmitten von Gestalten der Haarbeutel-Zeit vorführen. Da steht er, wie der Jäger auf dem Anstand seine Ausbeute aus dem verborgenen Hinterhalt gewinnend, während die ahnungslosen Opfer in voller Ungezwungenheit die Lust eines ländlichen Festes athmen. Blut fließt nicht bei diesem friedlichen Lauern auf dem Anstande; vielleicht merken diejenigen, auf welche die Blitze der scharfen Maleraugen zielen, nicht einmal etwas davon, wie sie – getroffen werden. Und das werden sie bestimmt; denn der rechte Maler verfügt, wie der rechte Schütze über das, was zum Treffen hilft: über das sichere Auge und die sichere Hand!