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Aschenputtel (1819)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Brüder Grimm
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Titel: Aschenputtel
Untertitel:
aus: Kinder- und Haus-Märchen Band 1, Große Ausgabe.
S. 114-123
Herausgeber:
Auflage: 2. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1819
Verlag: G. Reimer
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
seit 1812: KHM 21
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Bearbeitungsstand
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Begriffsklärung Andere Ausgaben unter diesem Titel siehe unter: Aschenputtel.


[114]
21.

Aschenputtel.

Einem reichen Mann wurde seine Frau krank und als sie fühlte, daß ihr Ende heran kam, rief sie ihr einziges Töchterlein zu sich ans Bett und sprach: „bleib fromm und gut, so wird dir der liebe Gott immer beistehen und ich will vom Himmel herab auf dich blicken und um dich seyn.“ Darauf that sie die Augen zu und verschied. Das Mädchen ging jeden Tag hinaus auf ihr Grab, und weinte und blieb fromm und gut. Der Schnee aber deckte ein weißes Tüchlein auf das Grab, und als die Sonne es wieder herabgezogen hatte, nahm sich der Mann eine andere Frau.

Die Frau hatte zwei Töchter, die sie mit ins Haus brachte, und die schön und weiß von Angesicht waren, aber garstig und schwarz von Herzen. Da ging eine schlimme Zeit für das arme Stiefkind an. „Was will der Unnütz in den Stuben, sprachen [115] sie, wer Brot essen will, muß es erst verdienen, fort mit der Küchenmagd.“ Da nahmen ihm die Schwestern seine schöne Kleider, gaben ihm einen grauen alten Kittel anzuziehen, und dann lachten sie es aus und führten es in die Küche. Nun mußte es so schwere Arbeit thun, früh vor Tag aufstehen, Wasser tragen, Feuer anmachen, kochen und waschen. Dabei thaten ihm die Schwestern alles Herzeleid an, spotteten es und schütteten ihm die Erbsen und Linsen in die Asche, so daß es sitzen und sie wieder auslesen mußte. Abends, wenn es müd war, kam es in kein Bett, sondern mußte sich neben dem Heerd in die Asche legen. Und weil es darum immer staubig und schmutzig aussah, nannten sie es Aschenputtel.

Es trug sich zu, daß der Vater einmal in die Messe ziehen wollte, da fragte er die beiden Stieftöchter, was er ihnen mitbringen sollte? Schöne Kleider, sagte die eine und Perlen und Edelsteine die zweite. „Nun, Aschenputtel, sprach er, was willst du haben?“ „Vater das erste Reis, das euch auf eurem Heimweg an den Hut stößt“ antwortete Aschenputtel. Er kaufte nun für die beiden Stiefschwestern die Kleider, Perlen und Edelsteine, und auf dem Rückweg, als er durch einen grünen Busch ritt, streifte ihm ein Häselreis und stieß ihm den Hut ab. Da brach er das Reis und als er nach Haus kam, gab er den Stieftöchtern, was sie sich gewünscht hatten, und dem Aschenputtel gab er das Reis von dem Haselbusch. Aschenputtel nahm es, ging damit zu seiner Mutter Grab und pflanzte es darauf und weinte so sehr, daß das Reis von seinen Thränen begoßen ward. Es [116] wuchs aber und ward ein schöner Baum. Aschenputtel ging alle Tage dreimal darunter, weinte und betete und allemal kam ein Vöglein auf den Baum und gab ihm, was es sich wünschte.

Es begab sich aber, daß der König ein Fest anstellte, das drei Tage dauern sollte, damit sich sein Sohn eine Braut aussuchen könnte. Die zwei Stiefschwestern waren auch dazu eingeladen, riefen Aschenputtel und sprachen: „nun kämm uns die Haare, bürst uns die Schuhe und schnall uns die Schnallen, wir tanzen auf des Königs-Fest.“ Das that Aschenputtel und weinte, weil es auch gern zum Tanz mitgegangen wär, und bat die Stiefmutter gar sehr, sie mögt es ihm erlauben. „Du Aschenputtel, sprach sie, hast nichts am Leib und hast keine Kleider und kannst nicht tanzen und willst zur Hochzeit!“ Als es noch weiter bat, sprach sie endlich: „ich will dir eine Schüssel Linsen in die Asche schütten und wenn du die in zwei Stunden wieder ausgelesen hast, so sollst du mitgehen.“ Nun schüttete sie ihm die Linsen in die Asche, aber das Mädchen ging vor die Hinterthüre nach dem Garten zu und rief: „ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen:

die guten ins Töpfchen,
die schlechten ins Kröpfchen!“

Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein, und darnach die Turteltäubchen und endlich schwirrten und schwärmten alle Vögelein unter dem Himmel herein und ließen sich um die Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit dem Köpfchen und fingen an: pik, pik! pik, pik! und da fingen die übrigen [117] auch an pik, pik! pik, pik! und lasen alle gute Körnlein in die Schüssel. Wie eine Stunde herum war, waren sie schon fertig und flogen alle wieder hinaus, da brachte es die Schüssel der Stiefmutter und freute sich und glaubte, nun mit auf die Hochzeit gehen zu dürfen. Aber sie sprach: „nein, du Aschenputtel, du hast keine Kleider und kannst nicht tanzen, du sollst nicht mitgehen.“ Als es nun weinte, sprach sie: „wenn du mir zwei Schüsseln voll Linsen in einer Stunde aus der Asche rein lesen kannst, so sollst du mitgehen“ und dachte dabei, das kann es nimmermehr. Nun schüttete sie zwei Schüsseln Linsen in die Asche, aber das Mädchen ging vor die Hinterthüre nach dem Garten zu und rief: „ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen:

die guten ins Töpfchen,
die schlechten ins Kröpfchen!“

Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein und darnach die Turteltäubchen und endlich schwirrten und schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel herein und ließen sich um die Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit ihren Köpfchen und fingen an pik, pik! pik, pik! und da fingen die übrigen auch an pik, pik! pik, pik! und lasen alle gute Körner in die Schüsseln. Und eh eine halbe Stunde herum war, waren sie schon fertig und flogen alle wieder hinaus; da brachte es der Stiefmutter die Schüsseln und freute sich und glaubte nun mitgehen zu dürfen. Aber sie sprach: „es hilft alles nichts, du kommst nicht mit, du hast keine Kleider und kannst nicht tanzen und wir müßten [118] uns nur schämen.“ Darauf ging sie mit ihren zwei Töchtern fort.

Als nun niemand mehr daheim war, ging Aschenputtel zu seiner Mutter Grab unter den Haselbaum und rief:

„Bäumchen rüttel dich und schüttel dich!
wirf Gold und Silber über mich!“

da warf ihm der Vogel ein golden und silbern Kleid herunter, und mit Seide und Silber ausgestickte Pantoffeln. Das zog es an und ging zur Hochzeit. Ihre Schwestern aber und die Stiefmutter kannten es nicht und meinten es müßt ein fremdes Königsfräulein seyn, so schön sah es in den reichen Kleidern aus. An Aschenputtel dachten sie gar nicht, und glaubten es läg daheim im Schmutz. Der Königssohn kam ihm entgegen und nahm es bei der Hand und tanzte mit ihm. Er wollte auch mit sonst niemand tanzen, also daß er ihm die Hand nicht los ließ und wenn ein anderer kam, es aufzufordern, sprach er: „das ist meine Tänzerin.“

Es tanzte bis Abend war, da wollte es nun nach Haus gehen. Der Königssohn aber sprach: „ich gehe mit und begleite dich“ denn er wollte sehen, wem das schöne Mädchen angehörte. Sie entwischte ihm aber und sprang in das Taubenhaus. Nun wartete der Königssohn, bis der Vater kam, und sagte ihm, das fremde Mädchen wär in das Taubenhaus gesprungen. Da dachte er: sollte es Aschenputtel sein, und sie mußten ihm Axt und Hacken bringen, damit er das Taubenhaus entzwei schlagen konnte; aber es war niemand darin. Und als sie ins Haus kamen, lag Aschenputtel [119] in seinen schmutzigen Kleidern in der Asche und sein trübes Oehllämpchen brannte im Schornstein. Denn es war geschwind durch das Taubenhaus gesprungen und zu dem Haselbäumchen gegangen, da hatte es die schönen Kleider ausgethan und aufs Grab gelegt, und der Vogel hatte sie wieder weggenommen, es aber hatte sich in seinem grauen Kittelchen in die Küche zur Asche gesetzt.

Am andern Tag, als das Fest von neuem anhub, und die Eltern und Stiefschwestern wieder fort waren, ging Aschenputtel zu dem Haselbaum und sprach:

„Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich!
wirf Gold und Silber über mich!“

da warf der Vogel ein noch viel stolzeres Kleid herab, als am vorigen Tag. Als es damit auf die Hochzeit kam, erstaunte jedermann über seine Schönheit, der Königssohn aber hatte schon auf es gewartet, nahm es bei der Hand und tanzte nur allein mit ihm. Wenn die andern kamen und es aufforderten sprach er: „das ist meine Tänzerin.“ Als es nun Abend war, wollte es fort und der Königssohn ging mit und wollte sehen, in welches Haus es ginge, aber es sprang ihm fort und in den Garten hinter dem Haus. Darin stand ein schöner, großer Birnbaum voll herrlichem Obst, auf den stieg es gar behend und der Königssohn wußte nicht, wo es hingekommen war. Er wartete aber, bis der Vater kam und sprach zu ihm: „das fremde Mädchen ist mir entwischt und ich glaube, daß es auf den Birnbaum gesprungen ist.“ Der Vater dachte, sollte es Aschenputtel seyn! und [120] ließ sich die Axt holen und hieb den Baum um, aber es war niemand darauf. Und als sie in die Küche kamen, lag Aschenputtel da in der Asche, wie gewöhnlich, denn es war auf der andern Seite vom Baum herabgesprungen, hatte dem Vogel auf dem Haselbäumchen die schönen Kleider wieder gebracht und sein grau Kittelchen angezogen.

Am dritten Tag als die Eltern und Schwestern dahin waren, ging Aschenputtel wieder zu seiner Mutter Grab und sprach zu dem Bäumchen:

„Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich!
wirf Gold und Silber über mich!“

Nun warf ihm der Vogel ein Kleid herab, das war so prächtig, wie es noch keins gehabt, und die Pantoffel waren ganz golden. Als es zu der Hochzeit kam, wußten sie alle nicht, was sie vor Verwunderung sagen sollten, der Königssohn tanzte ganz allein mit ihm und wenn es einer aufforderte, sprach er: „es ist meine Tänzerin.“

Als es nun Abend war, wollte Aschenputtel fort und der Königssohn wollte es begleiten, aber es sprang ihm fort. Doch verlor es seinen linken ganz goldenen Pantoffel, denn der Königssohn hatte Pech auf die Treppe streichen lassen und daran blieb er hängen. Nun nahm er den Schuh und ging am andern Tag damit zu dem Mann und sagte: „die, welcher dieser goldene Schuh paße, die solle seine Gemahlin werden.“ Da freuten sich die beiden Schwestern, weil sie schöne Füße hatten. Die Aelteste ging mit dem Schuh in die Kammer und wollte ihn anprobiren [121] und die Mutter stand dabei. Aber sie konnte mit der großen Zehe nicht hineinkommen und der Schuh war ihr zu klein, da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach: „hau die Zehe ab, wann du Königin bist, so brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen.“ Das Mädchen hieb die Zehe ab, zwängte nun den Schuh hinein und ging zum Königssohn. Der nahm sie als seine Braut auf sein Pferd und ritt mit ihr fort. Sie mußten aber an dem Haselbäumchen, das auf dem Grabe stand, vorbei, da saßen die zwei Täubchen drauf und riefen:

„Rucke di guck! rucke di guck!
Blut ist im Schuck (Schuh),
der Schuck ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim!“

da blickte er auf ihren Fuß und sah wie das Blut herausquoll. Nun wendete er sein Pferd um, brachte die falsche Braut wieder nach Haus und sagte: „das ist nicht die rechte, die andere Schwester soll den Schuh anziehen.“ Sie ging in die Kammer und kam mit den Zehen in den Schuh, aber hinten die Ferse war zu groß. Da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach: „hau ein Stück von der Ferse ab, wann du Königin bist, brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen.“ Das Mädchen hieb ein Stück von der Ferse ab, zwängte den Fuß in den Schuh und ging heraus zum Königssohn. Der nahm sie als seine Braut auf sein Pferd und ritt mit ihr fort. Als sie an dem Haselbäumchen vorbeikamen, saßen die zwei Täubchen darauf und riefen:

[122]

„Rucke di guck! Rucke di guck!
Blut ist im Schuck,
der Schuck ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim!“

Er blickte nieder auf ihren Fuß, und sah, wie das Blut aus dem Schuh quoll und an den weißen Strümpfen ganz roth heraufgestiegen war. Da wendete er sein Pferd und brachte die falsche Braut wieder zurück. „Das ist nicht die rechte, sprach er, habt ihr keine andere Tochter?“ „Nein, sagte der Mann, nur von meiner verstorbenen Frau ist noch ein kleines, garstiges Aschenputtel da, das kann aber nicht die Braut seyn.“ Der Königssohn sprach, er sollt’ es heraufschicken, die Mutter aber antwortete: „ach nein, das ist viel zu schmutzig, das darf sich nicht sehen lassen.“ Er aber wollt es durchaus haben, und Aschenputtel mußte gerufen werden. Da wusch es sich erst Hände und Angesicht rein, ging dann hin und neigte sich vor dem Königssohn, der ihm seinen goldenen Schuh reichte. Nun streifte es den schweren Schuh vom linken Fuß ab, setzte diesen auf den goldenen Pantoffel und drückte ein wenig, so stand es darin, als wär er ihm angegoßen. Und als es sich aufbückte, erkannte er es im Angesicht und sprach: „das ist die rechte Braut!“ Die Stiefmutter und die beiden Schwestern erschracken und wurden bleich vor Aerger, aber er nahm Aschenputtel aufs Pferd und ritt mit ihm fort. Als sie an dem Haselbäumchen vorbei kamen, riefen die zwei weißen Täubchen:

„Rucke di guck! rucke di guck!
kein Blut im Schuck,

[123]
der Schuck ist nicht zu klein,
die rechte Braut, die führt er heim!“

Und als sie das gerufen, kamen sie beide hergeflogen und setzten sich dem Aschenputtel auf die Schultern, eine rechts, die andere links, und blieben da sitzen.

Als die Hochzeit mit dem Königssohn sollte gehalten werden, kamen die falschen Schwestern, wollten sich einschmeicheln und Theil an seinem Glück nehmen. Als es nun zur Kirche ging, war die älteste zur rechten, die jüngste zur linken Seite, da pickten die Tauben einer jeden das eine Aug aus, hernach als sie heraus ging war die älteste zur linken und die jüngste zur rechten, da pickten die Tauben einer jeden das andere Auge aus und waren sie also für ihre Bosheit und Falschheit mit Blindheit auf ihr Lebtag gestraft.