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ADB:Sweelinck, Jan Pieterszoon

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Artikel „Sweelinck, Jan Pieter“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 258–261, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sweelinck,_Jan_Pieterszoon&oldid=- (Version vom 26. November 2024, 21:54 Uhr UTC)
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Sweelinck: Jan Pieter S., auch Jan Pieterszoon genannt, der Begründer des modernen Orgelspiels und der Instrumentalformen, geboren im April 1562 zu Amsterdam, † am 16. October 1621 ebendort. Die in den Lexica verzeichneten Daten und der Geburtsort sind durch aufgefundene Documente widerlegt. Sein Vater, Pieter S., war Organist an der alten Kirche in Amsterdam und starb 1573; er kann daher auf die musikalische Ausbildung seines begabten Sohnes nur geringen Einfluß ausgeübt haben. Wahrscheinlicher ist es, daß die Rathsherren von Amsterdam für eine gründliche Ausbildung Sweelinck’s Sorge trugen und ihn zum Behufe dessen nach Venedig sandten. Doch auch hier lassen uns die Quellen im Stich; denn wir können nicht mit Bestimmtheit einen der dortigen Meister als seinen Lehrherrn bezeichnen; war es Zarlino, war es Gabrieli? Selbst Cyprian Rore wird genannt, doch ist dies eine Unmöglichkeit, da Rore schon 1565 in Parma starb, wogegen Zarlino erst 1590 und Giovanni Gabrieli 1612 starb. S. hat zwar mit besonderer Vorliebe sich die Lehrwerke Zarlino’s einzuprägen gesucht und umfangreiche Auszüge in der Uebersetzung niedergeschrieben, sowie zahlreiche Musikbeispiele über jeden Lehrsatz beigefügt (die Handschriften in mehreren Copien liegen auf der Stadtbibl. in Hamburg); dennoch läßt sich dadurch immer noch nicht beweisen, daß er Unterricht bei Zarlino genossen hat. Ebenso unbekannt ist es, wann er nach Amsterdam zurückkehrte und als Organist angestellt wurde. Erst im J. 1581 (er war damals 19 Jahre alt) läßt sich aus den alten Rechnungen nachweisen, daß er Organist an der alten Kirche war, also denselben Posten wie sein Vater bekleidete. Sein Gehalt betrug 100 holländische Gulden nebst freier Wohnung. Im J. 1586 stieg er auf 200 und 1590 auf 300 Gulden. Im Mai des letzteren Jahres trat er in den Stand der Ehe mit Claesken Dirksdochter van [259] Medemblik, mit der er sieben Kinder zeugte, von denen sich wieder einige als Musiker auszeichneten, ohne jedoch nur im entferntesten in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Letzteres war seinen Schülern vorbehalten, unter denen sich Namen einst großen Rufes befinden, als Scheidt, Jakob Prätorius, Melchior Schild, Steigleder u. A. Sweelinck’s Ruf als Lehrer war so bedeutend, daß sich Schüler aus aller Herren Länder um ihn drängten und Mattheson ihm scherzhaft den Namen Organistenmacher beilegte. S. genoß aber auch von seinen Mitbürgern nicht nur hohe Verehrung, sondern die reiche Kaufmannschaft setzte sie zugleich in klingende Münze um und sammelte ein Capital, von dessen Zinsen S. sorglos leben konnte. So einfach das äußere Leben Sweelinck’s erscheint, so bedeutungsvoll ist sein Wirken für die Entwicklung der Instrumentalformen geworden. Der Gesangssatz hatte den Text und den Cantusfirmus zum Führer, während der alte Instrumentalsatz eine Uebertragung eines Gesanges mit hinzugefügter Figurirung, oder ein planloses Durcheinander darbot. Es finden sich zwar hin und wieder bereits Ansätze von einer thematischen Bearbeitung, und die Tänze dieser Zeit lassen manchmal das Bestreben erkennen, eine Dreitheiligkeit der Form einzuführen; doch sind alle jene Erscheinungen vorübergehend, wie unabsichtlich, nur instinctiv das Richtige ahnend; erst in Sweelinck’s Orgel- und Klaviercompositionen tritt mit Entschiedenheit und völligem Bewußtsein das Bestreben hervor, aus einem Hauptthema mit einigen Nebenthemen den Satz kunstvoll auszubauen. Wir besitzen von ihm eine Phantasie (gedruckt in meiner Ausgabe der Sweelinck’schen Orgelcompositionen, Berlin bei Simrock, S. 20), welche die Urahne aller Fugen genannt werden kann. Sie ist aufgebaut auf einem wuchtigen chromatischen Thema, welches bis zum Schlusse in der Umkehrung, Engführung und Verkürzung den Satz beherrscht; dabei setzt ihm aber S. als Begleiter noch zwei Themen entgegen, die er wieder in der verschiedenartigsten Weise contrapunktisch benützt und dabei keine trockene Verstandesarbeit erzeugt, sondern in genialer Weise wie spielend die kunstvolle Arbeit seiner lebhaft angeregten Phantasie als Grundlage dienen läßt. Allerdings darf man an sie nicht den Maßstab einer Bach’schen Fuge anlegen, denn es fehlt ihr hauptsächlich die Abwechselung, die Bach durch die Zwischensätze zu erzielen wußte, ganz abgesehen von den Themen selbst, die Bach für seine Fugen schuf und die schon in sich den kräftigeren Keim der Entwicklungsfähigkeit trugen. Dennoch vergleicht man die spätere Litteratur bis zu Seb. Bach, so finden sich nirgends so bestimmte Bestrebungen wieder, wie sie in obiger Phantasie, der Tripelfuge, zu Tage treten. Selbst seine Schüler (leider sind ihre Compositionen für Orgel außer denen von Samuel Scheidt so spärlich auf uns gekommen, daß man sich kaum über ihre Leistungen ein Urtheil erlauben kann) sind ihm auf diesem Wege nicht gefolgt; dagegen haben sie die von S. ebenfalls angeregte Form der Variation mit Vorliebe gepflegt. Sweelinck’s Orgelcompositionen sind äußerst selten; es sind bis jetzt erst 17 Nummern aufgefunden, die sich zum größten Theile in Berliner Bibliotheken befinden (abschriftlich nun auch in Amsterdam). 10 Compositionen besitzt die Bibliothek des grauen Klosters zu Berlin, 2 befinden sich im Ms. 191 der königl. Bibl. zu Berlin und 4 in der Privatbibliothek des Geh. Raths R. Wagener in Marburg. Dennoch genügt diese geringe Ausbeute, ihn nach allen Seiten hin kennen zu lernen. Als sehr glücklich läßt sich auch die Idee bezeichnen, Variationen über ein Thema, gewöhnlich über ein Volkslied, zu schreiben. Bei keinem seiner Vorgänger ist diese Form angeregt. Sie verdient hauptsächlich deshalb eine glückliche genannt zu werden, da sie am ehesten den Weg zur dreitheiligen Form zeigte, die das Volkslied kraft seiner Ursprünglichkeit schon von jeher besaß. Sweelinck’s Leistungen sind hier noch schwach; bedeutender ist darin sein Schüler Scheidt, der auch den Choral mit Vorliebe [260] als Cantus firmus und zu Variationen, die er mit „Versus“ bezeichnet, verwendet; doch artet seine Schreibweise oft in eine ellenlange leere Spielerei mit Tönen aus, die ihn wieder seinem Meister gegenüber zurücksetzt, der, obwol auch er schwer zum Abschlusse gelangt, dennoch immer wieder durch überraschende Wendungen das Interesse wach zu erhalten weiß. Wie vortheilhaft sich Sweelinck’s Schreibweise von denen sämmtlicher alten Orgelmeister bis zu Bach und Händel unterscheidet, wie er durch seine wahrhaft liebenswürdige und einschmeichelnde Erfindungsgabe alle anderen in den Hintergrund drängt, beweist am besten die Erscheinung, daß sich seine Compositionen immer mehr in unseren heutigen historischen Concerten einbürgern und stets den erwünschten Erfolg hervorrufen. – Sehr reich ist die uns erhaltene Gesangslitteratur Sweelinck’s, die schon zu seiner Zeit durch mehrfachen Druck veröffentlicht wurde. 1619 erschienen in Antwerpen 37 fünfstimmige Motetten in 6 Stb., Cantiones sacrae betitelt, ferner eine zu 4–7 Stimmen bearbeitete Psalmenausgabe in 5 Büchern in Haarlem und Amsterdam von ca. 1612–1621 veröffentlicht, von der der Berliner Buchhändler Georg Runge 1616 und Martin Guthe 1618 eine Auswahl von 51 Psalmen mit deutschem Text in 2 Bänden veröffentlichten. Die Originalausgabe hat französischen Text, und den Bearbeitungen liegt die französische Psalmmelodie zu Grunde; jedoch hat sich bisher von der Originalausgabe, außer dem 3. Buche, nur die Tenorstimme entdecken lassen; die deutsche Ausgabe ist für uns daher von großem Werth, da sie in Berlin und Liegnitz in vollständigen Stimmbüchern vorhanden ist. Von einer kleinen Anzahl derselben hat der Verein zur Beförderung der Tonkunst, Abtheilung für Musikgeschichte, in Amsterdam eine Neuausgabe in Partitur mit Clavierauszug veranstaltet. Außerdem schrieb S. noch 2 Bände Chansons zu 2, 3, 4 und 5 Stimmen; doch besitzen wir davon bis jetzt nur einzelne Stimmbücher. In wie regem Verkehre man in damaliger Zeit selbst bis zu den weitestentlegenen Punkten Europas stand, beweisen die Hochzeitsgesänge, die S. seinen Freunden und ehemaligen Schülern zur Erhöhung der Feier sandte, so 1608 seinem Schüler Jacob Prätorius in Hamburg und 1617 seinem Freunde Johann Stobäus in Königsberg. Sweelinck’s Gesangscompositionen schließen sich noch eng an die Schreibweise des 16. Jahrhunderts an, besonders in seinen Motetten, Psalmen und Hochzeitsgesängen; nur in den bis jetzt bekannt gewordenen Chansons von 1612, die sich dem Sologesange mit begleitendem Bassus continuus nähern, neigt er, aber auch nur zum Theil, der neuen italienischen Weise zu. Wenn sich seine Motetten und Psalmen von denen seiner Zeitgenossen und Vormänner dennoch unterscheiden, so beruht der Unterschied in der lebhaften Gefühlsempfindung Sweelinck’s und in dem Bestreben, eine motivartige Behandlung in seinen Gesangssätzen durchzuführen, die bei den Meistern des 16. Jahrhunderts weniger hervortritt. In Amsterdam hat sich unter dem Dirigenten S. de Lange ein Gesangverein für alte Gesangsmusik gebildet, der sich die Aufgabe gestellt hat, die alten Meister seines Heimathlandes besonders zu pflegen. S. nimmt hierbei die erste Stelle ein. Ich hatte Gelegenheit, von dem Chore eine Reihe Sweelinck’scher Gesangswerke in vorzüglicher Weise vortragen zu hören. Vorzüglich sowol, was die Klangfarbe und Stimmbildung der Sänger betrifft, als die Sicherheit und Vortragsweise. Bis dahin hielt ich die Gesangscompositionen Sweelinck’s für geringere Leistungen als seine Instrumentalwerke. Der Gesang des Amsterdamer Chorvereins hat mich eines Besseren belehrt. Dieselbe interessante und liebenswürdige Motivwelt, die man in seinen Orgelcompositionen findet, kehrt in anderer Behandlung auch in seinen Gesangswerken wieder und verleiht ihnen das Unterscheidende von denen seiner Zeitgenossen. Sein Porträt befindet sich in der 6. Ausgabe des oben genannten niederländischen Vereins; dort auch seine Biographie [261] von Tiedemann. Documente u. A. sind in den Bouwsteenen Bd. 1 u. 2 zu finden.