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Wege der Liebe

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Textdaten
Autor: Kurt Tucholsky
unter dem Pseudonym
Ignaz Wrobel
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Titel: Wege der Liebe
Untertitel:
aus: Die Weltbühne. Jahrgang 22, Nummer 32, Seite 230-231
Herausgeber: Siegfried Jacobsohn
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 10. August 1926
Verlag: Verlag der Weltbühne
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Erscheinungsort: Berlin
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Die Weltbühne. Vollständiger Nachdruck der Jahrgänge 1918–1933. Athenäum Verlag, Königstein/Ts. 1978. Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Wege der Liebe

Alle Wege führen nach Moskau, dachte Frau Kollontai und schrieb ‚Wege der Liebe‘, drei Erzählungen, von denen der Malik-Verlag zu Berlin eine schöne Ausgabe gemacht hat.

Die erste Erzählung ist gut, ‚Die Liebe der drei Generationen‘ heißt sie. Die Mutter der Erzählerin dieser Geschichte ist mit dem Regimentskommandeur verheiratet, liebt aber den Kreisarzt: Krach, Schwangerschaft und Verlassen des Ehemanns – eine liberale Ehetragödie, wie sie in der Zeitung steht. Die Erzählerin selbst lebt mit einem Genossen zusammen, wird aber im Strudel an einen Ingenieur getrieben, kommt wieder fort von ihm … vorbei. Die Tochter lebt gleichfalls mit einem Genossen – daneben noch mit andern, sie findet nichts dabei. „Aber welcher Zusammenhang ist zwischen der Partei,“ sagt sie, „der Revolution, der weißgardistischen Front, dem Zusammenbruch und Allem, was du angeführt hast – und dem, daß ich mich mit Andrei und noch einem Andern küsse …?“ Sehr fein, wie in diesen drei Generationen jede Mutter immer nur ihren eignen Fall, aber keineswegs den der Tochter versteht. Jede schüttelt den Kopf und versteht die Welt nicht mehr …

Folgt noch eine Erzählung: ‚Schwestern‘ [französischer Realismus aus dem Jahre 1895], und dann die Haupterzählung: ‚Wassilissa Maligyna‘. Ja, das ist nun so eine Sache …

Also, ich kann mir nicht denken, daß das die neue bolschewistische Welt, die neue Liebe, die neue Generation ist. Ist sies aber wirklich: dann ist Frau Kollontai eine höchst mäßige Schriftstellerin. Uber solche Dinge, Rußland betreffend, muß man in Deutschland ja immerzu nach zwei Fronten hin reden, und ich brauche wohl nicht zu betonen, daß zunächst und vor Allem einmal die Nationalen im Unrecht sind, bevor sie noch den Mund aufgemacht haben. Auch erwarte ich keinerlei Romantik, und ich empfinde nichts so komisch wie den Einwand, den neulich ein deutscher Romantiker gemacht hat: das politische Leben der Russen sei ohne alle „Schönheit“ – in schmutzigen Redaktionsstuben debattierten sie endlos und drehten sich Zigaretten … Möge Jener in Schönheit sterben. Nein, der Mangel an Romantik ist es nicht. Es ist nur, halten zu Gnaden, belanglos.

Daß die Grete den Hans liebt, der aber hinwiederum es mit der Lotte hat, wird dadurch nicht interessanter, daß sich die handelnden Personen mit „Genosse Diensthabender“ anreden. Selbst wenn man, in verständlicher Mißachtung des Westens, nicht zeigen will, wie oekonomische Zustände Urtriebe verändern oder es nicht zu tun vermögen: es gibt ein Kunstgesetz, das ewig ist: Wir wollen nicht gelangweilt werden! Und dies ist zum Gähnen langweilig. Auch hat diese Liebesgeschichte etwas, was Fontane so schön „sechserhaft“ nennt: es sind Murks-Liebesschmerzen, Murks-Auschweifungen, murksig das Ganze.

Also ein gleichgültiges Buch, wie es deren hunderte gibt.

Aber mitnichten möchte ich in den Topf der snobistischen Antibolschewisten geworfen werden, die „schon wieder“ dagegen sind, worauf es gewiß nicht ankommt, und denen sich, zu meinem Schmerz, in einem unsäglich albernen Buch auch Sir Galahad angeschlossen hat. Das kommt sich gar so mutig vor, wenn es etwas gegen Dostojewski, und weil wir grade bei den Russen sind, auch gleich gegen die Bolschewisten sagt … So geht das wirklich nicht. Da drüben steht eine politische Leistung, wie sie nur alle paar Jahrhunderte einmal vorkommt. Mäßige Literatur [231] ist kein Einwand gegen ein Land.

Frau Kollontai ist sicherlich eine gute Politikerin. Bücher schreiben kann sie nicht. Aber schließlich haben wir ja auch vor Kanzler Marx kein Lyrikbändchen ‚Heckenros’ und Vergißmeinnicht‘, und so scheint mir zunächst wichtiger, daß die Leute in Rußland zu essen haben und nicht ausgenutzt werden, als daß sie, den Antiquaren zu Gefallen, in Leder zu bindende schöne Bücher verfassen. Was sie, übrigens, dennoch tun.

Ignaz Wrobel