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Porträt

laut.de-Biographie

Einstürzende Neubauten

Die Einstürzenden Neubauten sind der beständigste April-Scherz der Musikgeschichte. Das konnte 1980 im Moon natürlich noch niemand ahnen. Am 1. April lärmen dort in dadaistischer Manier die 'Genialen Dilletanten' (mit Schreibfehler) aka Blixa Bargeld, N.U. Unruh alias Andrew Chudy, Gudrun Gut (Malaria) und Beate Bartel auf der Bühne herum und verschwinden danach wieder ohne großes Aufsehen im Berliner Untergrund. Bargeld und Unruh kriechen kurz darauf in einen halber Mensch hohen Hohlraum unter einer Autobahnbrücke und spielen auf einer alten Waschmaschine und einem Stahlschlagzeug ihre erste Single "Für den Untergang" ein.

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Mit ihrer Geräuschmusik treffen die Neubauten den Nerv der Zeit und werden in den 80er Jahren zu Deutschlands wichtigsten kulturellen Botschaftern. Auf Alben wie "Halber Mensch" (1985) oder "Tabula Rasa" (1993) beweisen die Berliner ihr Gespür für Songstrukturen und entdecken mit "Ende Neu" (1996) gar den Pop für sich. Stahlschlagzeug und Waschmaschine landen in der Rumpelkammer der Musikgeschichte. Vor Überraschungen, die liebgewordene Hörgewohnheiten zum Einsturz bringen, ist man bei den Einstürzenden Neubauten bis zum heutigen Tag trotzdem nie sicher.

Für den ersten Longplayer komplettiert der Abwärts-Drummer FM Einheit das Line-Up und richtet sich zwischen Vorschlaghammer, Bohrmaschine und Stahlfedern in der Rolle des Neubauten-Schlagwerkers für die nächsten Jahre häuslich ein. "Wenn wir gar nicht wissen, was wir machen sollten ist es meistens unheimlich gut geworden", verkündet Bargeld 1982 ganz unbescheiden im Anschluss an die Aufnahmen zur größtenteils spontan improvisierten LP "Kollaps", deren radikale Geräuschästhetik international für Aufsehen sorgt und den Neubauten 1982 Auftritte bei der Biennale in Paris und auf der Documenta in Kassel einbringt. Damit nimmt eine fruchtbare Liaisons zwischen den Einstürzenden Neubauten und der bürgerlichen Kunstszene ihren Anfang, die sich bis in die Gegenwart fortsetzt, auch wenn sich die Neubauten anfangs noch das zickige Enfant Terrible spielen.

Lieder wie "Stahlversion", "Hirnsäge" oder "Hör mit Schmerzen" entspringen einer urbanen Subkultur, die nicht so recht ins Bild einer künstlerischen Avantgarde passen will. Erste Berührungspunkte zwischen Underground und etabliertem Kunstbetrieb loten wenige Jahre davor die ersten Industrial-Bands wie SPK, Cabaret Voltaire oder Throbbing Gristle erfolgreich aus. Damit ist das Spannungsfeld beschrieben, in dem sich die Neubauten zeitlebens wohl fühlen werden.

Einstürzende Neubauten - Rampen (APM: Alien Pop Music)
Einstürzende Neubauten Rampen (APM: Alien Pop Music)
Die konsequente Weiterführung des eigenen Schaffens.
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1983 komplettieren Gitarrist Alexander Hacke (von Borsig) und Bassist Mark Chung, der FM Einheit von Abwärts zu den Neubauten folgt, das Line-Up. In dieser Besetzung spielen sie zehn Jahre bis zum 1993er Album "Tabula Rasa". Dabei bewegt sich das Quintett immer mehr weg von spontanen Geräuschimprovisationen hin zu zwar experimentellen, aber stärker durchdachten Klangcollagen, denen mit Blixa Bargelds kreischend vorgetragenen und oftmals kryptischen Texten eine zusätzliche lyrische Ebene an die Hand gegeben wird. Die Einstürzenden Neubauten inszenieren die Großstadtapokalypse für das heimische Wohnzimmer, zwar noch etwas sperrig, aber doch auch genießbar, wie ihr '85er Album "Halber Mensch" und ihre Kollaboration mit Fad Gadget und dessen Song "Collapsing New People" nachdrücklich unter Beweis stellen. "Seele brennt", "Das letzte Biest (am Himmel)", "Z.N.S." oder das metallisch-verfremdete Cover des Nancy Sinatra/Lee Hazlewood Songs "Sand" bringen den Nihilismus der Neubauten auf den Punkt und eröffnen dem Ohr gleichzeitig un(er)gehörte Welten.

"Alte Gegenstände, Bedeutungen, Gebäude und Musik werden durch Neues ersetzt. Das heißt Fortschritt. Und der Endpunkt des Fortschritts ist erreicht, wenn Dinge nicht mehr alt werden, sondern in dem Moment, wo sie entstehen, wieder zerstört werden." Zu keinem Zeitpunkt ihrer Karriere erfüllt sich Blixa Bargelds Forderung nach Neuem durch Destruktion mehr so sehr wie auf "Halber Mensch", als die Neubauten jenen schmalen Grat mit der Eleganz einer Diva beschreiten. Ein Understatement, das auch noch 1987 auf der Platte "Fünf auf der nach oben offenen Richterskala" zu finden ist.

Im selben Jahr noch stehen Bargeld & Co. im renommierten Deutschen Schauspielhaus in Hamburg auf der Bühne, wo sie Peter Zadeks "Andi" musikalisch derart eindrucksvoll in Szene setzen, dass die Theaterleitung vorsichtshalber Ohrstöpsel an das kunstsinnige Publikum ausgibt. Fortan dürfen sich die Neubauten rühmen, Lieblinge aller Feuilletonisten zu sein. Die Hochkultur entdeckt die Welt der Einstürzenden Neubauten und kommt fortan des öfteren in den Genuss die Berliner Krachmacher auf der Bühne zu sehen. Die Freundschaft mit dem DDR-Theater-Autor Heiner Müller schlägt sich in der Produktion der "Hamletmaschine" nieder. Am 29. Oktober 1994 hebt sich der Premierenvorhang im Hans-Otto-Theater in Potsdam, wo die Neubauten in Werner Schwabs "Faust: Mein Brustkorb: Mein Helm" gefeiert werden. Vor allem Blixa Bargeld und FM Einheit bleiben der Bühne seither in zahlreichen Produktionen erhalten. Zudem arbeiten beide immer wieder mit dem Hörspielautor Andreas Ammer zusammen, dessen Hörspiel "Apocalypse Live" sie 1995 auch auf die Bühne bringen.

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Blixa Bargeld über "Rampen (APM: Alien Pop Music)", Can und ESC-Pläne.
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Was sich auf "Haus der Lüge" bereits ankündigte, findet mit dem 93er Album "Tabula Rasa" zur Perfektion. Die Spontanität früherer Tage weicht einer immer stärker konzeptionellen Arbeitsweise. Das zufällig gefundene Geräusch früherer Tage wird ersetzt durch den geplanten und gesuchten Klang, der sich mit Bargelds Poesie zu dem verdichtet, was die Neubauten schließlich ausmacht. Das brachiale Ungestüm hat ausgedient und seine Stelle an die intellektuelle Reflexion abgeben müssen. Die Musik der Einstürzenden Neubauten hat ihren Sitz vom Bauch endgültig in den Kopf verlegt. Kein Wunder, dass auf "Tabula Rasa" bereits die Gefahr der intellektuellen Überfrachtung thematisiert und in der Forderung nach einem "Headcleaner" in epischer Dissonanz vorgetragen wird.

Nach den Aufnahmen zu "Tabula Rasa" verlässt Mark Chung die Band, ihm folgt 1996 auch FM Einheit. "Ende Neu" wird zum typischen Übergangsalbum und überrascht mit Liebeslied "Stella Maris", einem Duett zwischen Meret Becker und Blixa Bargeld. Jochen Arbeit (Gitarre) und Rudi Moser (Schlagzeug) ersetzen kurz darauf die beiden Neubauten-Urgesteine Chung und Einheit. Zum 20. Gründungsjubiläum am 1. April 2000 schocken die Einstürzenden Neubauten nicht mehr mit Stahlsäge und Presslufthammer, sondern huldigen mit dem Album "Silence Is Sexy" der Stille.

Auch in der Folge beschreiten die Neubauten wieder ungewöhnliche Wege. Während der Aufnahmen zu "Perpetuum Mobile" laden sie ihre Fans ein, online am Produktionsprozess teilzunehmen. Allerdings sind einige Supporter im Nachhinein darüber verärgert, dass das Album nachher anders als geplant auch im normalen Handel vertrieben wird - die Idee Crowdfunding steckt zu diesem Zeitpunkt schließlich noch nicht einmal in den Kinderschuhen. Auf der folgenden Tour nehmen die Neubauten sämtliche Konzerte auf und verkaufen die Mitschnitte noch am selben Abend ans Publikum. Ein für Herbst 2005 angekündigtes neues Album und eine DVD will die Band wiederum registrierten Besuchern der eigenen Webseite vorbehalten.

Mit den "Phasen II und III" des Supporter-Projekts und dem "Musterhaus-Projekt" gewinnen die Neubauten weitere Unterstützer. Wer sich auf der offiziellen Webseite einschreibt, erhält gegen Bezahlung exklusive Aufnahmen von Mitgliedern der Band und aus ihrem Umfeld. Im Frühsommer 2007 treiben die Neubauten den Supporter-Gedanken auf die Spitze: für das Album "Alles Wieder Offen" suchen sie nicht mehr nur Abnehmer, sondern auch europaweit aktive Unterstützer, die in den verschiedenen Ländern die Presse- und Marketing-Arbeit übernehmen. 2014 folgt "Lament", kein Neubauten-Album im eigentlichen Sinne, sondern eine Auftragsarbeit der Region Flandern.

"Wir hatten tausend Ideen / Und alle waren gut", hört man Blixa Bargeld 2020 im Stück "Am Landwehrkanal" singen. Der Song ist auf dem neuen Einstürzende Neubauten-Album "Alles In Allem" verzeichnet, das am 15. Mai erscheint. Es ist ein besonderes Jahr: Die Band blickt auf 40 Jahre Musikkarriere zurück, Bargeld selbst hat die 60 überschritten. Den Blick zurück formt die Gruppe um und beleuchtet ihre Heimat Berlin aus diversen Perspektiven. Erinnerungen, Träume und Fragmente verweben Bargeld und Kollegen mit Eindrücken der Jetztzeit. 18 Jahre nach Gründung der Supporter-Idee rief er einzelne Unterstützer direkt an, um sie aktiv in den kreativen Schaffensprozess mit einzubeziehen.

Das Album "Rampen (APM: Alien Pop Music)" macht die Band ihren treuen Fans in Form von Webcasts, Singles oder Videos schmackhaft. Als "Rampen" werden im Neubauten-Sprech öffentliche Live-Improvisationen mit offener Entwicklung und Ausgang bezeichnet. Die vierzehn besten von der 2022er-Tournee haben die Berliner in den Candy Bomber Studios mit Producer und Sound Engineer Ingo Krauss neu eingespielt und um eine weitere Studiorampe ergänzt. Dazu schenken sie allen Außenstehenden und Andersartigen mit Alien Pop Music auch gleich noch ein neues Genre.

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Fotogalerien

Berlin, Columbiahalle, 2024 Blixa Bargeld und Band lieferten die erwartbar intensive Erfahrung.

Blixa Bargeld und Band lieferten die erwartbar intensive Erfahrung., Berlin, Columbiahalle, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Blixa Bargeld und Band lieferten die erwartbar intensive Erfahrung., Berlin, Columbiahalle, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Blixa Bargeld und Band lieferten die erwartbar intensive Erfahrung., Berlin, Columbiahalle, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Blixa Bargeld und Band lieferten die erwartbar intensive Erfahrung., Berlin, Columbiahalle, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof)

Duisburg, Theater am Marientor, 2017 "Greatest Hits" – wo gibts denn sowas?

"Greatest Hits" – wo gibts denn sowas?, Duisburg, Theater am Marientor, 2017 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) "Greatest Hits" – wo gibts denn sowas?, Duisburg, Theater am Marientor, 2017 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) "Greatest Hits" – wo gibts denn sowas?, Duisburg, Theater am Marientor, 2017 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) "Greatest Hits" – wo gibts denn sowas?, Duisburg, Theater am Marientor, 2017 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) "Greatest Hits" – wo gibts denn sowas?, Duisburg, Theater am Marientor, 2017 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) "Greatest Hits" – wo gibts denn sowas?, Duisburg, Theater am Marientor, 2017 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) "Greatest Hits" – wo gibts denn sowas?, Duisburg, Theater am Marientor, 2017 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) "Greatest Hits" – wo gibts denn sowas?, Duisburg, Theater am Marientor, 2017 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) "Greatest Hits" – wo gibts denn sowas?, Duisburg, Theater am Marientor, 2017 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) "Greatest Hits" – wo gibts denn sowas?, Duisburg, Theater am Marientor, 2017 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) "Greatest Hits" – wo gibts denn sowas?, Duisburg, Theater am Marientor, 2017 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) "Greatest Hits" – wo gibts denn sowas?, Duisburg, Theater am Marientor, 2017 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) "Greatest Hits" – wo gibts denn sowas?, Duisburg, Theater am Marientor, 2017 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug)

Live in Köln 2008 In den "Werbepausen" wirbt Blixa für die Supporter-Idee.

In den "Werbepausen" wirbt Blixa für die Supporter-Idee., Live in Köln 2008 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) In den "Werbepausen" wirbt Blixa für die Supporter-Idee., Live in Köln 2008 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) In den "Werbepausen" wirbt Blixa für die Supporter-Idee., Live in Köln 2008 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) In den "Werbepausen" wirbt Blixa für die Supporter-Idee., Live in Köln 2008 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) In den "Werbepausen" wirbt Blixa für die Supporter-Idee., Live in Köln 2008 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) In den "Werbepausen" wirbt Blixa für die Supporter-Idee., Live in Köln 2008 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) In den "Werbepausen" wirbt Blixa für die Supporter-Idee., Live in Köln 2008 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) In den "Werbepausen" wirbt Blixa für die Supporter-Idee., Live in Köln 2008 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig)

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