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Kinder und Jugendliche immer häufiger von Entwicklungs­störungen betroffen

Freitag, 25. Oktober 2024

/velazquez, adobe.stock.com

Hannover – Die Anzahl motorischer Entwicklungs- sowie Sprach- und Sprechstörungen bei Kindern und Jugendlichen zwischen sechs und 18 Jahren hat in den vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen. Dies zeigt eine Auswertung von Versichertendaten der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH). Besonders betroffen sind demnach die 15-18-Jährigen.

In dieser Altersgruppe war es bei der Diagnose „Sprach-/Sprechstörung“ zwischen 2013 und 2023 zu einem prozentualen Anstieg von rund 104 Prozent gekommen. Während 2013 noch 1,1 Prozent der Jugendlichen diese Diagnose erhalten hatten, lag sie 2023 bei 2,3 Prozent. Insgesamt wurde bei den Sechs- bis 18-jährigen ein Anstieg um 53 Prozent verzeichnet.

Im Vergleich zu 2013 konnte die Diagnose „motorische Entwicklungsstörung“ bei den 15- bis 18-jöhrigen im Jahr 2023 zu 77 Prozent häufiger beobachtet werden. 2013 erhielten 0,6 Prozent der Jugendlichen die Diag­nose, 2023 waren 1,1 Prozent betroffen. Insgesamt kam es bei den Sechs- bis 18-jährigen zu einem Anstieg von rund 37 Prozent.

Ursache könnte Fachleuten zufolge die Zunahme der Mediennutzung sein. Diese befördere unter anderem Bewegungsmangel und eine geringe persönliche Kommunikation. Im Rahmen der Pressekonferenz, bei der die Umfrage heute vorgestellt wurde, betrachteten die Experten insbesondere die Nutzung der Sozialen Medien kritisch.

„Ständiges Kommentieren und Chatten in kürzester Form wirkt sich negativ auf die Sprach- und Lesekompe­tenz beziehungsweise auf die Entwicklung des Wortschatzes aus“, betonte Martin Korte, Leiter des Depart­ments für Neurobiologie an der Technischen Universität Braunschweig. Durch den schnellen Wechsel von digitalem Interagieren und alltäglichen Aufgaben komme es zudem zu kürzeren Aufmerksamkeitsspannen und die Konzentration lasse schneller nach.

„Stundenlange Bildschirmnutzung beeinflusst darüber hinaus die Fähigkeit zur Empathie“, so Korte. „Die Ge­hirnareale, die spiegeln, was andere Menschen denken und fühlen, entwickeln sich bei übermäßiger Smart­phonenutzung langsamer, bleiben möglicherweise sogar schlechter ausgeprägt“.

Der Neurobiologe erklärte, dass sich durch die Sozialen Medien auch eine Art Suchtcharakter entwickeln könne. Eine intensive Smartphonenutzung führe zu einer starken Ausschüttung des Neurotransmitters Dopa­min.

Da bei Jugendlichen in der Pubertät eine bestimmte Gehirnfunktion noch nicht ganz ausgebildet sei, die für die Impulskontrolle und das Planen von Handlungen zuständig ist, könnten Soziale Medien „in manchen digi­talen Kontexten sogar genauso stark sein wie bei einer Drogen- oder Spielsucht“, so Korte.

„Unsere Zahlen zeigen, wie wichtig ein reflektierter, maßvoller Umgang mit digitalen Medien für eine ge­sunde Entwicklung von Kindern ist“, sagte Franziska Klemm, Psychologin im Fachbereich „Prävention und Selbsthilfe“ der KKH.

„Denn übermäßige Online-Zeiten und ein zu häufiges Abtauchen in digitale Welten schaden der Gesundheit“, so Klemm. Familie, Freunde, Schule, Hobbys und reale Erlebnisse kämen zu kurz, diese seien jedoch wichtig für eine gesunde Entwicklung und die Vorbereitung auf eine aktive und selbstbestimmte Zukunft.

Die Flut an ungefilterten Nachrichten könne Jugendliche zudem überfordern, frustrieren und Ängste schüren. Einsamkeit, depressive Symptome und andere relevante psychische Erkrankungen könnten die Folge sein. Davor müssten Heranwachsende unbedingt geschützt werden, betonte die Psychologin.

„In der Phase vom Kind zum Erwachsenen sind junge Menschen besonders empfänglich für soziale Vergleiche und Einflüsse durch andere“, sagte Klemm. „Dabei kommt es leider auch zu negativen Erfahrungen wie Aus­grenzung oder sogar psychischer Gewalt in Form von Mobbing“.

Der forsa-Umfrage zufolge ist demnach jeder fünfte Jugendliche bereits Opfer von Cybermobbing geworden. Rund 21 Prozent der befragten Zwölf- bis 19-Jährigen machten in sozialen Netzwerken negative Erfahrungen mit Mobbing. Weitere 35 Prozent berichteten von der Sorge, dass sie in sozialen Netzwerken beleidigt, be­droht oder belästigt werden könnten.

Zu ähnlichen Ergebnissen kam kürzlich auch eine Umfrage des Aktionsbündnis gegen Cybermobbing in Ko­operation mit der Barmer. Demnach waren in der Altersgruppe der befragten Sieben- bis 20-Jährigen rund zwei Millionen – und damit fast ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen von Cybermobbing betroffen gewesen.

Trotz aller Kritik an den Sozialen Medien betonte Klemm, dass diese nicht grundsätzlich schlecht seien. Menschen hätten ein natürliches Bedürfnis nach Spaß, Unterhaltung und nach sozialen Interaktionen. „Für die Gesundheit ist aber ein risikokompetenter und maßvoller Umgang entscheidend“.

Das Stichwort dafür sei Medienkompetenz. Diese sei wichtig für den Schutz der Gesundheit und ermögliche es Kindern und Jugendlichen, die Chancen digitaler Medien auszuschöpfen und Risiken zu reduzieren. Um einen reflektierten, selbstbestimmten und kritischen Umgang mit den Medien zu erlernen, seien die Eltern eine wichtige Stütze.

„Wichtig ist, dass die digitalen Kontakte in einer gesunden Balance zu persönlichen Treffen im realen Leben stehen“, betonte Korte. „Nur dann erfahren Jugendliche, was andere Menschen denken und fühlen und lernen, kooperativ mit ihrem Gegenüber umzugehen“.

Im Auftrag der KKH hat das Meinungsforschungsinstitut forsa im September rund 1.000 Kinder und Jugend­liche zwischen zwölf und 19 Jahren online zu ihrem Mediennutzungsverhalten befragt. Ausgewertet wurden zudem anonymisierte Daten von KKH-Versicherten im Alter von sechs bis 18 Jahren zu motorischen Ent­wicklungsstörungen (F82 nach ICD-10) und Sprachentwicklungsstörungen (F80 nach ICD-10 mit F80.0, F80.1, F80.8 und F80.9). © nfs/afp/aerzteblatt.de

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