Literatur:
siehe Gehaus bis 1900
Propyläen Weltgeschichte
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Abb. 1: Die ehemalige Judenschule
Abb. 2: Das Haus der Familie Rehbock
Abb. 3: Der Judenfriedhof vom Gemeindefriedhof gesehen
Abb. 4: Gehaus vom Judenfriedhof gesehen
Abb. 5: Die Grabsteine Rehbock und Nussbaum
Abb. 6: Grabsteine Kahn, Rehbock und Sonder
Abb. 7: ältere unbekannte Grabsteine
Abb. 8: Grabstein der Familie Nussbaum
Abb. 9: Blick vom Judenfriedhof über Gehaus zum Arzberg
Vorgeschichte der Judenverfolgung
Eigentlich sollte dies keine erwähnenswerte Besonderheit sein, dass in Gehaus auch Juden lebten, war dochJesus Christus auch ein frommer Jude. Vielleicht wollte er das Judentum reformieren, ganz sicher jedoch wollten das seine Jünger. Die christliche Religion jedoch hat erst Paulus, der vorherige Verfolger jener Sekte, die den Jeschua aus Nazaret für den Messias hielt, ins Leben gerufen. Als Folge der Verfolgung durch die Juden kam der Antijudaismus in die Evangelien und in die Paulusbriefe und diente seither als Begründung der Judenverfolgung sowohl im Oströmischen Reich und das erste Mal ganz heftig ausufernd unter den Westgoten in Spanien, nachdem sie den unter Germanen üblichen arianisch-christlichen Glauben ablegten und das nicänische Glaubensbekenntnis der Römer annahmen.
Zeiten der Verfolgung wurden seither von Zeiten der Toleranz abgelöst, so standen die Juden im karolingischen Reich unter den besonderen Schutz des Königs und Kaisers. Der König war überhaupt für alle verantwortlich, die keinen Schutzherrn hatten, so auch für die Juden und für solche ohne einen festen Wohnsitz, sei es, dass sie als Pilger durch die Lande zogen, sei es, dass sie aus anderen Gründen von Ort zu Ort wanderten, Karl sorgte dafür, dass sie überall gastfreundlich aufgenommen wurden. Während und im Gefolge des Kreuzzuges 1095 kam es zu Judenprogromen, in Köln z. B. erschlugen die Bürger, die nicht in das Heilige Land zu ziehen gedachten, die Juden als Erzfeinde und Mörder Christi an Ort und Stelle.
Heinrich IV. ließ 1103 den „Reichslandfrieden“ verkünden: Unter anderem durfte niemand um Lösegeld gefangen werden, und Kleriker und Mönche, Kaufleute und Juden genossen besonderen Schutz, auch Frauen sollten nicht mit Gewalt geraubt werden. Dieser Frieden hielt nur vier Jahre bis zur Machtübernahme durch seinen Sohn.
Als nach dem Fall des Kreuzfahrerstaates von Edessa 1144 Papst Eugen III. zu einem neuen Kreuzzug aufrief, artete am Rhein die Begeisterung des Pöbels in einem Massaker unter den Juden aus, dem erst der heilige Bernhard Einhalt zu gebieten vermochte. Auch späterhin wollten die Nichtadligen und Armen an der Kreuzzugsbewegung teilhaben und zogen in großen Scharen aus, einem messianischen Reich entgegen. Um die paradiesische Vollendung vorzubereiten, machten sie zuerst den dämonischen Feinden Gottes den Garaus, voran den Juden, die Christus gekreuzigt hatten.
In der Pestzeit um 1350 dienten die Verheerungen, die der Schwarze Tod anrichtete als Auslöser von Judenpogromen. Auf den Handelswegen aus dem Osten eingeschleppt und von Ratten und Flöhen verbreitet, überfiel er die Länder Osteuropas zwischen 1348 und 1350 und kehrte in der zweiten Jahrhunderthälfte in Abständen wieder. Der ersten Heimsuchung fiel ein erheblicher Teil – vielleicht ein Drittel – der Bevölkerung zum Opfer. Dass kerngesunde Menschen von der Seuche in wenigen Stunden hinweggerafft wurden, löste Panik und Wahnerscheinungen aus. Juden wurden in Massen niedergemetzelt, weil sie, um die Pest zu verbreiten, Brunnen vergiftet haben sollten. 1394 kommt es zum Meininger Massaker an den Juden. Weil diese, einer fingierten Anzeige zu folge, angeblich die Teilnehmer an einer christlichen Fastenpredigt zu überfallen beabsichtigen, richten die auf diese Weise fanatisierten Christen unter den Juden ein grausames Gemetzel an. Wer als Gefangener das Blutbad überlebt, erleidet wenige Tage später nach dem Willen des Bischofs Albert von Würzburg den Feuertod. Wie es heißt, „wird das Urteil am 17. Juli ohne alle Gnaden vollstreckt“.
Es ist bei dieser Vorgeschichte schon verwunderlich, dass unter diesen Umständen eine jüdische Gemeinde in unserem Dorf entsteht. Rechtliche Grundlage ist die Reichs-Polizeiordnung von 1548 (ein einheitliches Straf- und Prozessrecht für das gesamte Reich), in der der deutsche Kaiser Karl V. den übrigen Reichsständen (Adel, Kirche, reichsfreie Städte) das Recht zusichert, Juden auf ihrem Gebiet zu „halten“ und von ihnen Schutz- und Schirmgeld zu erheben.
1570 wird in der Gemeinde-Ordnung von Schafhausen bei Strafe von 10 Gulden, das ist damals sehr viel Geld, jeder davor gewarnt, von Juden zu kaufen oder sie zu beherbergen.
Trotzdem: Da den Juden erst im 19. Jh. das Stadtrecht zuerkannt wird, sind es außerhalb der Städte vor allem die kleineren Orte auf dem Lande, wo sich jüdische Gemeinden herausbilden. So wird 1695 in Aschenhausen der erste Jude aufgenommen.
Ansiedlung von Juden durch die von Boineburg
Doch schon Ende des 16. Jh. sind es die Boineburgs, die erstmals auch in unser Dorf Juden aufnehmen, und zwar 8 Familien. Mehr dürfen sich von Reichs wegen in einem Ort nicht aufhalten. Daher sind auch in Gehaus bis 1730 und in Stadtlengsfeld bis 1735 nie mehr als (8) Familien ansässig.
Dass die Boineburgs unser Dorf Juden öffnen, ist schon ungewöhnlich, wenn man bedenkt, dass bis dahin der Jude landesweit verfemt und geächtet, als Bettel- und Straßenjude despotischer Verfolgung durch die Obrigkeit und von Anfang an dem unversöhnlichen Hass der Nichtjuden ausgeliefert ist.
Die Boineburgs scheinen wenig von diesem Terror gegen die Juden zu halten. Vielleicht versüßt ja auch das Geld, das sie als Schutz- und Schirmgeld von den jüdischen Zuwanderern kassieren, die Ausübung dieser Toleranz.
Sonst unerwünscht, diskriminiert und verachtet, wird Gehaus auf diese Weise für heimatlose Juden zu einer Zufluchtstätte, wo ihnen Aufenthalts- und Wohnrecht, Schutz vor Verfolgung sowie die freie Ausübung der Religion gewährt wird.
Der ihnen gewährte Schutz erhält durch einen von den Boineburgs ausgestellten Schutzbrief seine Rechtskraft und das so lange, wie es im Schutzbrief des Wolf Bacharach aus dem Jahr 1764 heißt,
Der ungehemmten Zuwanderung von Juden und des Zulaufs von Straßen- und Betteljuden suchen sich die Gehauser zu erwehren, weil sie (nicht zu Unrecht?) eine Überfremdung sowie eine Verschlechterung ihrer Lebensverhältnisse befürchten. 1764 richten sie eine uns urkundlich überlieferte und von allen 70 Familien des Dorfes unterschriebene Eingabe an die Boineburgs, mit der dringlichen Bitte um Abhilfe dieses Zustandes. Als ihren „Syndicus“ benennen sie darin einen Johann Zierheim.
1765 verfügen deshalb die Boineburgs, dass die im Dorf lebenden Schutzjuden
weiterhin des verbrieften Schutzes teilhaftig sind, dieser jedoch künftig nur noch für den Hauserben väterlicherseits Gültigkeit haben soll, nicht mehr aber für die übrige Nachkommenschaft. Wie es heißt,
Ausgenommen von dieser Einschränkung, vermutlich Geldverleiher und sonstige Favoriten der Boineburgs sind die Familien des
Ein uns zugängliches Leumundszeugnis aus dem Jahr 1785 für einen Feist Schwartzschild aus Offenbach, ausgefertigt von der dortigen Judenschaft und beglaubigt vom Rat der Stadt, kann andererseits als Hinweis darauf gelten, dass die Boineburgs auf die Dauer dem unkontrollierten Zuzug fremder Juden und besonders ihres wachsenden Anteils an der Dorfbevölkerung doch Schranken setzen.
Schutzjuden sind sie bis zur Beseitigung der Boineburgschen Herrschaft im Jahr 1803 geblieben. In der napoleonischen Zeit sind sie als s. g. mosaische, jedoch den übrigen Gehausern gleichberechtigte Bürger Untertanen des Königreichs Westfalen. 1815, mit dem Anschluss des Amtes Stadtlengsfeld an das Großherzogtum Sachsen/Weimar wieder zu Schutzjuden geworden, werden ihnen mit der „Judenordnung“ 1823 überhaupt erstmals, wenn auch begrenzte Bürgerrechte zugestanden.
Dennoch, zurückblickend sind sie von Anfang an Menschen zweiter Klasse, Landfremde, entrechtet, weitgehend ihrer menschlichen Würde und Freiheit beraubt. Auch nach dem Verständnis der Boineburgs, wie das nicht deutlicher auch aus der von ihnen erlassenen Verordnung aus dem Jahr 1780 hervorgeht. Darin wird ihnen verboten,
Andererseits wird auf kaiserlichen Befehl bereits 1730 der Judenschaft, die damals kleine Gehauser Judengemeinde mag dazu gehört haben, als Sondersteuer der s. g. jüdische Opferpfennig abverlangt.
Geprägt von einem starken Gefühl religiöser Zusammengehörigkeit schließen sich auch unsere Gehauser Juden zu einer Synagogengemeinde (später als Kultusgemeinde bezeichnet) zusammen. Sie regelt ihr Zusammenleben auf der Grundlage einer eigens geschaffenen Gemeindeordnung unter der Leitung eines Vorstandes, dem der s. g. Parneß als Vorsteher, dessen Stellvertreter sowie 6 Deputierte angehören. Durch ihren gewählten Vertreter nimmt die Kultusgemeinde an der örtlichen Selbstverwaltung teil, bis sie ab 1926, vermutlich wegen des nur noch geringen jüdischen Bevölkerungsanteiles, dieses Recht nicht mehr wahrnimmt.
Bis dahin ist ein Meier Nußbaum ihr langjähriger Vertreter. Aus dem Jahr 1855 sind uns als Namen ein Baruch Nußbaum und aus dem Jahr 1865 ein Hirsch Bleiweiß überliefert.
Nur für die Männer der Gemeinde zugänglich, treffen diese sich regelmäßig zum Sabbat, dem jüdischen Feiertag, zur gemeinsamen Religionsausübung. Anfangs in ihren Wohnunterkünften, später, um die Mitte des 18. Jh., in ihrer als neues religiöses Zentrum errichteten Synagoge. Der Boden, auf dem sie steht, ist wie alles im Dorf, den Boineburgs lehns- und abgabepflichtig.
Es ist ein unscheinbares Gebäude, dem man seinen sakralen Charakter von außen nicht ansieht. Der einzige Raum, ein Betsaal, der außer schlichter, aus Rankenwerk bestehender Wandmalerei nichts Schmückendes enthält. Das einzige Mobiliar, roh gezimmerte Bänke und der Thora-Schrank (Aufbewahrungsort der Thora, auf Pergamentrollen geschriebenes, das alte Testament umfassende jüdische Religionsgesetz).
Letzter Rabbiner, die höchste religiöse Autorität der jüdischen Gemeinde, ist ein Lehrer Sigmund Cahn, dem es auch zufällt, beim Fleischer Jakob Nußbaum die Prozedur des rituellen Schächtens durchzuführen. Als Lehrer hat er die der Kultusgemeinde zustehende eine und einzige Lehrerstelle inne. Er verlässt noch rechtzeitig vor den Nazis das Dorf.
Ebenso wie die Synagoge als religiösen Mittelpunkt dürfte es von Anfang an die jüdische Schule (als Religionsschule) gegeben haben. Wir nehmen hierbei Bezug auf ein von den Boineburgs unter dem 31.8.1745 an die Schutzjuden Süßmann und Abraham Bacharach ausgestelltes Empfehlungsschreiben. Das Schreiben soll den beiden auf ihrer Reise Freizügigkeit an den damals zahlreich vorhandenen Landesgrenzen garantieren und entsprechend ihrem Anliegen, es ihnen ermöglichen bei ihrer reichen „Verwandtschaft“ (Hofjuden? ) in Frankfurt Mannheim und Heidelberg das für die Einrichtung einer Schule benötigte Geld aufzutreiben.
Es ist nicht auszuschließen, dass dieses erste jüdische Schulhaus, sicher nur ein primitives Bauwerk, damals schon oberhalb des „Trieplatzes“ auf dem Ort steht, wo sich heute uns Gehausern als „Judenschule“ geläufig, das Wohnhaus der Reuters erhebt (Abb. 1).
Um 1830 werden in der jetzt staatlich eingerichteten jüdischen 1-klassigen Elementarschule etwa 50 jüdische Jungen und Madchen unterrichtet.
Neu gebaut oder auch umgebaut (das Gebäude beherbergt von da an die Wohnung des jüdischen Lehrers) wird die Elementarschule auf der Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung 1867 mit der 2-klassigen christlichen Schule zur sog. Simultanschule vereinigt. Der Unterricht wird von da ab sowohl von christlichen Lehrern als auch von dem einen jüdischen Lehrer erteilt. Die Kultusgemeinde zahlt zur Kostenfinanzierung einen jährlichen Beitrag von 150 Mark und ist im Schulvorstand stimmberechtigt vertreten.
Der Rückgang des Anteils der jüdischen Kinder, im Jahr 1895 sind es von insgesamt 152 Schulkindern nur noch 11 jüdische Kinder, vor allem aber die Forderung der Elternschaft nach Erziehung ihrer Kinder durch christliche Lehrer, veranlassen den Schulvorstand, die Auflösung des „Simultanvertrages“ mit allem Nachdruck zu betreiben. Da die Kultusgemeinde jedoch daran festhält, bleibt es bei der bestehenden Regelung, bis im März 1933 die Simultanschule zwangsläufig ihre Pforten schließen und die jüdische Lehrerstelle preisgegeben werden muss.
Unvergessen noch bis heute sind für manchen Gehauser die Ziegen des Lehrers Cahn. In direkter Nachbarschaft zum Schulsaal untergebracht, und nur durch einen schmalen Gang von diesem getrennt, begleitet ihr Meckern als willkommene Einlage oft genug die sonst so tristen Unterrichtsstunden und oft genug auch sind sie die unschuldigen Opfer einer übermütigen Schuljugend.
Auswanderung von Juden um 1850
Nach Meys „Vaterlandskunde“ wächst bis zum Jahr 1826 der Anteil der jüdischen Einwohner an der Dorfbevölkerung auf 64 Familien bzw. 248 Personen an (in Stadtlengsfeld auf 145 Familien bzw. 542 Personen!). Fast jeder dritte Einwohner bei uns ist damals jüdischer Abstammung, Gehaus innerhalb des gesamten Großherzogtums Sachsen/Weimar nächst Stadtlengsfeld eines der Zentren der jüdischen Diaspora.
Zu welchem Zeitpunkt die Zuwanderung jüdischer Familien aufhört und wann die Abwanderung aus dem Dorf beginnt, ist nicht mehr so genau auszumachen. Fest steht nur, dass die jüdische Einwohnerschaft etwa von 1840 an sich ständig verringert. Erfasst von der um diese Zeit einsetzenden Auswanderungswelle kehren neben zahlreichen anderen Gehausern auch viele Juden unserem Dorf den Rücken.
Bevorzugtes Auswanderungsziel sind Amerika, aber auch Israel Kanada und andere Länder sowie die großen Städte, wie Erfurt und Frankfurt. Allein 1846 sollen 30 Auswanderer, darunter 20 jüdische Mitbürger, und lt. Kirchenchronik 1868 noch einmal in dieser Größenordnung, nämlich um 100 Personen (?), das Dorf auf Nimmerwiedersehen verlassen haben.
Ursache für diese Welle der Auswanderung sind ganz offensichtlich die Lebensverhältnisse in unserem Dorf, das seine Menschen nicht mehr ernähren kann und der wirtschaftlichen Entwicklung, besonders auch seines jüdischen Bevölkerungsanteils, nur wenig Raum zur Entfaltung lässt. In der Zeit vor und nach 1933 ist es die berechtigte Sorge um eine ungewisse Zukunft, derentwegen mancher der jüdischen Mitbürger statt des weiteren Verbleibs im Dorf die Emigration wählt.
Von den ehemals 248 Mitbürgern sind 1919 noch 60 und l920 noch 41 übrig geblieben. Es sind das 12 Familien, die das von ihren Vorfahren ererbte Besitztum nicht aufgeben, am ererbten Broterwerb festhalten und trotz des sie bedrohenden geistigen und physischen Terrors das Dorf nicht verlassen wollen.
Wer sind sie eigentlich, diese jüdischen Mitbürger, die einmal unter uns lebten, darunter einige bis zur letzten Stunde?
Vor allem sind es kleine Leute und als solche Nachfahren jener heimatlosen Juden, denen man seit dem Mittelalter jegliche Gewerbe- und handwerkliche Tätigkeit wie auch den Erwerb von Grundeigentum verboten, den als Kram- und Trödelhandel hausierend und auf Märkten betriebenen s. g. Schacherhandel aber zugestanden hat. Ihrem Geschäftssinn, der händlerischen Begabung und ihrer Kenntnis der Geldwirtschaft muss man es wohl zuschreiben, dass trotz mancherlei Beschränkungen durch die Obrigkeit sie es fertig bringen, diesen Schachermarkt nahezu vollständig für sich zu erobern.
Da sie auf Borg verkaufen, sind sie keine ungebetenen Gäste auf dem Lande, auch wenn mancher von ihnen wegen der Höhe des geforderten Zinses, wegen schlechter Warenqualität und des Gläschens Schnapses halber (als Animiermittel) sich den Vorwurf unlauterer Geschäftemacherei gefallen lassen muss.
Viele, die es zu etwas bringen wollen, haben dem Dorf, wie wir wissen, in der Vergangenheit längst den Rücken gewandt und Glaubensbrüder zurückgelassen, die es verstehen, sich auch in Gehaus einzurichten. In ihrer letzten Generation gehören noch folgende, vielen von uns Gehausern vertraute Namen dazu:
Eine Schlüsselstellung bis in die 20er Jahre hinein nehmen die jüdischen Händler im ländlichen Viehhandel ein. Es ist das ein Geschäft, bei welchem sie in Ställen und auf Märkten weit umher kommen und bei dem sie es verstehen, unter Mithilfe s. g. Schmuser (die ihnen verraten, wo Vieh steht), aus ihrer Kenntnis von Angebot und Nachfrage ihren „Rewach“ zu machen.
Da die Händler das Vieh häufig auf Borg gegen einträglichen Zins verkaufen, einen Zahlungsaufschub nicht oder aber nur gegen weitere Zinsverschuldung hinnehmen, bleibt es nicht aus (zumal sie auch beim Aufkauf von Vieh ihren Profit im Auge haben), dass sie sich bei ihrer bäuerlichen Kundschaft (ihre christliche Konkurrenz nicht ausgeschlossen) in gar nicht seltenen Fällen den Ruf eines „Halsabschneiders“ einhandeln. Trotzdem, ohne sie hätte es Handel und Wandel im ländlichen Viehhandel nur schwerlich gegeben und auch nicht für viele Bauern die langfristig geplanten, zumeist nur einmal zu erwartenden Geldeinkünfte beim Verkauf von Vieh.
Zwei von ihnen, bestimmt keine „Halsabschneider“ wohnten unter uns:
Da die Religionsgesetze den Verzehr von Schweinefleisch verbieten, beziehen unsere Gehauser Juden ihr „koscheres“ Fleisch über den Fleischerladen des Jakob Nußbaum, der seine Ware ebenso aber auch an christliche Kunden verkauft. Das Schlachtvieh ist vorübergehend in einem kleinen Stall, Heu und Stroh in einem kleinen Nebengebäude untergebracht. 1922 stirbt er im Alter von 50 Jahren. Sein Anwesen befand sich ehemals dort, wo heute in der Mittelgasse das Wohnhaus der Familie Garkisch (Haus Nr. 31) steht.
Jüdischem Geschäftssinn verdankt das Dorf seine bescheidene Korkindustrie. Von Samuel Rehbock eingeführt, etabliert sich in den 60-er Jahren diese 1856 in Dermbach begründete und bei uns als Heimindustrie (Heimarbeit) betriebene Korkproduktion. Für „Korkschniedersch“ und Möllersch bis zur Jahrhundertwende auf jeden Fall eine Einnahmequelle, auch wenn sie nicht gerade ergiebig sprudelt.
Das trifft auch auf Guido Baumbach zu, der sein Rohkork allerdings aus Geisa bezieht und diese Rohware ebenso wie die Fertigprodukte auf der Schubkarre (und vermutlich in Holzschuhen) hin und her transportiert. Später Steinklopfer muss er sich lumpiger Pfennige wegen, so Ratsprotokolle, oft genug mit der Gemeinde herumschlagen.
Geschäftstüchtig, wie sie sind, macht ihr Händlergeist auch vor der Gastronomie nicht halt. So besitzt lange schon vor den Rosenthals ein Moses Levi Blum eine auf seinem Haus ruhende, ihm privat verliehene Schankgerechtigkeit, die später auf die Steinerhöfer Gutsherrschaft übergeht.
Jetzt nehmen sie sich auch des Handwerks an. Wie wir aus der Kirchenchronik erfahren, gibt es 1851 einen Baruch Eppstein, der im Dorf als Schuhmachermeister ansässig ist.
Trotz aller Geschäftstüchtigkeit bleiben unsere Gehauser Juden doch nur die kleinen Leute, die auf ihre Weise recht und schlecht versuchen, mit dem Leben zu Recht zu kommen. Als Händler und Kaufleute achten sie auf ihren geschäftlichen Vorteil, verkaufen aber auch auf Pump, wenn den Gehausern das Geld ausgeht. Und das ist nicht selten der Fall.
Sie beschäftigen christliche Hausgehilfinnen, die es nach übereinstimmender Überlieferung bei ihnen gut haben.
Es fehlen nicht die schwarzen Schafe unter ihnen. In einem Schreiben aus dem Jahr 1773 an die „Hochwohlgeborenen Freiherrn“ will es der Levi Alexander nicht hinnehmen, dass einer im Dorf Synagogenvorsteher ist, der andere Leute um ihr Geld betrügt, sich an der Gemeinschaftskasse vergreift und Religionsgesetze offen verletzt. Dass weiterhin der „Jud Katz“ trotz Verbotes seine Geschäfte mit Weißmehl macht und der Rabbiner aus Vacha zwei Dukaten jährlich kassiert, obgleich er sich nur alle drei Jahre mal sehen lässt.
1793 ist eine Beleidigungsklage Liebmann Benedikt Katz contra Salomon Israel überliefert. Manch einer nimmt es mit dem „Schweinefleisch“ und dem Sabbat-Mandat nicht so genau. Menschlich-Allzumenschliches ist so auch unseren Gehauser Juden nicht fremd.
Sonst leben sie ihr Leben in der überlieferten alttestamentarischen Tradition, feiern ihre religiösen Feste und halten den „Schabbas“ (Sabbat) heilig, den sie als Tag der Besinnung nach althergebrachtem Ritus und mit dem Gottesdienst in der Synagoge begehen.
Das Zusammenleben über Jahrhunderte im Dorf hat zwischen Christen und Juden eine Gemeinschaft entstehen lassen, die durch Toleranz, gegenseitige Hilfe, gute Nachbarschaft und gemeinsame Interessen geprägt ist. Bei Knips heißt es hierzu: „...so wie sich in Lengsfeld die Juden zu den Christen verhalten, so friedlich vertragen sie sich auch in Gehaus“.
Angehörige der jüdischen Gemeinde sind im 1. Weltkrieg Soldaten, im 2. Weltkrieg als wehrunwürdig deklassiert.
Die Judenverfolgung durch die Nazis
Die Machtergreifung Adolf Hitlers und der von ihm gepredigte Judenhass gehen am Dorf nicht vorüber. Einige wenige tun sich hervor, viele sind Mitläufer, darunter mancher „pflichtgemäß“. Daneben gibt es im Bewusstsein der langen geschichtlichen Gemeinsamkeit die schweigende Mehrheit der Gehauser und ein Teil stupid Gleichgültiger.
Der Antisemitismus findet zumeist nachts statt. Da werden SS-Runen, Hakenkreuze und antijüdische Parolen an die Häuserwände gesprüht, Fensterscheiben eingeschlagen, hetzerische Sprechchöre inszeniert, die Schuljugend fanatisiert. Es gibt Fälle von physischer Gewaltanwendung.
Im Dorf taucht der Judenstern auf. Wo man versucht, ihn weniger offen zu tragen, sorgen Denunzianten dafür, dass sein leuchtendes Gelb an der Kleidung für die Bevölkerung unübersehbar wird.
Eine fast 400-jährige gemeinsame Geschichte scheint es nicht gegeben zu haben.
In der faschistischen Pogromnacht am 9. November 1938 wird Gehaus und seine Synagoge nicht vergessen. Es sind SA-Leute aus Dermbach, eskortiert von einigen Gesinnungsgenossen aus dem Dorf, die in das Gebäude eindringen, Mobiliar und Kultgegenstände demolieren, Bücher zerfetzen, Türen und Fenster einschlagen. Das Anlegen eines Brandes kann wegen Gefährdung der Nachbarhäuser durch Einsichtige verhindert werden.
Mehr von Zwang diktiert als freiwillig, von der jüdischen Gemeinde an das Baugeschäft Schanz verkauft, gehen Grundstück und Gebäude nach 1945 im Wege der Wiedergutmachung entschädigungslos an den Rechtsnachfolger, die Jüdische Landesgemeinde Thüringen in Erfurt, über. Diese veräußert das Gebäude an das Polstergeschäft Otto Christ, der eine Werkstatt darin einrichtet. Was die „Kristallnacht“ nicht vermocht hat, die Synagoge in Schutt und Asche zu legen, schafft schließlich ein Schadenfeuer. Auf dem Platz, wo die Synagoge einmal stand, erhebt sich heute das Wohn- und Geschäftshaus der Familie Kehr.
Die jüdische Schule übersteht den Terror der faschistischen Pogromnacht und ist heute, wie wir wissen, das Wohnhaus der Reuters.
Glas splittert in dieser Nacht bei Sally Kahn, dem man das Schaufenster einschlägt. Rundfunkgerät und Fahrrad, die man gelegenheitshalber mitgehen lässt, stehen am übernächsten Morgen unversehrt wieder vor der Ladentüre.
Körperlichen Terror muss in diesen nächtlichen Stunden die allein stehende Lene Nußbaum („Rai-Lene“) über sich ergehen lassen.
Was aus unseren Gehauser Juden geworden ist, wer von ihnen überlebt und wer der faschistischen Apokalypse zum Opfer gefallen ist, darüber gibt es nur wenige authentische Nachrichten. Man weiß sich zu erinnern, dass ein SS-Kommando eines Tages im Dorf auftaucht und jüdische Männer abholt. Auf den LKW, mit dem man sie abtransportiert, hat jemand aus dem Dorf ein Bund Stroh geworfen.
Es ist der 9. Mai 1942, für die über 80-jährige, inzwischen verstorbene Anna Weih ein unvergesslicher Tag, als die letzten Angehörigen der jüdischen Gemeinde, nicht ohne ihre Gefühle zu verbergen, auf dem Weg zum Bahnhof Oechsen das Dorf für immer verlassen. Es sind das die Frauen Lene Klüger, die regelmäßig kleine Päckchen an ihre Schwester ins Warschauer Ghetto schickte. Sophie Nußbaum und Martha Gottgetreu.
Aus einem Brief vom 8. Januar 1947, von einem Familienangehörigen an die Gemeinde gerichtet, wissen wir zuverlässig, dass die o. g. ledige Martha Gottgetreu im KZ Auschwitz umgekommen ist. Was aus den anderen Gehauser Juden geworden ist, können wir nur ahnen.
Die Reichsverordnung vom 1. April 1938 über die Anmeldung jüdischen Vermögens, von vielen Juden mit Recht als Bedrohung ihres Eigentums empfunden, hat auch bei uns im Dorf den Verkauf jüdischen Grund- und Bodens zur Folge. Daneben existieren jene Fälle, für die das Wiedergutmachungsgesetz vom 14.9.45 die Rückführung des Vermögens in den Fällen vorschreibt, wo jüdisches Eigentum durch Enteignung und Beschlagnahme widerrechtlich seinem Inhaber abgenommen wurde. Von den 15 Rechtsfällen dieser Art in unserem Dorf führen möglicherweise heute noch einige in Aktenschränken und Archiven ein Schattendasein.
Zeugen der Geschichte der jüdischen Gemeinde sind 12 ihrer noch heute bewohnten Häuser, die letzten von den ehemals im Dorf vorhandenen jüdischen Wohnstätten.
Gedenkstätte für vergangenes jüdisches Leben in Gehaus ist der jüdische Friedhof.
1745 erwirbt die damals noch kleine jüdische Gemeinde oberhalb des Dorfes am alten Weilarischen Weg ein Stück Land als Begräbnisplatz, für das sie laut Lehnsbekenntnis den Boineburgs einen Pachtzins von einem Gulden entrichtet. Mit dem Zuzug weiterer jüdischer Familien wird der Begräbnisplatz, der gleichzeitig Ruhestätte der Dermbacher Juden ist (nur zwei Familien!) immer wieder erweitert.
Wie man wissen will, ist der Friedhof zum Dorf hin einmal größer gewesen, bevor sein unterer und vermutlich ältester Teil im Zuge der Feldseparation (1875/80) durch den noch heute dort vorbeiführenden Feldweg abgetrennt wird und verschwindet.
Im gleichen Zusammenhang ist dem Chronisten aus seinen Kinderjahren jenes dunkel verhangene, pferdebespannte Leichenfahrzeug in Erinnerung geblieben und der lange düster anmutende Leichenzug, der dem verstorbenen Felix Nussbaum († 1923) aus Dermbach auf dessen letztem Weg auf der Strasse nach Oberalba (und weiter nach Gehaus) begleitet.
Sind es vor dem Krieg Leute aus dem Umfeld der NSDAP, so sind es nach 1945 jugendliche Rowdys, die sich wiederholt an Grabmälern und Grabsteinen vergreifen, sie besudeln, beschädigen und umstürzen. Sie sind längst wieder aufgerichtet. Bei vielen sind hebräische Inschriften, Jahreszahlen und Namen verwittert und kaum mehr entzifferbar. Manche der ehemals vorhandenen Grabstätten hat die Zeit dem Erdboden gleichgemacht. Zwei der heute 150 noch vorhandenen Gräber geben die in Sandstein gehauenen Jahreszahlen 1769 und 1777 frei.
Ein großes Grabdenkmal im oberen Teil des Friedhofs macht auf sich aufmerksam. Mehr als der schwarze Marmor ist es seine Inschrift, einem Memento gleich: „Gest. Theresienstadt 1942“. Eingemeißelt in den harten Stein hat die Inschrift die in ihrem Refugium am Baier lebende, 1989 verstorbene Holzbildhauerin Nana Teske-Wahl. Es ist die Erinnerungsstätte der Johanna Nußbaum aus Dermbach (Abb. 5 und 8).
Eine Reihe der Grab- und Gedenksteine hat uns Namen derer hinterlassen, die einmal zur Gehauser jüdischen Gemeinde gehörten. Wir begegnen da folgenden Namen:
Wer sich über das Absonderliche mancher Namensgebung wundert, mag wissen, dass es erst anfangs des 13. Jh. jüdische Familiennamen gibt. Soweit sie von oben nicht „verordnet“ sind, dürfen sie den sonst gebräuchlichen bürgerlichen Namen nicht entliehen sein.
Manche der ehemals vorhandenen Grabstätten hat die Zeit dem Erdboden gleichgemacht. Dass die Gräber von den Nachfahren derer, die hier ruhen, nicht vergessen sind, erfahren wir Gehauser, wenn gelegentlich Fremde ins Dorf kommen und sich nach dem jüdischen Friedhof erkundigen. Auf dem Grabstein liegt dann manches Mal ein einfacher Stein, anstatt der Blumen, ein anderes Symbol stillen Gedenkens.
In der Bewahrung des jüdischen Erbes ist es unsere Gemeinde, die das Gedenken an unseren jüdischen Opfer der nazistischen Gewaltherrschaft wach hält, nicht zuletzt auch durch die Unterhaltung und Pflege des jüdischen Friedhofes.
Den jüdischen Friedhof in unserem Dorf vor schleichender Zerstörung und als ein letztes Stück gemeinsamer Geschichte zu bewahren, muss uns alle angehen. Weil wir nicht zulassen dürfen, dass die Tragödie eines ganzen Volkes, darunter vieler, die einmal unter uns lebten jemals in Vergessenheit gerät.
Am 9. Nov. 1988 versammelt sich am jüdischen Friedhof mit Pfarrer Kister eine kleine christliche Gemeinde, um aus Anlass der 50-jährigen Wiederkehr der faschistischen „Kristallnacht“ zur Erinnerung zu mahnen und der Opfer des jüdischen Volkes ehrend zu gedenken.