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Ist die Krise männlich? – BEIGEWUM

Ist die Krise männlich?

am 9. September 2009 um 11:55h

Vor genau zehn Jah­ren warf sie end­gül­tig das Hand­tuch. Brooks­ley Born, damals Vor­sit­zen­de der Com­mo­di­ty Futures Tra­ding Com­mis­si­on, der für den Deri­va­te­han­del zustän­di­gen US-ame­ri­ka­ni­schen Auf­sichts­be­hör­de, hat einen lan­gen von Anfang an aus­sichts­lo­sen Kampf für die Regu­lie­rung der Kre­dit­de­ri­va­te ver­lo­ren und leg­te schließ­lich ihre Vor­sitz­funk­ti­on zurück. Alan Green­span, neben Finanz­mi­nis­ter James Rubin und Chef­be­ra­ter Law­rence Sum­mers einer ihrer mäch­ti­gen Geg­ner, warf ihr nicht nur Inkom­pe­tenz vor, son­dern ging einen Schritt wei­ter: Ihre Regu­lie­rungs­vor­schlä­ge wür­den gar eine Finanz­kri­se aus­lö­sen. Vor weni­gen Wochen erhielt Born eine gro­ße Aus­zeich­nung der John‑F.-Kennedy-Bibliothek in Bos­ton für ihren Mut. Hät­te sie sich damals mit ihren schein­bar harm­lo­sen For­de­run­gen nach einer Clea­ring­stel­le und Beauf­sich­ti­gung des Kre­dit­de­ri­va­te­han­dels durch­ge­setzt, wären die Aus­wir­kun­gen der Finanz­kri­se bei wei­tem nicht so dramatisch. 

Das Bei­spiel einer Frau, die einen aus­sichts­lo­sen Kampf für das Selbst­ver­ständ­li­che führt, ist mehr als die von Wis­sen­schaf­tern viel belä­chel­te anek­do­ti­sche Evi­denz. Die­ser Fall offen­bart zahl­rei­che struk­tu­rel­le Cha­rak­te­ris­ti­ka der Finanz­welt, die dar­auf hin­deu­ten, dass Finanz­kri­sen nicht bloß mit Regu­lie­rungs­ver­sa­gen, feh­len­der Moral oder makro­öko­no­mi­schen Ungleich­ge­wich­ten zusam­men­hän­gen. Die Kri­se ist sys­te­misch. Eine der sys­te­mi­schen Ele­men­te ist das Feh­len von Frau­en und deren Inter­es­sen in den regu­la­to­ri­schen Ent­schei­dungs­gre­mi­en. Die Finanz­kri­se ist männ­lich, aber nicht in dem simp­len Sin­ne, wie er oft dis­ku­tiert wird, dass Finanz­markt­ak­teu­re männ­lich sind. Letz­te­re sind Getrie­be­ne, die unter unge­heu­rem Ren­di­te­druck ein laxes Regel­werk aus­rei­zen, oder wie es John May­nard Keynes for­mu­liert hat: „Es gibt nichts, was so ver­hee­rend ist, wie ratio­na­les Anla­ge­ver­hal­ten in einer irra­tio­na­len Welt.“ Dass Frau­en in die­sem Regel­werk anders agie­ren wür­den oder kön­nen, ist frag­lich, wenn­gleich empi­ri­sche Unter­su­chun­gen gezeigt haben, dass Frau­en weni­ger risi­ko­freu­dig sei­en (Bar­ber and Ode­an 2001) und daher – ent­ge­gen dem gän­gi­gen Vor­ur­teil – stär­ker ratio­nal agier­ten, das Inves­ti­ti­ons­ver­hal­ten von Inves­to­ren männ­li­chen Geschlechts hin­ge­gen von über­trie­be­nem Selbst­ver­trau­en gekenn­zeich­net sei, das in kei­ner Bezie­hung zur Fähig­keit die­ser ste­he. Irra­tio­na­li­tät und inef­fi­zi­en­te, kri­sen­an­fäl­li­ge Märk­te sei­en die Folge. 

Betrach­tet man aber die Finanz­kri­se mit dem Blick einer his­to­risch und legis­tisch inter­es­sier­ten Öko­no­mIn, dann rücken soge­nann­te epis­te­mi­sche Netz­wer­ke ins Blick­feld, die in den letz­ten zwei bis drei Jahr­zehn­ten wesent­lich dafür ver­ant­wort­lich waren, dass sich neo­li­be­ra­le regu­la­to­ri­sche Prak­ti­ken, die am bes­ten mit dem Begriff der Selbst­re­gu­lie­rung umschrie­ben wer­den kön­nen, welt­weit aus­ge­brei­tet haben. An die Stel­le des Staa­tes tra­ten staat­lich-pri­va­te Netz­wer­ke: unab­hän­gi­ge Finanz­markt­auf­sichts­be­hör­den, Exper­ten und auch Ver­tre­ter der Finanz­in­dus­trie. Es ent­stand eine Struk­tur, in der sich natio­nal­staat­li­che und inter­na­tio­na­le, halb­staat­li­che und pri­va­te Netz­wer­ke über­la­gern, und die, wie der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Phil Cer­ny sagt, den im Mit­tel­al­ter übli­chen Herr­schafts­for­men nicht unähn­lich ist. Die­se epis­te­mi­schen Netz­wer­ke sind selbst-refe­ren­zi­ell; sie sind immun gegen Kri­tik von außen, da sie sich ihr nicht stel­len. Das über­bor­den­de Selbst­ver­trau­en und die Legi­ti­ma­ti­on, ein sol­ches zu haben, bezieht man aus der Zuge­hö­rig­keit zur Denk­schu­le der neo­klas­si­schen markt­ra­di­ka­len Öko­no­mie, ein von Männ­nern kon­stru­ier­tes Gedan­ken­ge­bäu­de, das die letz­ten Jahr­zehn­te umfas­sen­de Gül­tig­keit bean­spruch­te und dies nach wie vor tut.

Frau­en wer­den von die­sen Netz­wer­ken fern gehal­ten. Der Frau­en­an­teil in den diver­sen Komi­tees liegt im Durch­schnitt bei weit unter zehn Pro­zent (Schu­berth und Young 2009). Die Ent­schei­dungs­trä­ger sind fast aus­schließ­lich männ­lich, Ent­schei­dun­gen wer­den hin­ter ver­schlos­se­nen Türen getrof­fen. Frau­en sind hier aus­ge­schlos­sen, weil ihr Den­ken und Han­deln der öko­no­mi­schen Ratio­na­li­tät nicht ent­spre­chen wür­de, da sie wenig Ver­ständ­nis dafür auf­bräch­ten, so das Vor­ur­teil, dass nur das ziel­stre­bi­ge und durch Regu­lie­rung unge­stör­te Ver­fol­gen des Eigen­nut­zens im rau­en Wind des Wett­be­werbs den Fort­schritt für die Mensch­heit brin­gen wür­de. Frau­en, die mit­spie­len wol­len, müs­sen über­zeu­gend die­ses Vor­ur­teil wider­le­gen, so wie über­haupt der refle­xi­ve Mit­spie­ler das Äußers­te ist, was gedul­det wird. Sofern es den Frau­en gelingt, in die­se, Glau­bens­bru­der­schaf­ten nicht unähn­li­chen, exklu­si­ven Klubs vor­zu­drin­gen, ist dies mit hohen Anpas­sungs­leis­tun­gen ver­bun­den, mit der Unter­ord­nung unter die herr­schen­den Prin­zi­pi­en des öko­no­mi­schen Mainstream.

Finanz­markt­re­gu­lie­rung wird als tech­ni­sche Ange­le­gen­heit begrif­fen. Der Ein­satz von quan­ti­ta­ti­ven Model­len der Risi­ko­ab­schät­zung hat bei den Regu­la­to­ren eine Kon­trol­l­il­lu­si­on erzeugt – mit den bekann­ten Fol­gen. Die Bedeu­tung der Finanz­markt­re­gu­lie­rung geht aller­dings weit über die Siche­rung der Finanz­markt­sta­bi­li­tät hin­aus. Das angel­säch­si­sche Selbst­re­gu­lie­rungs­sys­tem hat nicht nur die Welt­wirt­schaft an den Rand des Abgrunds geführt, son­dern unab­hän­gig davon weit­rei­chen­de gesell­schafts­po­li­ti­sche Aus­wir­kun­gen gehabt: unter dem Druck der Aktio­närs­in­ter­es­sen wur­de Risi­ko indi­vi­dua­li­siert, Pen­si­ons­vor­sor­ge pri­va­ti­siert und sozi­al­staat­li­che Leis­tun­gen zurück­ge­drängt. Dies ging ein­her mit fal­len­den Lohn­quo­ten und Dere­gu­lie­rung und Fle­xi­bi­li­sie­rung der Arbeits­märk­te. Frau­en sind von die­ser Umge­stal­tung der Gesell­schaft beson­ders betrof­fen: die Pre­ka­ri­sie­rung der Arbeits­welt trifft sie äußerst hart, die hohen geschlechts­spe­zi­fi­schen Ein­kom­mens­un­ter­schie­de haben sich aus­ge­wei­tet, das Ver­mö­gen ist zwi­schen den Geschlech­tern noch stär­ker ungleich ver­teilt. Klar ist aber auch, dass die Erhö­hung der Staats­schul­den bereits jetzt den Druck enorm ver­stärkt, bei den Sozial‑, Bil­dungs- und Gesund­heits­aus­ga­ben ein­zu­spa­ren; der Ver­tei­lungs­kampf um knap­pe Bud­get­mit­tel wird inten­si­ver; Frau­en trifft das über­pro­por­tio­nal, da vie­le von ihnen Emp­fän­ge­rin­nen sozi­al­staat­li­cher Trans­fers sind. Die nach über­stan­de­ner Kri­se erfor­der­li­che Kon­so­li­die­rung des Bud­gets wird den Druck in die­se Rich­tung noch wei­ter erhö­hen. Das „Zurück­drän­gen der Frau­en an den Herd“, die Ver­rich­tung unbe­zahl­ter Haus‑, Pfle­ge- und Betreu­ungs­ar­beit wären die Folge.

Die Aus­ge­stal­tung des Finanz­sys­tems hat mas­si­ve Aus­wir­kun­gen auf die Lebens­be­din­gun­gen von Frau­en. Dass die­se nach wie vor in finanz­markt­re­gu­la­to­risch wich­ti­gen Ent­schei­dungs­gre­mi­en nicht ver­tre­ten sind, ist demo­kra­tie­po­li­tisch nicht zu akzep­tie­ren. Jene, die von wirt­schafts­po­li­ti­schen Maß­nah­men betrof­fen sind, müs­sen auch mit­ent­schei­den können.

In ihrer Dan­kes­re­de bei der Preis­ver­lei­hung unter­nahm Brooks­ley Born den ver­zwei­fel­ten Ver­such, an die Ver­nunft der Ent­schei­dungs­trä­ger zu appel­lie­ren, die selbst­ver­ständ­li­chen regu­la­to­ri­schen Schrit­te nun doch umzu­set­zen, ansons­ten, so Born „wer­den wir in den kom­men­den Jah­ren von den Fol­gen unse­res Schei­terns ver­folgt wer­den“. Da nicht die­je­ni­gen schei­tern, die die Kri­se ver­ur­sacht haben, geht die­ser Appell ins Leere.


Lite­ra­tur

Bar­ber, Brad M. and Ter­ran­ce Ode­an (2001), Boys will be Boys: Gen­der, Overecon­fi­dence and Com­mon Stock Invest­ment, in: Quar­ter­ly Jour­nal of Eco­no­mics. 116(1): 261–292.
Schu­berth, H: and B. Young, Finan­cial Mar­ket Regu­la­ti­on and Gen­der (2009), in: Young Bri­git­te and Dia­ne Elson (Hrsg.), Glo­bal Finan­cial Gover­nan­ce and Gen­der: Key Issu­es and Poli­cy Rules. Rout­ledge, (forth­co­m­ing 2009).


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