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Glieder

[488] Glieder. (Baukunst)

Sind die kleinern Theile, aus deren Zusammensetzung die zur Verzierung der Gebäude und der wesentlichen Theile derselben gehörigen Haupttheile, besonders die Gesimse, entstehen. Die verschiedenen kleinern und grössern Theile, woraus der im Artikel Attisch abgezeichnete Säulenfuß zusammengesetzt ist, sind Glieder desselben.

Die Glieder sind für die Gesimse beynahe, was die Buchstaben für die Wörter sind: und wie aus wenig Buchstaben eine unzählbare Menge von Wörtern kann zusammengesetzt werden, so entstehet aus der verschiedenen Zusammensetzung der Glieder eine große Mannigfaltigkeit der Gesimse, Füße und Kränze, wodurch so wol die verschiedenen Ordnungen sich von einander unterscheiden, als auch die Gebäude überhaupt ihren Charakter des Reichthums oder der Einfalt bekommen. Es ist nichts leichters, als unzählige Arten von Kränzen und Gesimsen zu erfinden; aber sie in jedem Falle so zu erfinden, wie sie sich für das Gebäude und den besondern Theil desselben am besten schiken, ist das Werk eines ganz verständigen und einen guten Geschmak besitzenden Baumeisters.

Die Glieder sind in Ansehung ihrer Form von zweyerley Gattung, nämlich platt oder gebogen; und diese letztere sind entweder einwärts oder auswärts, das ist hol oder bauchigt, oder halb auswärts und halb einwärts gebogen. Sie bekommen sowol nach der Verschiedenheit der Form, als nach der Größe verschiedene Namen. In Ansehung der Größe werden sie in große, mittlere und kleine Glieder eingetheilt. Die welche den sechsten Theil eines Models und darüber hoch oder breit sind, machen die Classe der großen Glieder aus; die, deren Höhe vom zwölften bis auf den sechsten Theil des Models steigen kann, gehören zu den mittlern; und die noch niedriger oder schmäler sind, als der zwölfte Theil des Models beträgt, sind die kleinen. Die gebräuchlichsten Glieder sind in folgenden Zeichnungen abgebildet.


Glieder

[488] Hierüber ist noch anzumerken, daß einige Glieder nach dem Orte, wo sie angebracht werden, andre Namen bekommen. So wird das Glied, was hier, und überall, wo es zur Absönderung zwischen zwey andre Glieder gesetzt wird, der Riem heißt, ein Ueberschlag genennt, wenn es das oberste Glied ist; und der Pfühl, wenn er an dem Hals einer Säule oder eines Pfeilers ist, wird ein Ring genennt.

Die Zusammensetzung der Gesimse aus den verschiedenen Gliedern ist in der Baukunst nicht so genau bestimmt, daß nicht bald jeder Baumeister darin seinem eigenen Geschmak folgen sollte. Es ist aber leichte zu sehen, daß eine geschikte Vermischung kleiner und großer, platter und gebogener Glieder, das Werk des guten Geschmaks sey, und daß die im vorhergehenden Artikel gemachten Anmerkungen auch hier gelten. Die Hauptsache kömmt auf zwey Punkte an: darauf, daß die Menge der Glieder das Aug nicht verwirre; und daß in der Ordnung derselben, so wol in Ansehung der Form, als der Größe, eine gefällige Abwechslung beobachtet werde.

Zwey Glieder von einer Art, oder von einerley Größe sollen nicht unmittelbar über einander liegen, und das Ganze, was aus der Zusammensetzung der Glieder entsteht, soll sich einigermaaßen gruppiren. Man sollte kaum denken, wie sehr viel eine gute Zusammensetzung der Glieder zur Schönheit eines Gebäudes beyträgt; es ist aber kaum etwas, woraus der gute oder schlechte Geschmak des Baumeisters schneller zu erkennen ist, als dieses.

In den antiken Gebäuden der besten Zeit sind alle Glieder glatt; aber mit äusserstem Fleiß und der größten Nettigkeit gemacht. Hingegen in den späthern Zeiten sind die ausgebogenen Glieder häufig mit Laubwerk und andern Schnitzwerk verzieret. Dieses scheinet, wenigstens an Außenseiten großer Gebäude, höchst unschiklich; weil man da, um das Gebäude im Ganzen zu übersehen, nie so nahe herantreten kann, daß solches Schnitzwerk in die Augen fallen könnte. Das Glatte ist allemal das Schiklichste.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 488-489.
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