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Herāt

[252] Herāt, 1) Königreich in Asien, zwischen Iran u. Kabul (Afghanistan), früher ein Theil von Khorasan, umzogen von Ausläufern des Paropamisos (Hezarieh); mildes Klima, das Thal zu beiden Seiten des Flusses Herirud ist mit Frucht-, bes. Obst- u. Blumengärten, Weinbergen, Kornfeldern u. Dörfern übersäet, bringt Safran, Pistaciennüsse, Mastix, Manna, Ispiruk (gelber Farbestoff), Birzund (Gummi), Seide, Eisen u. Blei, doch sind die Gruben schlecht bewirthschaftet; 3200 QM. groß, mit 1,500,000 Ew., welche größtentheils unterworfene Tadschaks, dann herrschende Afghanen, auch Turkomanen u. Juden sind; 2) Hauptstadt des Landes u. Residenz des Königs, wegen seiner Lage in fruchtbarer, vom Herirud durchströmter Gegend die Perle der Welt od. der Segensort, od. die Stadt mit 100,000 Gärten genannt; einst als prächtig gerühmt, ist H. jetzt eine Stadt mit engen, schmutzigen, finsteren Gassen, hat vier bedeckte Bazars mit 1200 Buden u. mehrere Moscheen; H. ist durch einen großen, mit vielen Castellen besetzten Wall befestigt u. hat eine sehr feste Citadelle; Trinkwasser erhält es durch Leitungen aus dem 11/2 Stunden entfernten Herirud; die Einwohner, 100,000, nach Anderen nur 45,000, fabriciren seidene u. wollene Teppiche, baumwollene u. Lederwaaren, bes. vortreffliche Säbelklingen u. treiben starken Handel. Zu den vorzüglichsten Ruinen bei H. gehören Bagh-Schahi (der Königsgarten) u. die von Mussalah (Ort der Andacht), von einem Timuriden zur Aufnahme der Reliquien das Iman Reza begonnen aber nicht vollendet. H. ist Handelsstadt u. Waffenplatz u. eine der wichtigsten Stationen der Etappenstraße zwischen Iran u. Hindostan. In dieser Wichtigkeit erkannt, wurde H. auch von jeher der Gegenstand, auf welchen alle Eroberer zwischen Vorder- u. Hinterasien ihr Augenmerk richteten. – H., eine uralte Stadt, hieß in der geschichtlichen Zeit Alexandria Ariorum; als Hauptstadt von Khorasan wurde es durch die Khalifen im 7. Jahrh. erobert u. theilte das Schicksal Khorasans; in der Mitte des 12. Jahrh. wurde es Sitz der Ghuriden, unter denen die Blüthe der Stadt begann; noch vor Ablauf dieses Jahrh. wurde es von dem Schah von Kharesm u. 1220 von Dschingis-Khan erobert, welcher Letztere die Stadt gänzlich zerstörte. Um die Mitte des 13. Jahrh. nahmen die Moluk Kurt Besitz von H. u. machten es zur Residenz einer eigenen Dynastie, unter welcher es 1291 nochmals von den Mongolen erobert wurde. Die berühmtesten Herrscher dieser Dynastie sind Fachr-Eddin u. sein Nachfolger Gajath-Eddin (zu Anfang des 14. Jahrh.). 1381 eroberte Timur H. mit ganz Khorasan, u. H. wurde nun Sitz einer Dynastie der Timuriden, unter denen bes. Hussein (seit 1467) viel für den Glanz H-s that u. es zu einem Sitz der Wissenschaften machte. Nachdem H. 1507 von den Usbeken erobert worden war, kam es 1510 in die Gewalt Ismael Sofis u. blieb nun bei Persien, bis es 1740 von den Afghanen genommen wurde. In dem Bruderkriege der Söhne Timur Schahs wurde Mahmud, der dritte derselben, 1818 nach H. vertrieben, wo er ein eigenes Reich gründete u. 1829 starb, worauf sein Sohn Kamran Schah die Herrschaft von H. übernahm. Neben ihm regierte Dost Muhammed, einer der Bare Kzi, nach seines Bruders Assim Khan Tode in Kabul. Damals singen auch die Interessen Rußlands u. Englands in H. sich zu begegnen an, die Russen wollten einen Weg nach Indien, durch Persien war er ihnen, vermöge der Abhängigkeit, in welcher Persien von Rußland stand, offen; aber weiter, durch H., legte ihnen Kamran Schah Hindernisse in den Weg, weshalb er in der Gunst Englands stand, denen dadurch ihr Indien gedeckt wurde. Kamran Schahs Feindschaft gegen Dost Muhammed benutzten die Russen, traten mit Ersterem in Verbindung u. reizten die Perser zum Kriege gegen H.; ein 1833 von den Persern unternommener Zug mißglückte, da die Herater von den Engländern unterstützt wurden. Durch die Vertreibung der Barekzi aus Kandahar u. Kabul u. die Zurückführung Schah Schudschahs, des Oheims Kamran Schahs, dahin im Jahr 1838 entfernten die Engländer zwar Fürsten, welche dem persischen u. russischen Interesse ergeben waren, aber da sie Kamran Schah, welcher vor seinem Oheim die Succession in Kandahar u. Kabul verlangte, zur Anerkennung Schudscha Schahs nöthigten, ihm auch verboten mit Mächten westlich von Afghanistan Verbindungen einzugehen, so legten die Engländer dadurch den Grund zu der Unzufriedenheit mit ihnen in H. In demselben Jahr machten die Perser eine zweite Expedition gegen H., die aber, da die Briten dem Kamran Schah Hülfe unter Major Todd u. Pottinger leisteten, wieder vergeblich war. 1843 starb Kamran Schah u. sein Vezir Yar Muhammed setzte sich nach der Vertreibung der Söhne seines Herrn selbst auf den Thron, u. ein Feind der Briten, warf er sich, um sich auf dem Thron zu erhalten, den Persern in die Arme. Am 31. Aug. starb er, u. sein Sohn Syed Muhammed bemächtigte sich der Regierung; aber die Nachbarn bestritten diese Erbfolge, zunächst Dost Muhammed machte Ansprüche, dann Heider Khan,[252] Sohn Dost Muhammeds, als Schwiegersohn des Vcrstorbenen, endlich Kohun Dil Khan, Khan von Kandahar, weil H. dem Namen nach ein Lehn von Kandahar war; Persien, weil es wieder erobern wollte, was es früher verloren hatte. Dost Muhammed wurde von den Engländern unterstützt, weil sie in H. eine Schutzmauer gegen Rußland haben wollten; Rußland concentrirte daher dort eine Streitmacht, um selbständig gegen H. vorzugehen, u. verband sich dazu schließlich mit Persien; u. mit russischer Hülfe machte der Schah von Persien 1855, nachdem Seyd Muhammed ermordet worden war, einen neuen Zug gegen H.; er schickte ein Heer unter Yussuf, einem Neffen Kamran Schahs, dahin, welcher sich Anfang December mit Übereinstimmung der Bewohner von H. dieser Stadt u. der Citadelle bemächtigte u. als Vasall Persiens nun Khan von H. wurde. Da Yussuf dadurch mittelbar ein Günstling Rußlands geworden ist, so hatte England in H. eine schwere Niederlage erlitten. Doch verlor Yussuf sowohl durch das rücksichtslose Auftreten der Perser, als durch die beabsichtigte Ausweisung eines englischen Agenten sehr bald an Einfluß; es kam zu einer Volksbewegung, bei welcher sich Esa Khan der höchsten Gewalt bemächtigte. Die persischen Truppen schritten zu einer Belagerung u. eroberten H. am 26. Oct. 1856. Da dies im Widerspruch mit einem persisch-englischen Vertrag von 1853 stand, so erklärte am 1. Nov. 1856 der englische Gouverneur von Ostindien den Krieg an Persien; die Engländer besetzten mehrere Inseln u. Plätze des Persischen Meerbusens, schlugen das persische Heer im Januar 1857 mehrmals u. zwangen Persien zum Frieden von Teheran (14. April 1857), worin der Schah von Persien auf jeden Anspruch auf H. verzichtete, u. sich im Fall einer Mißhelligkeit mit ihm dem schiedsrichterlichen Urtheil Englands unterwarf.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 252-253.
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