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Gerade

[215] Gerade, der Inbegriff von gewissen, durch Gesetz od. Herkommen bestimmten beweglichen Sachen, welche, wenn sie sich im Nachlaß des Ehemannes befinden, ausschließlich seiner Wittwe (volle G., Frauen-, Wittwengerade), u. wenn sie zur Verlassenschaft eines Frauenzimmers gehören, nur auf Frauenzimmer u. zwar solche vererbt werden, welche der Erblasserin weibliche Verwandte sind (Niftelgerade). Die G. bestand Anfangs nur in weiblichen Kleidern u. Schmuckgegenständen; später wurde sie auch auf gewisse Hausthiere ausgedehnt. Nach älterem deutschen Rechte erhielt beim Tode des Ehemannes die Wittwe stets ihre eingebrachten Güter zurück, von diesen konnten aber während der Ehe einige veräußert sein, u. sie wurde daher nach dem Sachsenspiegel dadurch entschädigt, daß sie die zur G. gehörigen Stücke als Eigenthum aus dem Nachlaß zurücknehmen konnte. Nach Andern gab in den Zeiten des Mittelalters, wo blos Männer das Heergeräthe eines Mannes erbten, zu der G. der Umstand Anlaß, daß man dem weiblichen Geschlechte einigen Ersatz für den durch die Vererbung des Heergeräthes erlittenen Verlust gewähren wollte. Die Geradeerbschaft ist von der übrigen Erbschaft ganz getrennt, so daß, wenn keine geradefähigen Erbinnen vorhanden sind, die Geradestücke nicht zu dem übrigen Nachlaß gerechnet werden, sondern als erbloses Vermögen dem Fiscus zufallen. Die G. wird auch der Erbin nicht bei ihrem übrigen Erbtheil angerechnet. Die Geradeerbin erwirbt das Eigenthum an den Geradestücken mit dem Tode des Erblassers; sie muß aber binnen Jahr u. Tag, nachdem sie den Anfall erfahren hat, die G. den Erben abfordern, außerdem verjährt die G. Wünscht eine Frau, daß ihre G. an einen Mann, wie an den Gatten, Sohn etc. falle, so muß sie die G. noch bei ihrem Leben an denselben verkaufen (Geradeverkauf). Meist wird dazu eine geringe Summe bestimmt, u. das Ganze ist eigentlich nur Scheinkauf. In neuerer Zeit ist die ganze G. in vielen Staaten aufgehoben worden.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 215.
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