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Doctor

[209] Doctor (lat.), 1) Lehrer; so hießen bei den Römern zur Kaiserzeit die öffentlichen Lehrer, bes. die Lehrer der Philosophie u. Grammatik, auch beim Heerwesen die Exerciermeister; 2) seit dem 12. Jahrh. Ehrentitel für Gelehrte. Zuerst soll Irnerius um 1130 Doctoren der Rechte creirt haben. Kaiser Friedrich I. legte, als man anfing auf den italienischen Universitäten das Römische Recht zu lehren, zuerst diesen Titel denen bei, die sich durch besondere Lehrgaben auszeichneten. Während darauf die Universitäten von den Kaisern das Recht erhielten, unter ihrer Autorität u. Namen Doctores legum zu ernennen, ertheilten die Päpste den Universitäten Privilegien, D. canŏnum u. D. decretalĭum zu ernennen. Beide Arten von Rechtslehrern, als Legisten u. Decretisten, lagen häufig mit einander im Streit. Später wurde es aber üblich, daß Rechtslehrer mit beiderlei Rechten sich vertraut machten u. nun den Titel: D. utriusque juris, erhielten. Nach dem Beispiel der Rechtsgelehrten wurden dann auch Doctores theologiae u. Doctores medicinae ernannt, Anfangs von den Päpsten u. Kaisern, dann von den Facultäten der Universitäten. Nur die Philosophen behielten ihren Ehrentitel Magister (s.d.) bis zu Anfang des 19. Jahrh., wo auch die Würde eines D. philosophiae, od. einzelner schönen Künste, z.B. Doctoren der Musik (in England) aufkam. Die medicinischen Facultäten ernannten in neuerer Zeit auch Doctores chirurgiae et artis obstetriciae, mit u. ohne Titel eines D-s der Medicin. Nach alter Verfassung soll, wer zum D. ernannt werden will, keine bürgerlichen od. sittlichen Flecken an sich tragen, welche die Würde entweihen könnten. Auch ertheilte die Doctorwürde einen persönlichen Adel (Doctorenadel), welchen man dem Geschlechtsadel gleich schätzte, ja wohl diesem selbst vorzog. Aus dieser Gleichsetzung gingen noch mehrere Vorrechtehervor. Nur in seltenen Fällen erhielten auch Frauenzimmer die Doctorwürde; neuere Beispiele sind Dorothea Schlözer in Göttingen, nachmals verheirathete Rodde, die 1787 von der philosophischen Facultät, u. Mariane Theod. Charl. v. Siebold in Darmstadt, die 1817 von der medicinischen Facultät in Gießen die Doctorwürde erhielten. Dagegen gehört es in den Vereinigten Staaten von Nordamerika nicht zu den Seltenheiten, daß Frauenzimmer die Würde eines D-s, namentlich in der Medicin, bekleiden. Juden erlangen in neuerer Zeit unbedenklich auf protestantischen Universitäten die medicinische u. philosophische Doctorwürde. Die Ertheilung der Doctorwürde geschieht gewöhnlich auf Universitäten in einem feierlichen Act, dem in der Regel eine Prüfung vorausgeht. Wird der Candidat von der Facultät für geeignez anerkannt, so erhält er auf mehreren Universitäten den Titel Baccalaureus od. auch Doctorand. In der Regel hat derselbe eine Inauguraldissertation, gewöhnlich in lateinischer Sprache, auszuarbeiten u. dieselbe drucken zu lassen. Der Dekan der Facultät ladet dann zur anberaumten Feierlichkeit durch öffentlichen Anschlag, gewöhnlich auch unter Ausgabe eines gelehrten Programms, die Mitglieder der Universität u. wer sonst daran Theil nehmen will, ein. Unter dem Vorsitz des Dekans der Facultät vertheidigt nun der Doctorand als Respondent gegen die Opponenten seine Schrift u. Thesen (Doctordisputation, s. Disputation), u. darauf erfolgt die Doctorpromotion durch den Dekan unter solennen Formeln u. Gebräuchen, worunter ehemals der Doctorhut (nach den Statuten purpurroth u. von viereckiger Form) ist, der dem Promovirten vom Dekan aufgesetzt wird. Gewöhnlich wird auch derselbe noch vorher durch ein solennes Angelöbniß (Doctoreid) verpflichtet. Nach beendigter Feierlichkeit erhält der creirte D. als D. legitime promotus von der Facultät eine pergamentene (jetzt meist papierene) Urkunde (Doctordiplom) über die erhaltene Würde; zuweilen folgt der Feierlichkeit ein solennes Mahl (Doctorschmaus). Die zu D-en Creirten, welche auf einer andern Universität Docenten werden wollen, werden hier durch die Nostrification (s.d.) in den Lehrerkreis aufgenommen. Außer dieser gewöhnlichen Weise ward sonst die Doctorwürde (Doctorat) auch durch bloße Autorität hierzu Berechtigter verliehen. Nicht nur die Deutschen Kaiser hatten ehemals das Recht, unmittelbar D-en zu ernennen, sich vorbehalten, u. in der Reichshofrathstaxe war für das Doctorat ein eigener Ansatz, sondern bis zur Errichtung der Reichsgerichte hatten auch die Hofpfalzgrafen (s. Pfalzgrafen 2) das Recht, D-en durch Bullen (Bullati doctores) zu ernennen. Auch ertheilen Facultäten, unter besonderer Begünstigung, ohne vorherige Promotion u. auch wohl Abwesenden Doctordiplome, ja als bloße Ehrenbezeigung auch, in seltenen Fällen, hohen u. durch besondre Verdienste ausgezeichneten Personen 3) Ehrentitel der Scholastiker: D. angelĭcus, Thomas von Aquino; D. authentĭcus, Gregorius von Rimini; D. christianissĭmus, Johann Gerson; D. dulciflŭus, Anton Andreä; D. facundus, Petr. Oriol; D. fundatissimus, Roman. Agidius; D. fundatus, Wilhelm Varro; D. illuminatus, Franc. Mayronis; D. irrefragabĭlis, Alexander v. Hales; D. mirabilis, Rog. Baco; D. ordinatissimus, Jos. Bassolis; D. planus et perspicuus, Walther Burleigh; D. profundus, Th. Bradwardin; D. resolutissimus, Durand von St. Pourçain; D. seraphicus, [209] Bonaventura; D. singularis, Wilh. Occam; D. solemnis, Henricus von Goethals; D. subtīlis, Duns Scotus. 4) D. concilii, auf einem Ökumenischen Concil ein zugezogener Geistlicher als Gelehrter, der nur consultative Stimme hatte, s. Concilium. 5) D. ecclesiae (Kirchenlehrer, in der Griechischen Kirche Didaskalos), Ehrentitel der Kirchenväter; in der Griechischen Kirche sind es bes. Athanasius, Basilius, Gregoriusv. Nazianz, Chrysostomus; in der lateinischen Augustinus, Hieronymus, Gregorius der Große, Ambrosius. In der griechischen Kirche hat der eigentliche D. das Amt, die Heilige Schrift zu erklären; neben ihm steht D. psalterii, D. evangelicus, D. apostolicus, welche blos die Psalmen, die Evangelien u. die Paulinischen Briefe erklären. Sonst hießen auch die Katecheten Doctores audientium, auch D. ecclesiastici. 6) D. mischnĭci, bei den Literaturhistorikern die jüdischen Gelehrten, welche in der Mischna vorkommen, zum Unterschiede von D. gemarĭci, welche in der Gemara vorkommen; beide heißen D. thalmudici, vgl. Talmud. 7) D. misericordiae (Lehrer der Barmherzigkeit), christliche Dogmatiker, welche auch Menschen, die von der Heiligen Schrift nichts wissen, aber rechtschaffen leben, ja auch den Verdammten u. den bösen Geistern dereinst die ewige Seligkeit zugestehen.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 5. Altenburg 1858, S. 209-210.
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