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Volksbücher

[231] Volksbücher, im weitern Sinn alle diejenigen Bücher, die unter allen Klassen und Ständen eines Volkes Verbreitung gefunden haben (s. Volksschriften); im engern Sinne die Werke der volkstümlichen Unterhaltungsliteratur, die gewöhnlich nicht auf buchhändlerischem Wege vertrieben, sondern auf Messen und Jahrmärkten feilgeboten werden. Der Ursprung vieler Bücher dieser Art reicht in das spätere Mittelalter zurück, in die Zeit, da in der Erzählungsliteratur das Interesse an der poetischen Darstellung vor dem Interesse an dem rohen Stoff zurückzutreten begann und die Prosaerzählung den poetischen Vortrag verdrängte. Nachdem man in Frankreich schon um die Mitte des 13. Jahrh. begonnen hatte, alte Epen in Prosa aufzulösen, wurden in Deutschland im 15. Jahrh. mehrere solche französische Prosaromane übersetzt, z. B. der von »Lanzelot«, von »Hug Schapler« (Hugo Capet; übersetzt von der Gräfin Elisabeth von Nassau), von »Pontus und Sidonia« (übersetzt von der Gräfin Eleonore von Vorderösterreich). Die noch bis heute weitverbreitete »Melusine« wurde von dem Berner Türing von Ringoltingen nach einem französischen Gedicht bearbeitet (1456). In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts veranstaltete man auch Prosabearbeitungen älterer deutscher Gedichte, z. B. des »Wigalois« von Wirnt von Gravenberg (1472) und des »Tristan« von Eilhart von Oberge (1483). Das Volksbuch vom »Herzog Ernst« (s. d.) schloß sich nicht an das ältere deutsche Gedicht, sondern an eine lateinische prosaische Version an, wie auch Steinhöwels zum Volksbuch gewordener Bearbeitung des »Königs Apollonius von Tyrland« die lateinische Erzählung des Gottfried von Viterbo zugrunde liegt. Beliebte V. waren auch verschiedene Reisebeschreibungen, namentlich die Reisen Marco Polos und Maundevilles. Daneben wurden auch weiterhin nach französischen Vorlagen Romanstoffe bearbeitet, die bis heute in den Volksbüchern fortleben, so die Geschichten von Fortunat und seinen Söhnen (ältester bekannter Druck 1509), von Kaiser Octavianus (1525), von den vier Haimonskindern (1535), von der schönen Magelone (1535). Neben dieser fortdauernden Aneignung fremder Stoffe entstanden auf deutschem Boden V., wie die von Till Eulenspiegel (s. d.), vom Doktor Faust (s. d.) und von den Schildbürgern (s. Lalenbuch). Vielleicht das jüngste aller V. ist die Erzählung von der Pfalzgräfin Genoveva (s. d. 2). Im 17. Jahrh. erlebten die V. vielfache Entstellungen, und die höhern Stände wandten sich hochmütig von ihnen ab. Der unvergängliche poetische Gehalt der meisten V. wurde von den Romantikern in der neuern Zeit wieder erkannt. Zuerst besprach sie J. Görres in seiner Schrift »Die deutschen V.« (Heidelb. 1807), wo das Wort zuerst in der jetzt gültigen Bedeutung angewendet ist. Tieck hat die Geschichte von der schönen Magelone wiedererzählt und die von Fortunat, Genoveva und Kaiser Octavian dramatisch behandelt. Aber erst G. Schwab in den »Deutschen Volksbüchern« (Stuttg. 1836; 15. Aufl., Gütersl. 1894) u. MarbachDeutsche Volksbücher«, Leipz. 1838–47, 44 Bde.) gelang es, die alten V. zu allgemeinerer Kenntnis zu bringen. Auch Simrock hat sich in dieser Hinsicht durch seine auf die alten Ausgaben gegründete »Sammlung deutscher V.« (Frankf. 1845–67, 13 Bde.; neue Ausg. 1886 ff.; Auswahl 1869, 2 Bde.) Verdienste erworben. – Englische V. hat Thoms (Lond. 1828, 3 Bde.) gesammelt; über die französischen V. belehrt Nodiers »Nouvelle bibliothèque bleue« (Par. 1842; vgl. Bibliothèque bleue).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 231.
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