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Sonett

[598] Sonett (ital., »Tönchen, kleiner Tonsatz«), lyrisches Gedicht aus 14 Elfsilbern, in zwei Teilen, der erste aus zwei Abteilungen von je vier Versen (Quartine, Quatrains), der zweite aus zwei von je drei Versen (Terzine) bestehend. Es ist nach den Untersuchungen von O. Hauser (»Literarisches Echo«, 1901/02) in Italien in der ersten Hälfte des 13. Jahrh. aus dem freiern provenzalischen sonet durch Vereinfachung der Form und ihre allmähliche Reduktion auf die geringst mögliche Zeilenzahl (14) entstanden. Alle andern Versuche, die Entstehung des Sonetts zu erklären, sind unhistorisch und künstlich. Die Variationen der Form neben der hauptsächlichst gebrauchten (Quinare, abba, abba, cde, cde) zeigen noch die ursprüngliche Freiheit. Das provenzalische sonet besteht aus mindestens zwei gleichgebauten Strophen mit je mindestens zwei Reimen, denen zwei Halbstrophen mit den gleichen Reimen folgen. Das italienische S. gibt (ebenso die italienische canzone dem provenzalischen canzon gegenüber) die Gleichreimigkeit auf und führt in den Halbstrophen allmählich völlig neue Reime ein, nachdem anfangs wenigstens einer der Ganzstrophen beibehalten worden war. Die wichtigsten Sonettformen der Zeit nach Dante sind das sonetto caudato, das an das »regelmäßige« S. (s. oben) noch eine dreizeilige Coda anfügt, das sonetto Anacreontico oder ottonario, regelmäßig gereimt, doch aus Achtsilbern bestehend, das französische sonet licencieux, das schon im zweiten Quartett neue Reime einführt, das Shakespeare-Sonett (abab, cdcd, efef, gg), das Spenser-Sonett (abab, bcbc, cdcd, ee), beide durch das Reimpaar am Schluß eine mehr epigrammatische Form. Die höchste Vollendung erreicht das S. in Italien mit Dante und Petrarca; die Zahl der italienischen Sonettendichter ist unendlich. In Frankreich ward das S. durch Mellin de Saint-Gelais und Cl. Marot (im 16. Jahrh.) eingeführt, von der Plejade zu hoher Vollendung gebracht, aber als Bouts rimés zum leeren Witz- und Reimspiel herabgewürdigt. Auch in England, wohin es in Umgestaltung durch Wyatt und Surrey verpflanzt ward, war es eine Zeitlang Modeform (Spenser, Shakespeare). In Spanien führten es Boscan und Garcilaso de la Vega ein, in Portugal Sa de Miranda; berühmt sind die Sonette des Camões. Die ersten deutschen Originalsonette schrieb Fischart, das französische Alexandriner sonett verpflanzten Weckherlin und Opitz nach Deutschland (Klang- oder Klinggedicht). Später geriet es in Vergessenheit, bis Bürger und dann die romantische Schule es von neuem aufnahmen und mit Eifer pflegten. Treffliche deutsche Sonette schrieben Schlegel, Goethe, Rückert, Platen, Chamisso, Herwegh, Geibel, Strachwitz u. a. In Holland ist das S. die bevorzugte Form der Moderne nach 1880 (Helene Lapidoth-Swarth, W. Kloos, Fr. van Eden u. a.). In England schrieben berühmte Sonette Elizabeth Barrett-Browning, D. G. Rossetti und A. Ch. Swinburne. Sonettenkranz ist eine Reihe von 15 Sonetten, von denen 14 durch ihre Anfangs- oder Endzeilen das 15., das sogen. Meistersonett, bilden. Vgl. Tomlinson, The sonnet, its origin, structure, etc. (Lond. 1874); Welti, Geschichte des Sonetts in der deutschen Dichtung (Leipz. 1884); Fröberg, Beiträge zur Geschichte und Charakteristik des deutschen Sonetts im 19. Jahrhundert (St. Petersb. 1904); Lentzner, Über das S. in der englischen Dichtung (Halle 1886); Biadene, Morfologia del sonetto nei secoli XIII e XIV (Rom 1888); D. Ferrari, La storia del sonetto italiano etc. (Modena 1887); Foresti, Nuove osservazioni intorno all' origine e varietà metriche del sonetto nei secoli XIII e XIV (Bergamo 1895).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 598.
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