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Knochenerweichung

[182] Knochenerweichung (Osteomalacia), eine seltene Krankheit des Skeletts, die bei Menschen und Tieren auftritt, beim weiblichen Geschlecht sehr viel häufiger als beim männlichen. Sie erscheint vornehmlich bei erschöpften, durch schlechte Nahrung, ungesunde Wohnung etc. herabgekommenen Personen und fast immer nur als sekundäres Leiden, meistens während der Schwangerschaft, oder auch im Verlauf andrer Krankheiten. Die Ursache der K. ist unbekannt; indes scheinen endemische, namentlich tellurische Verhältnisse, Beschaffenheit des Bodens, Trinkwassers etc. von Einfluß zu sein. So ist die Krankheit in gewissen Teilen Mitteleuropas, Hollands, des Rheinlandes relativ häufig, während sie sonst nur sporadisch vorkommt. Ein noch unerklärter Zusammenhang scheint zwischen Eierstockserkrankungen und K. zu bestehen; auch mit Erkrankung der Schilddrüsen wird sie von mancher Seite in ursachliche Verbindung gebracht. Bei der K. werden gewöhnlich eine größere Anzahl von Knochen oder auch das ganze Skelett zugleich befallen. Am meisten sind die Knochen des Rumpfes affiziert, weniger die Knochen der Extremitäten und noch weniger die des Kopfes. Die Knochen verlieren bei der K. ihre Kalksalze, während im Urin oft reichliche Niederschläge von phosphorsaurem Kalk erscheinen; es bleibt nur das organische, weiche und biegsame knorpelartige Substrat der Knochen zurück, das sich hochgradisch porotisch und in den Markräumen mit rötlichem Fett gefüllt zeigt. Während der normale Knochen 5–10 Proz. Wasser enthält, hat der osteomalazische bis 70 Proz. Wasser. Ist die K. auf ihren höchsten Grad gestiegen, so besteht die Rinde der befallenen Knochen nur noch aus Bindegewebe. Die Krankheit beginnt mit leichten reißenden, später sehr heftig werdenden Schmerzen in verschiedenen Teilen des Körpers. Die Kranken selbst geben an, daß die Schmerzen von den Knochen ausgehen. Am heftigsten sind die Schmerzen in den Gliedern, im Becken und im Brustbein. Der Gang wird schwierig, schwankend, unbeholfen und nach und nach unmöglich. Die Knochen verbiegen sich und knicken ein unter der Last des Körpers oder durch das Gewicht einzelner Glieder, durch die Zusammenziehung der Muskeln wie durch äußere Veranlassungen. Das Becken wird von rechts nach links zusammengedrückt, so daß die Schambeinverbindung schnabelartig nach vorn sich zuspitzt, während das Kreuzbein sich stärker wölbt und den Beckenausgang beträchtlich verengert. Die Extremitäten werden nach den verschiedensten Richtungen verbogen, und meist stellen sich bei hohem Grade von K. mehrfache Knochenbrüche ein. In keinem Fall von K. ist eine spontane vollkommene Herstellung zu erwarten; doch lassen die Erscheinungen öfters zeitweilig nach, um sich später wieder einzustellen. Neuerdings wird in Hinblick auf die Beziehungen zwischen Eierstockserkrankungen und K. vielfach die Kastration (operative Entfernung[182] der Eierstöcke) angewendet und damit in einem großen Teil der Fälle Heilung erzielt. Auch Darreichung von Phosphor ist vielfach bewährt gefunden worden. – Ein besonderes geburtshilfliches Interesse gewährt das osteomalazische Becken. Selbst wenn der Raum des kleinen Beckens fast auf Null reduziert ist, können natürliche Geburten in ganz leichter Weise erfolgen, indem der Beckenkanal bei der Geburt wie ein Gummischlauch ausgedehnt wird und nach der Geburt sofort wieder seine fehlerhafte Gestaltung annimmt. Vgl. Litzmann, Die Formen des Beckens, nebst einem Anhang über Osteomalacie (Berl. 1861); Virchow im »Archiv für pathologische Anatomie«, Bd. 4; Billroth und Winiwarter, Allgemeine chirurgische Pathologie und Therapie (15. Aufl., Berl. 1893); Rindfleisch, Lehrbuch der pathologischen Gewebelehre (6. Aufl., Leipz. 1886); Vierordt, Rachitis und Osteomalacie (in Nothnagels »Spezieller Pathologie und Therapie«, Bd. 7, Wien 1896); v. Winckel, Behandlung der Osteomalacie (in Penzoldt-Stintzings »Handbuch der Therapie innerer Krankheiten«, Bd. 6, Jena 1898).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 182-183.
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