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Kirchentöne

[58] Kirchentöne, die Tonarten (modi) der ältern Kirchenmusik, die verschiedenen möglichen Oktavausschnitte aus der Grundskala, die in der Zeit der einstimmigen (homophonen) Musik, d. h. im Altertum und Mittelalter bis um 900 n. Chr., sowie auch noch in der Blütezeit des Kontrapunktes (der polyphonen Musik, bis ins 17. Jahrh.) als besondere Tonarten angesehen wurden. Die ältesten Schriftsteller, die von den Kirchentönen reden (Flaccus Alkuin im 8. Jahrh., Aurelianus Reomensis im 9. Jahrh.), wissen von ihrem Zusammenhang mit der griechischen Musik nichts und numerieren sie einfach als 1.–8. Ton oder[58] als 1.–4. authentischen und 1.–4. plagalen (s. unten). Erst bei Notker und Hucbald (10. Jahrh.) tauchen für die K. dieselben Namen auf, welche die Oktavengattungen bei den Griechen hatten, aber in verkehrter Anwendung, wie sie sich bis auf den heutigen Tag gehalten haben. Über die Beutung der Namen bei den Griechen vgl. Griechische Musik (II: Oktavengattungen).

Die K. waren: 1) Der erste Kirchenton oder erste authentische (Authentus protus) D E F G ac d (unser: d e f g a h c' d'), seit Hucbald der dorische Ton genannt. 2) Der zweite oder plagale erste (Plagius proti, plaga proti, lateralis, subjugalis proti) A B C D E F G a (=A H c d e f g a), der hypodorische Ton. 3) Der dritte oder zweite authentische (Authentus deuterus) E F G ac d e (=e f g a h c' d' e'), der phrygische Ton. 4) Der vierte oder plagale zweite (Plagius deuteri) B C D E F G a ♮ (=H c d e f g a h), der hypophrygische Ton. 5) Der fünfte oder dritte authentische (Authentus tritus) F G ac d e f (=f g a h c' d' e' f'), der lydische Ton. 6) Der sechste oder plagale dritte (Plagius triti) C D E F G ac (=c d e f g a h c'). der hypolydische Ton. 7) Der siebente oder vierte authentische (Authentus tetartus) G ac d e f g (=g a h c' d' e' f' g'), der mixolydische Ton. 8) Der achte oder plagale vierte (Plagius tetarti) D E F G ac d (=d e f g a h c' d'), der hypomixolydische Ton. Die plagalen Töne (2. 4. 6. 8.) galten als bloße Verschiebungen der authentischen, sie hatten den Hauptton (Schlußton, Finalis) nicht als Grenzton der Oktave, sondern in der Mitte, als vierten Ton; Finalis des 1. und 2. Tones ist also D, des 3. und 4. E, des 5. und 6. F, des 7. und 8. G. Der 8. und 1. sind deshalb keineswegs identisch. Keiner der vier authentischen Töne hat den Schlußton C oder A; es fehlen daher die beiden Tongeschlechter, die heute die einzigen sind: (C) Dur und (A) Moll. Das 16. Jahrhundert, das zuerst die Prinzipien der Harmonie begriff (vgl. Zarlino) und den Weg zu den modernen Tonarten (Dur und Moll) fand, stellte deshalb zwei neue authentische Töne nebst ihren plagalen auf, den ionischen c d e f g a h c' und äolischen a h c' d' e' f' g' a', resp. hypoionischen G A H c d e f g und hypoäolischen e f g a h c' d' e', so daß nun 12 K. existierten. Das Beste über die harmonische Behandlung der K. im 16–17. Jahrhundert schrieben K. v. Winterfeld im 2. Band seines Werkes »Johannes Gabrieli und sein Zeitalter« (Berl. 1834) und Mortimer, »Der Choralgesang zur Zeit der Reformation« (das. 1820, Nachtrag 1823).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 58-59.
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