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Häßlich

[867] Häßlich ist ein objektiver ästhetischer Begriff (s. Ästhetik, S. 898), d. h. ein solcher, durch den auf eine objektive Eigenschaft, die unser Gefühl erweckt, hingewiesen wird, und bildet den Gegensatz zu dem Schönen (s. d.). Während sich der Haß auf Erscheinungen erstreckt, die moralischer Beurteilung unterliegen, ist h. fast ausschließlich ein ästhetisches Prädikat. Ist ein Gegenstand mit seinen Eigenschaften oder ein Zustand oder ein Vorgang derart, daß wir in ihm die wirkende Kraft der Natur oder die neuschaffende Bildkraft des Menschen sich gesetzmäßig, frei und ungehemmt betätigen sehen, so liegt das objektiv Schöne vor; wo dagegen diese Kräfte gestört, von gesetzmäßiger Betätigung abgelenkt und gehemmt werden, entstehen die Gebilde des Häßlichen. Auf sie reagieren wir mit einem charakteristischen Mißgefühl, das zu dem Wohlgefühl des Schönen im entschiedensten Gegensatz steht. Häßliche Gegenstände liegen vor in dem Verkrüppelten, Unentwickelten, gesetzwidrig Verbildeten, häßliche Zustände entstehen durch ein die gedeihliche Entwickelung des geistigen oder körperlichen Lebens hemmendes Zusammenspiel wirkender Kräfte, und ein Geschehen, das Wirken geistiger oder physischer Kräfte, heißt h., wenn es in sich verbildet, naturwidrig und dem Aufblühen und der Steigerung dieser Kräfte selbst oder aber andern Kräften schädlich oder geradezu feindlich entgegengesetzt erscheint. Der ästhetische Wert des Häßlichen ist gleichwohl nicht gering: es bildet den Hintergrund, von dem sich das Schöne erst wirksam abhebt, es ist die Vorbedingung der Entwickelung zur Vollkommenheit und als Durchgangspunkt zum Schönen oft unerläßlich. Es wird, je nach dem Stil, in dem ein Kunstwerk auftritt, bald breitern, bald engern Spielraum in Anspruch nehmen: der Naturalismus und Realismus nehmen es williger auf als der Idealismus. Auch wird dieser das Häßliche, soweit er es duldet, mildern und abtönen, während jene andern Stilarten eine treuere Wiedergabe der Natur vorziehen. Eine »Ästhetik des Häßlichen« hat Rosenkranz (Berl. 1853) veröffentlicht.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 867.
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