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Ersitzung

[76] Ersitzung (lat. Capio, Usucapio), Eigentumserwerb an einer beweglichen Sache durch zehnjährigen Eigenbesitz (s. Besitz). Während nach gemeinem Recht der Ersitzende nachweisen mußte, daß er während der Ersitzungszeit von Gründen, welche die E. unmöglich machten, nichts wußte, daß er guten Glaubens (bona fide) war, präsumiert das Bürgerliche Gesetzbuch diesen guten Glauben (§ 937, Abs. 2). Es genügt hiernach, wenn der Ersitzende bei Beginn der E. und am Schluß derselben in dem Glauben war, daß ihm das Eigentum an der zu ersitzenden Sache zustand. Eine kürzer als ein Jahr währende, vom Willen des Ersitzenden unabhängige Unterbrechung der E. durch Verlust des Eigenbesitzes wird bei Berechnung der Ersitzungszeit nicht beachtet. Dauert diese Unterbrechung aber länger oder wird gegen den Eigenbesitzer oder gegen den, der sein Recht zum Besitz von dem Eigenbesitzer ableitet, die Eigentumsklage erhoben, so ist die ganze bis dahin verstrichene Ersitzungszeit umsonst gewesen, und eine neue E. kann erst nach Beendigung der Unterbrechung wieder beginnen. Eine Hemmung der E. dagegen hat die Wirkung, daß die Ersitzungszeit entweder nicht zu laufen beginnt, oder falls sie bereits im Laufe war, daß die Zeit, während der die hemmenden Gründe vorliegen, nicht in[76] die Ersitzungszeit eingerechnet wird. Die Gründe der Hemmung sind die gleichen wie bei der Verjährung (s.d.). Dagegen wird die Ersitzungszeit des Rechtsvorgängers dem Rechtsnachfolger angerechnet (Anwachsungsrecht); wenn also beispielshalber A eine Sache neun Jahre lang gutgläubig besessen und sie dann dem B verkauft und übergeben hat, der gleichfalls gutgläubiger Besitzer geworden ist, so ist die E. nach Ablauf eines weitern Jahres vollendet. Rechte Dritter, die an der Sache vor dem Erwerb des Eigenbesitzes begründet waren, erlöschen mit der Vollendung der E., falls nicht der Eigenbesitzer bei dem Erwerb des Eigenbesitzes in Ansehung dieser Rechte im bösen Glauben war oder von ihrem Bestehen während der Ersitzungszeit Kenntnis erhalten hat. Von besonderer Wichtigkeit ist die E. für den Eigentumserwerb an gestohlenen oder sonst abhanden gekommenen Sachen, da der Erwerber einer derartigen Sache, selbst wenn er beim Erwerb im guten Glauben war, das Eigentum an ihr einzig durch E. erwerben kann. Ebenso können nunmehr Sachen des Fiskus und die der Kirche und frommen Stiftungen gehörigen Sachen ersessen werden. Das gleiche gilt von Sachen, die von Geschäftsunfähigen, wie Geisteskranken, Entmündigten etc., erworben werden, auch hier vermittelt einzig die E. das Eigentum. – Eine eigentliche E. an unbeweglichen Sachen, wie sie das gemeine Recht kannte, ist dem Bürgerlichen Gesetzbuch fremd. Nach diesem gibt es nur noch eine E. im Sinne des § 900, sogen. Tabularersitzung (s.d.), und eine E. durch Aufgebot. Nach § 927 kann nämlich das Eigentum an Grundstücken, die 30 Jahre im Eigenbesitz eines andern gewesen sind, im Wege des Aufgebotsverfahrens (s.d.) erworben werden. Derjenige, der das Ausschlußurteil im Aufgebotsverfahren erwirkt, erlangt dann das Eigentum an dem betreffenden Grundstück, sobald er im Grundbuch als Eigentümer eingetragen ist. War aber der bisherige Eigentümer im Grundbuch eingetragen, so ist das Aufgebotsverfahren und damit eine E. nur möglich, wenn er gestorben oder verschollen und in den letzten 301ahren keine der Zustimmung des Eigentümers bedürfende Eintragung im Grundbuch erfolgt ist.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 76-77.
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