[49] Dispersion (lat., Zerstreuung, Farbenzerstreuung), Zerlegung des weißen oder überhaupt des zusammengesetzten Lichtes oder andrer Strahlungen in die verschiedenfarbigen oder verschiedenartigen unsichtbaren Bestandteile vermöge deren verschiedener Brechbarkeit.
Fällt durch eine kleine, mit einem roten Glas bedeckte Öffnung b (Fig. 1) eines Fensterladens ein Bündel Sonnenstrahlen in ein verdunkeltes Zimmer, so erzeugt das rote Strahlenbündel auf einem in seinen Weg gestellten weißen Papierschirm einen hellen roten Fleck bei d. Geht das Strahlenbündel durch ein Prisma s, so wird es von der Kante des Prismas weg nach dessen dickem Teil zu gebrochen, und der rote Lichtfleck erscheint auf dem Schirm bei r seitwärts von d. Bei violettem Glas erscheint auf dem Schirm der violette Lichtfleck v weiter zur Seite geschoben als vorhin der rote, und bei grünem Glas erscheint der grüne Lichtfleck zwischen den beiden Stellen r und v. Verschiedenfarbige Lichtarten werden also durch das Prisma verschieden stark gebrochen und zwar das grüne Licht stärker als das rote, das violette Licht stärker als das grüne.
Fällt nun weißes Sonnenlicht auf das Prisma, so erscheint auf dem Schirm ein von r bis v sich erstreckendes farbiges Band, das Spektrum, das rot ist an der Stelle, wo vorhin der rote Fleck hinfiel, und violett, wo der violette Fleck sich gezeigt hatte, und in dem von r bis v der Reihe nach die Farben Rot, Orange, Gelb, Grün, Hellblau, Dunkelblau, Violett wahrgenommen werden. Das weiße Sonnenlicht ist mithin aus verschiedenfarbigen Lichtstrahlen zusammengesetzt, die durch das Prisma verschieden stark gebrochen und, indem sie nach den ihrer Brechbarkeit entsprechenden verschiedenen Stellen des Schirmes gelangen, voneinander getrennt werden. Die einzelnen Strahlen des Spektrums sind nicht weiter zerlegbar; denn fängt man das Spektrum auf einem mit einem kleinen Loch versehenen Schirm AB (Fig. 2) auf, so daß nur die Strahlen einer Farbe durch dasselbe dringen, so werden diese durch ein zweites Prisma p bloß abgelenkt,[49] nicht aber von neuem zu einem Spektrum ausgebreitet. Die Strahlen des Spektrums sind sonach nicht weiter zerlegbar und werden deshalb einfache (homogene, monochromatische) Strahlen genannt. Irrigerweise bezeichnete man, worauf zuerst Goethe (»Farbenlehre«) in seiner Polemik gegen Newton, den Entdecker der Dispersion (1666), mit allem Nachdruck hingewiesen hat, die einfachen Strahlen als einfache Farben, während, wie schon die Maler früherer Zeit erkannt hatten, nur wenige Grundfarbenempfindungen existieren, aus denen die andern durch Mischung entstehen (z. B. Rotgelb aus Rot und Gelb). Richtig ist allerdings, daß jede Strahlenart eine andre Farbenempfindung weckt, daß also das Spektrum unzählig viele Farben enthält, die sich in unmerklichen Übergängen zu einem ununterbrochenen Farbenband aneinander schließen (die oben aufgezählten sieben Farben sind nur die Hauptfarbentöne, die unser Auge unterscheidet), und daß keine Wiederholungen derselben Farbe vorkommen, doch ist es falsch, was auch heute noch vielfach geschieht, zu sagen, diese Farben (empfindungen) seien einfache, wie das Beispiel des Rotgelb sofort erkennen läßt.
Wenn weißes Licht eine Mischung ist aus den verschiedenfarbigen Strahlen des Spektrums, so müssen dieselben, wenn man sie wieder zusammenfaßt, weißes Licht geben, und in der Tat vereinigt eine große Sammellinse l (Fig. 3) den von dem Prisma s ausgehenden farbigen Strahlenfächer auf einem Schirm bei f zu einem weißen Lichtfleck. Der Lichtfleck hört aber sofort auf, weiß zu sein, wenn man eine der Farben aus dem Gemisch wegläßt. Bringt man z. B. ein schmales, schwach keilförmiges Glasstück vor die Linse und fängt damit z. B. die roten Strahlen des Farbenfächers auf, so werden diese zur Seite gelenkt und erzeugen auf dem Schirm seitwärts von f ein rot gefärbtes Bild; das Bild f, in dem sich jetzt noch die gelben, grünen, blauen und violetten Strahlen vereinigen, zeigt nun eine grünliche Mischfarbe. Jener rote und dieser grünliche Farbenton müssen, miteinander gemischt, wieder Weiß geben, was augenblicklich in dem Punkt f geschieht, wenn man den kleinen Glaskeil wieder entfernt oder durch einen zweiten gleichen, aber entgegengesetzt wirkenden Glaskeil die seitwärts gebrochenen roten Strahlen wieder nach f lenkt; denn der eine enthält gerade diejenigen Strahlenarten, die dem andern zu derjenigen Mischung, die uns als Weiß erscheint, noch fehlen. Zwei Farben, die in dieser Art sich zu Weiß ergänzen, nennt man Ergänzungsfarben oder komplementäre Farben. Indem-man das Glaskeilchen allmählich durch die ganze Länge des Spektrums schiebt, werden immer andre Farben zur Seite gelenkt, und die beiden Bilder auf dem Schirm zeigen nach und nach eine ganze Reihe komplementärer Farbenpaare. Man findet auf diese Weise, daß rote und grüne, gelbe und blaue, grünlichgelbe und violette Farbentöne sich gegenseitig zu Weiß ergänzen.
Lenkt man ein durch ein kleines Loch eingelassenes Bündel Sonnenstrahlen durch ein Prisma ab, so erhält man die einfachen Strahlen nicht vollkommen voneinander getrennt; da nämlich jede Strahlenart ihr eignes Sonnenbild erzeugt, das der zugehörigen Brechbarkeit entsprechend abgelenkt ist, so greifen diese Sonnenbilder wegen ihrer runden Gestalt mit ihren Rändern übereinander und vermischen sich teilweise. Um ein reines Spektrum zu entwerfen, läßt man die Strahlen durch einen schmalen Spalt auf eine von ihm um mehr als ihre Brennweite entfernte Sammellinse fallen, die für sich auf einem in geeigneter Entfernung aufgestellten Schirm ein scharf gezeichnetes Bild des Spaltes entwerfen würde; dicht vor oder hinter die Linse stellt man das Prisma so, daß seine Kaute mit dem Spalt parallel ist. Jeder Strahlenart entspricht alsdann ein abgelenktes Bild des Spaltes, und indem sich die unzähligen schmalen Spaltbilder nebeneinander legen, werden sie um so weniger übereinander greifen und sonach ein um so reineres Spektrum bilden, je schmäler der Spalt ist. Ein reines Spektrum erblickt man auch, wenn man durch ein Prisma mit bloßem Auge oder durch ein Fernrohr nach einem engen Spalt sieht, der mit der Kaute des Prismas parallel ist.
In einem auf diese Weise dargestellten reinen Sonnenspektrum gewahrt man eine Reihe seiner, dem Spalt paralleler dunkler Linien, die man nach Fraunhofer, der sie zuerst genauer untersuchte, Fraunhofersche Linien nennt. Sie sind in ungleichen Abständen über das ganze Spektrum verteilt; viele sind sehr sein, andre sind kräftiger. Ihre Entstehung ist von dem Stoff des Prismas unabhängig, sie sind sonach nichts andres als schmale Lücken in der Farbenreihe des Spektrums, aus deren Vorhandensein geschlossen werden muß, daß die ihnen entsprechenden einfachen Lichtarten im Sonnenlicht fehlen. Sie bilden innerhalb der allmählichen Farbenübergänge des Spektrums Merkzeichen, die immer denselben einfachen Lichtarten entsprechen und gestatten, jede Stelle des Spektrums bestimmt zu bezeichnen.
Fraunhofer hat acht der hervorragendsten mit den Buchstaben A bis H bezeichnet (Fig. 4). Die Linie A liegt im äußersten dunkeln Rot, B im Hochrot, C zwischen Rok und Orange, D zwischen Orange und Gelb, E im Gelbgrün, F zwischen Grün und Blau, G zwischen Dunkelblau und Violett, die Doppellinie H gegen das Ende des Violetts (s. Spektralanalyse).
Durch die Fraunhoferschen Linien wurde es zuerst möglich, die Brechungsverhältnisse verschiedener Stoffe für ganz bestimmte Stellen des Spektrums, nämlich für die Linien B bis H selbst, genau zu bestimmen, und dadurch gewannen diese Linien für die praktisch Optik eine hohe Bedeutung; denn nur auf Grundlage dieser genauen Kenntnis der Brechung und D. verschiedener Glassorten wurde es Fraunhofer möglich Linsen ohne D. (»achromatische« Linsen) herzustellen
Der Unterschied zwischen den Brechungsverhältnissen der äußersten Strahlen oder der Linien B und[50] H kann als Maß für die D. angesehen werden. Für Crownglas (d.h. das gewöhnliche zu optischen Zwecken verwendete Glas) beträgt die D. 0,021, für Flintglas (Bleiglas) 0,043, ungefähr das Doppelte. Als mittleres Brechungsverhältnis nimmt man gewöhnlich dasjenige für die Linie E an.
Jenseit des roten und violetten Endes des Spektrums finden sich noch unsichtbare Strahlen, d.h. solche, die im Auge keine Licht- oder Farbenempfindung erregen. Die jenseit des Rot auftretenden sogen. ultraroten Strahlen sind die dunkeln Wärmestrahlen, auch würden hier, falls in dem Strahlengemisch solche vorhanden wären, die Hertzschen elektrischen Strahlen, allerdings erst in größerm Abstand, auftreten. Jenseit des Violett erscheinen die sogen. ultravioletten oder chemischen Strahlen, die durch ihre Wirkung auf die photographische Platte oder mittels fluoreszierender Körper nachgewiesen werden können. Im Prinzip sind alle diese Strahlenarten gleich, es sind elektrische Strahlen, die sich lediglich durch die Schwingungszahlen (oder Wellenlänge) unterscheiden (s. Ausstrahlung von Wärme, Licht etc.).
Die D. ist, wie H. A. Lorentz (1880) u.a. nachgewiesen haben, darauf zurückzuführen, daß die Atome der Körper bewegliche elektrische Ladungen (Elektronen) enthalten, die durch die elektrischen Wellen zu Schwingungen angeregt werden und dadurch erstere beeinflussen. Sind Elektronen vorhanden, deren Schwingungsdauer mit der der Strahlung übereinstimmt, so tritt Absorption der betreffenden Strahlenart ein, im Spektrum zeigt sich ein schwarzer Streifen. Beispielsweise ist die Dispersionslinie des Sonnenspektrums erzeugt durch Absorption der betreffenden rotgelben Strahlen im Natriumdampf der Sonnenatmosphäre.
Leitet man weißes Licht durch einen Körper, der eine Strahlenart absorbiert, z. B. eine prismatische Schicht von Natriumdampf, so zeigt sich, in Übereinstimmung mit der Theorie, eine bedeutende Abweichung der Brechbarkeit der dem Absorptionsstreifen naheliegenden Strahlenarten von den normalen Werten, derart, daß die Farbenfolge im Spektrum eine wesentlich andre wird als bei einem vollkommen farblosen Körper. Schreitet man vom violetten gegen das rote Ende des Spektrums fort, so nimmt der Brechungsexponent bei Annäherung an den Absorptionsstreifen rasch ab, dann im Streifen sehr rasch zu, um dann wieder erst rasch, dann langsam abzunehmen. Man bezeichnet die Erscheinung als anormale D. Insofern dabei zwei Farben auseinander fallen können, also das Spektrum unrein werden muß, verwendet man zur Untersuchung nicht weißes, sondern homogenes Licht, in der Art, daß man durch ein gewöhnliches Prisma ein schmales Spektrum entwirft und dieses durch ein dazu gekreuztes Prisma des absorbierenden Körpers betrachtet. Besonders geeignet erweisen sich für die Versuche Prismen aus Cyanin. Sehr auffallend ist die anormale D. bei Quarz, insofern derselbe sehr langwellige Strahlen (Wärmestrahlen) viel stärker bricht als violettes Licht, so daß man diese ultraroten Strahlen im Spektrum jenseit des violetten Endes findet, statt jenseit des roten. Selbst beim Glas ist die Farbenverteilung im Spektrum keine gleichmäßige, den Wellenlängen entsprechende. Zur Herstellung vollkommener Spektra benutzt man deshalb das Beugungsgitter (s. Spektralanalyse). Vgl. Drude, Lehrbuch der Optik (Leipz. 1900). Innere oder epipolische D., veraltete Bezeichnung für Fluoreszenz (s. d.).
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