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Erdbeben

[474] Erdbeben, plötzliche, rasch vorübergehende Erschütterungen des Erdbodens, deren Ursachen auf Bewegungen in der Erde selbst zurückführen. Die Erschütterungen sind durchaus unabhängig von außerirdischen Kräften und Erscheinungen, und ihr tägliches Vorkommen an irgend einem Punkt der Erde beweist zur Genüge, daß die von mancher feste behauptete Beziehung zur Bewegung des Mondes auf irrigen Voraussetzungen beruht [1].

Die Bewegungen des Erdbodens sind verschiedener Art. In der Nähe der Vulkane beobachtet man häufig eine zitternde Bewegung. Stärkere Erschütterungen äußern sich entweder als senkrecht von unten nach oben gerichtete oder seitliche Stöße. Die von unten wirkenden Stöße schleudern lose oder wenig befestigte Körper auf der Erdoberfläche in die Höhe, z.B. Felsblöcke, Häuser u.s.w. Die seitlichen Stöße in der Erde erzeugen meist wellenförmige Bewegungen und ihre Wirkung auf die Erdoberfläche besteht in der Regel in einem Hinundherschwanken besonders derjenigen Körper, welche die Oberfläche hoch überragen, Felsen, Häuser, Bäume, Schornsteine, Säulen u.a. Dieses Schwanken läßt nichtbiegsame Körper (Mauerwerke) bersten, entzwei- und zusammenbrechen und versetzt die feste Oberfläche in ähnliche Bewegungen, wie sie die Oberfläche der bewegten See zeigt. Die zerstörenden Wirkungen der Erdbeben, nebenbei gesagt der verheerendsten von allen Naturereignissen, sind also: Risse und Sprünge im Mauerwerk, Einsturz von Gebäuden, Abbruch und Absturz von Felsmassen, Zerschmettern und Niederwerfen von Menschen und Tieren, Austritt des Wassers in Flüssen, Seen[474] und Meeren über die Ufer und Ueberschwemmungen durch Sturzwellen, Erzeugung von Spalten und Rissen (Schlünde) im Erdboden, teils von radialstrahliger, teils von paralleler Anordnung. Daran schließen sich noch Ausbrüche von Gas, Schlamm und Wasser an, die, durch die Bewegung des Erdbodens am Ort ihres Vorkommens in der Erde zusammengepreßt, sich durch die gebildeten Schlünde und Spalten einen Ausweg auf die Erdoberfläche suchen. Das Maß der Schwankung und die Wirkung der Erdbeben äußert sich an Gebäuden um so heftiger, je höher sie den Erdboden überragen. In Bergwerken und unterirdischen Räumen bleiben Erdbeben oft unbemerkt [2].

Hinsichtlich der Fortpflanzung der Beben unterscheidet man lineare, bei denen die Fortpflanzung nach einer Richtung hin geschieht, und zentrale, die sich von einem Erschütterungszentrum nach allen Seiten fortpflanzen. Die linearen Beben werden in ihrer Fortpflanzungsrichtung durch die Bruchlinien längs den Abfällen langer Gebirgszüge oder längs Meeresküsten bestimmt; z.B. in Südamerika fallen die linearen Beben in die Zone zwischen dem Kamm der Anden und der Westküste. Bei den zentralen Beben pflanzt sich die Bewegung wie die Wellen fort, die durch einen ins Wasser geworfenen Stein erzeugt werden [2]. – Die Gesteinsbeschaffenheit des Erdbodens ist für die Fortpflanzung des Bebens von größter Wichtigkeit. In festen, elastischen und gleichmäßig beschaffenen Gesteinen ist die Bewegung auch eine gleichmäßige, in lockeren, zusammenhangslosen Gesteinen (Konglomerat, Kies, Sand) ist die Bewegung unregelmäßiger und an der Oberfläche des geringen Zusammenhanges wegen furchtbarer. Solche Gesteine werden förmlich geschleudert oder in springende Bewegung versetzt. Die schlimmsten Wirkungen der Erdbeben treten meist da ein, wo eine Decke von lockerem Gestein auf festem aufruht. Da, wo festes Gestein zutage tritt, sind die Bewegungen am geringsten. Das Maß der Fortpflanzung ist bei lockeren unelastischen Gesteinen natürlich geringer als bei feueren und elastischen. Außerordentlich stark sind die Wirkungen des Erdbebens im Meer durch die Erzeugung von starken und plötzlichen, Ebbe und Flut ähnlichen Erscheinungen. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit, die Entfernung, um welche die Bewegung in der Zeiteinheit von einem Ort zum andern gelangte, wechselt zwischen 200 und 1000 m in der Sekunde. Die Dauer der Beben ist meist eine sehr geringe. Innerhalb weniger Minuten vollzieht sich die furchtbarste Katastrophe; Lissabon wurde binnen fünf Minuten, Caracas (Südamerika) in dreißig Sekunden und Casamicciola (Ischia) in einem noch geringeren Zeitraum gänzlich zerstört. In andern Fällen wiederholen sich die Beben durch längere Zeiträume hindurch sehr oft. Die Größe der erschütterten Gebiete beträgt meist mehrere tausend Quadratmeilen [2].

Die Ursachen der Erdbeben sind einzig und allein Bewegungen (Auslösungen von Spannungen) im Innern der Erde selbst. Solche können auf verschiedene Weise zustande kommen. Bei den Einsturzbeben wird die Schaffung eines Hohlraumes vorausgesetzt, in den die schützende Decke und der Rand hineinstürzen. Die vulkanischen Beben werden durch Explosionen und Entweichen von Gasen im Eruptionskanal oder vulkanischen Herd hervorgerufen und pflanzen sich vor jeder Eruption nach allen Seiten vom Vulkan aus fort. Die tektonischen Beben führt man auf Brüche in den Gebirgsschichten infolge der Zusammenziehung der Erdkruste und des Druckes der Schichten aufeinander zurück. Diese Art Beben wiederholen sich in längeren Zeiträumen in großer Heftigkeit vornehmlich in gefalteten Gebirgen und an den Abbruchslinien derselben gegen Ebenen. Sie gelten als die heftigsten aller Beben und sind zumeist auf bestimmte Linien beschränkt (Schütter- und Stoßlinien), die für einige Gegenden bereits bekannt sind [2]. Um von Erdbeben Fortpflanzungs- und Stoßrichtung kennen zu lernen und zu registrieren, hat man Apparate konstruiert, die als Seismometer oder Seismograph bezeichnet werden und, wenn sie zugleich die Zeit des Bebens festlegen sollen, als Seismochronograph [3]. – Um die verheerenden Wirkungen der Erdbeben zu mildern, gibt es nur unvollkommene Mittel. Man hat versucht, dem Einsturz von Häusern und Bauwerken in Schüttergebieten dadurch zu begegnen, daß man in der Höhe derselben nur ein Stockwerk zuließ und die Basis der Gebäude möglichst breit schuf. Auch im Baumaterial glaubte man sich mehr an zähe, nicht spröde, und nachgiebigere Stoffe halten zu müssen, z.B. auf Ischia Holz für Wände und als Dachbedeckung Blech. In andern Schüttergebieten Italiens hat man die Mauern mehrstöckiger Häuser in den höheren Stockwerken durch Bogen über die Straße miteinander verbunden, damit sie sich gegenseitig stützen.


Literatur: [1] Fuchs, Statistik der Erdbeben von 1865–1885, Sitzungsberichte d. Wiener Akad., 1886, XCII, I. – [2] Fuchs, Vulkane und Erdbeben, Leipzig 1875; Heim, Die Erdbeben und deren Beobachtung, Basel 1880; Schmidt, A., Studien über Erdbeben, 2. Aufl., Leipzig 1879; Girard, Recherches sur les tremblements de terre, Paris 1890; Hörnes, Erdbebenkunde, Leipzig 1893; Vinot, Etudes sur les tremblements de terre, Paris 1893. – [3] Ewing, Earthquake measurement, Tokio 1883. – [4] Sieberg, Handb. d. Erdbebenkunde, Braunschweig 1904.

Leppla.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 3 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 474-475.
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