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Chasles Satz

[436] Chasles Satz über das Kräftetedraeder. Ein Kräftesystem, das an einem unveränderlichen Punktsystem angreift, ist nicht in allen Fällen durch eine einzelne Kraft ersetzbar, wohl aber durch eine Einzelkraft in Verbindung mit einem Kräftepaar, und zwar ist diese Ersetzung auf unzählig viele Arten möglich. Dagegen ist es stets durch zwei Kräfte, deren Richtungslinien sich kreuzen, ersetzbar, und zwar ebenfalls auf unendlich viele Arten. Für alle diese Ersetzungen ist das Tetraeder, das aus den beiden Strecken, die diese Kräfte darstellen, als Gegenkanten gebildet werden kann, von konstantem Volumen. Die Richtungslinie einer der beiden Kräfte ist willkürlich wählbar.

Zum Beweise dieses Satzes gehen wir von der Reduktion (R, G0) des Kräftesystems für die Zentralachse μ0 aus (s. Aequivalenz der Kräfte). – Es sei P O der kürzeste Abstand irgendeiner Geraden g, die wir zur Richtungslinie einer der beiden Kräfte wählen wollen, die zusammen dem Kräftesystem äquivalent sein sollen. Wir übertragen die Reduktion auf den Fußpunkt P des kürzesten Abstandes P O und bilden die Reduktion der Kräfte (R, G) für P, wofür [436] G cos ψ = G0 ist, wenn ψ den Winkel bedeutet, den das Achsenmoment G für P mit der Richtung des Reduktionsresultanten bildet und die Ebene von ψ zu P O senkrecht ist, also die drei Linien G, g, R in eine zu P O senkrechte Ebene fallen. Senkrecht zu G legen wir durch P O eine Ebene, welche die Ebene des Winkels ψ in der Geraden h scheiden wird. Die Resultante R zerfallen wir in die beiden Komponenten r und ρ längs g und h und benutzen die Rechtwinkligkeit des Achsenmomentes G und der Komponente ρ zur Parallelverlegung von ρ in jener Ebene in die Linie h, die durch den Punkt Q auf P O so zu ziehen ist, daß ρ P Q = G, d.h. G durch das bei der Verlegung entstehende Paar ρ · P Q getilgt wird. Hierdurch ergibt sich, daß die Reduktion (R, G) des Kräftesystems und also dieses selbst der Verbindung (r, ρ) der sich kreuzenden Kräfte r, ρ äquivalent ist, wobei r in der Linie g, ρ in der Linie h wirkt. Die Richtungslinie g von r ist hierbei willkürlich, nicht aber die Größe von r, die vielmehr aus der Zerlegung von R sich. ergab.

Die Vollendung des rechtwinkligen Parallelepipeds zeigt, daß dessen Volumen das Produkt aus dem Zerlegungsparallelogramm r ρ sin (r ρ) der Resultanten R und der Strecke P Q ist. Es ist aber r sin (r ρ) = R sin (R ρ) = R cos ψ, da G zu ρ senkrecht steht. Daher ist das Volumen P Q · r ρ sin (r ρ) = PQ · ρ R cos ψ, oder weil P Q · ρ = G ist, G R cos ψ = G0 R, weil G cos ψ = G0. Es ist aber G0 das Paar der Reduktion für die Zentralachse und so wie die Reduktionsresultante R konstant für jede Wahl von g, d.h. für alle Reduktionen des Kräftesystems auf zwei sich kreuzende Kräfte r ρ. Das Volumen des genannten Parallelepipeds ist aber das sechsfache Volumen des Tetraeders aus den beiden Kräften r an P und ρ an Q.

Man sieht, daß der Beweis des Satzes darauf beruht, daß G R cos ψ bei allen Reduktionen eine Invariante des Kräftesystems ist. – Das Volumen des Tetraeders verschwindet sowohl, wenn eine der beiden Gegenkanten r, ρ verschwindet, als auch wenn beide verschwinden, als auch wenn beide in eine Ebene fallen. Daher gibt das Verschwinden des Kräftetedraeders kein Kennzeichen für die Sonderfälle der Reduktion des Kräftesystems auf eine Einzelkraft oder des Gleichgewichts derselben. Der Satz gilt in gleicher Weise in der Theorie der Bewegungen, der Winkelgeschwindigkeiten, der Beschleunigungen u.s.w. wie der Kräfte (s. die Art. Geometrie der Bewegung, Winkelgeschwindigkeit und Winkelbeschleunigung).

Der Satz wurde von Chasles gefunden und zuerst mitgeteilt in der Correspondance mathém. von Quetelet, t. VI (1828), sodann von Gergonne in den Annales de Mathém., t. XVIII, S. 372 ff. analytisch bewiesen. Möbius gab in Crelles Journ. für reine und angew. Mathematik, Bd. 4, S. 179 ff. einen weiteren Beweis und verallgemeinerte den Satz zu folgendem: In einem System von n Kräften ist die Summe der Volumina des 1/2 n (n – 1) Tetraeder, die man erhält, indem man die Kräfte paarweise als Gegenkanten von solchen verbindet, gleich dem Volumen des Tetraeders, das aus der Verbindung zweier, dem System äquivalenten Kräfte als Gegenkanten hervorgeht. Vgl. a. Möbius, Lehrbuch d. Statik, Bd. 1, S. 121 u. ff.

(Schell) Finsterwalder.

Chasles Satz
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 2 Stuttgart, Leipzig 1905., S. 436-437.
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